Im Jahr 2022 kehrte die Inflation zurück - was macht sie 2023? Es hängt viel davon ab. Alles könnte nochmals teurer werden: Café Crème, Heizen, Hypotheken. Der Jobmarkt könnte weiter boomen – oder einbrechen und einer Rezession weichen.
Die «Schweiz am Wochenende» hat darum das Wichtigste zusammengetragen: Fakten, Erklärungen und Prognosen - von der Europäischen Zentralbank (EZB), dem Länderverein OECD, dem Internationalen Währungsfonds oder von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.
Die Schweiz kommt bisher eher gut davon. Es gibt nur zwei Industrieländer, in denen die Löhne nach Abzug der Inflation nicht sinken – sie ist eines davon. Geholfen haben Wasserkraft und Atomkraftwerke. So war man einigermassen geschützt gegen den Energieschock.
Dennoch muss für Energie knapp 23 Prozent mehr bezahlt werden als im Vorjahr. Und das gesamte Preisniveau ist 2.8 Prozent höher – der höchste Anstieg seit 1993, also seit knapp 30 Jahren.
Es könnte dümmer laufen. Eine unkontrollierte Inflation in der Eurozone treibt auch in der Schweiz die Preise hoch. Die Schweizerische Nationalbank könnte zu mehr Zinserhöhungen gezwungen sein.
Die Schweiz muss also nach Europa und in die USA blicken.
«In Europa ist es, nimmt man alles zusammen, ein Energieschock», sagt EZB-Chefökonom Philip Lane. Die höheren Energiekosten seien allein verantwortlich für 42 Prozent der gesamten Inflation.
Europa zahlt den Preis dafür, sich von russischem Gas abhängig gemacht zu haben. Dessen Export wurde von Wladimir Putin verknappt, um die Unterstützung für die Ukraine zu brechen. Weil Europa dieses Gas teils verstromt, schoss der Strompreis zeitweise hoch.
Die Lebenshaltungskosten sind durch den Energieschock stark gestiegen – obschon zig Staaten viel Geld ausgeben zur Entlastung. Europaweit beträgt der Anstieg durchschnittlich 7 Prozent. In Deutschland sind es 5 Prozent.
Energie kostet die Industriestaaten so viel, wie in den Ölkrisen der 1970er-Jahre. Sie geben durchschnittlich 17.7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aus. In der zweiten Ölkrise (17.8 Prozent) war es fast gleich viel, in der ersten etwas weniger (16.8 Prozent; siehe Chart).
Es endete in fünf Jahrzehnten stets gleich, wenn die Industriestaaten mehr als 13 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Energie aufwenden mussten: mit einer Rezession.
Der Energieschock ist so gross – er drückt in der ganzen Wirtschaft die Kosten hoch, selbst in Hotels und Restaurants.
Bei Hotels zum Beispiel entfallen 4 Prozent der gesamten Kosten auf Energie. Bei Restaurants sind es gar 14 Prozent. Da Energie nun 60 Prozent mehr kostet als Ende 2019 müssen Hotels und Restaurants deutlich hoch mit den Preisen: um 2.4 beziehungsweise 8.4 Prozent.
Und Hotels wie Restaurants haben höhere Ausgaben für Nahrungsmittel. Teils ebenso infolge des Energieschocks wurden diese viel teurer: von Brot und Kaffee bis zu Teigwaren und Pommes frites.
Im Vergleich zu Europa können die USA die höheren Energiekosten besser verkraften: Diese machen dort 18 Prozent der Inflation aus. Und die USA exportieren selbst Energie – unter dem Strich verlieren sie so nicht an Wohlstand.
Was den USA «um Grössenordnungen» mehr wehtut als Europa: Das sind die stockenden Lieferketten. Sie pushten die Preise auch Ende 2022 noch hoch – es ist unklar, wann sie dies nicht mehr tun.
Es stockte – weil es überall Engpässe hatte: bei Computer-Chips, Transport-Containern, freie Slots an Häfen. Teils waren dies die Folge von Corona-Massnahmen, insbesondere in China.
Teils lag es daran, dass sich in Coronazeiten die Nachfrage zu schnell verlagerte: Mal bestellten alle Hometrainer und Fernseher, mal stürmten sie die Restaurants. Auf Corona folgte sogleich ein Boom, viel schneller als erwartet. Die Wirtschaft kam nicht mehr mit.
Lieferketten können überraschende Wendungen nehmen: Ein Mangel an Computer-Chips verursacht einen Mangel an Gummibärchen.
Es fehlt an Chips, also werden weniger Autos gebaut. Darum braucht es weniger Leder für das Innere von Autos. Darum werden weniger Schweine geschlachtet. Darum hat es weniger Gelatine – zu wenig für «Grupo Bimbo». Der mexikanische Lebensmittel-Gigant produziert weniger Gummibärchen.
Die Nachrichtenagentur Bloomberg kommentiert: «Es sind keine Lieferketten, es sind Netzwerke.»
Manch cleveres Unternehmen hat die Gelegenheit gepackt, um ihre Preise mehr als nötig heraufzusetzen – und so mehr Gewinn zu machen.
Der Doppelschock von Energiekosten und Engpässen habe eine Erhöhung der Margen ermöglicht, hält EZB-Chefökonom Lane fest. Zumindest scheine dies bei einigen Produkten klar der Fall zu sein.
Hinweise dafür gibt es auch in den USA. Offizielle Daten zeigen einen Anstieg der Gewinnmargen. Und eine neue Theorie, die dies erklären kann, gibt es auch.
Sind Unternehmen nahezu voll ausgelastet, und erhalten noch mehr Aufträge, erhöhen sie ihre Preise stark. Ihr Extraeffort soll entschädigt sein – der Gewinn geht hoch.
Und in der Coronakrise mussten viele Unternehmen auf einmal mit einer viel höheren Nachfrage fertig werden. Viele wurden regelrecht überrannt.
Der Doppelschock aus Energiekosten und Engpässen hat die Preise einmal hochgehoben – dabei könnte es an sich bleiben. Es muss nicht zu weiteren Preisanstiegen kommen.
Die Inflation würde bald verschwinden, zu einem guten Teil von selbst. Es bräuchte bloss etwas Zeit, bis der Doppelschock durch die gesamte Wertschöpfungskette durch ist und sich die Löhne anpassen.
Dazu passend wird für die Eurozone ein starker Rückgang der Inflation gemeldet: 10.1 Prozent waren es im November, dann 9.2 Prozent im Dezember – immerhin fast ein Prozentpunkt weniger.
Zu den USA klingt es recht zuversichtlich in einer Studie. Die Engpässe müssten sich weiter in ähnlichem Tempo abbauen, die Energiepreise nicht weiter ansteigen – dann sinke die Inflation bis Ende 2024 auf 2 Prozent hinab.
Die EZB erwartet, dass der Doppelschock verblassen und die Inflation sinken wird. Ihre Aufgabe sei dabei: Die Inflation dürfe nicht nur auf ein moderates Niveau fallen – sondern hinunter bis auf den Zielwert von 2 Prozent.
Höhere Zinsen bewirkten jedoch wenig gegen die aktuelle Inflation, warnt Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Wenn es die Zentralbanken übertreiben und die Zinsen zu sehr anheben, lösten sie eine Rezession aus. «Das Heilmittel wäre dann schlimmer als die Krankheit.»
Es täte auch der Schweiz weh, wenn die USA oder die Eurozone in eine Rezession fallen. Etwa, weil dann Deutschland weniger Produkte aus der Schweiz kauft. Ein Börsencrash in den USA zieht die Schweiz mit hinab.
Die Inflation wird die Schweiz auch im Jahr 2023 beschäftigen. (aargauerzeitung.ch)
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