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Die banalen Enthüllungen der Wissenschaft

Pornostars seien glücklicher: Solche Studien peppen die Wissenschaft manchmal zweifelhaft auf. Aber Hand aufs Herz: Sie schauen sich das Bild von Erotikmodel Micaela Schäfer eher an als das eines Fors ...
Pornostars seien glücklicher: Solche Studien peppen die Wissenschaft manchmal zweifelhaft auf. Aber Hand aufs Herz: Sie schauen sich das Bild von Erotikmodel Micaela Schäfer eher an als das eines Forschers.Bild: ACTIONPRESS DUKAS
Sex sells auch in der Forschung

Die banalen Enthüllungen der Wissenschaft

Forscher produzieren jedes Jahr Millionen von Studien. Viele dienen der Wissenserweiterung, einige haschen jedoch mit schrillen Themen nach Aufmerksamkeit – zum Beispiel mit Sex. Dafür gibt es eine Erklärung.
21.12.2014, 14:2821.12.2014, 17:27
Mark Walther / schweiz am sonntag
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Sie fragen sich, warum Ihr eheliches Sexleben eingeschlafen ist? Ein amerikanisch-spanisches Forschungstrio hat diesem Problem eine Studie gewidmet. Und herausgefunden: Je mehr Zeit Ehemänner mit «weiblicher» Hausarbeit verbringen, desto weniger Action gibt es unter der Bettdecke. Davon sind Männer, die eine Schwester haben, indes weniger betroffen: Denn sie neigen dazu, im Haushalt weniger mit anzupacken, wie eine Studie der Stanford-Business-Schule und der Universität Loyola-Marymount in Kalifornien herausfand.

Seiner Frau einfach nicht mehr im Haushalt zu helfen, ist aber nicht die Lösung. Im Gegenteil: Typische Männeraufgaben wie Rasenmähen soll Adam übernehmen, denn das trage zu einem aktiven Sexleben bei, schreibt das amerikanisch-spanische Forschungstrio in der «American Sociological Review». Das Sahnehäubchen liefert eine ähnliche Studie der Universität Riverside in Kalifornien: Je mehr sich der Mann im Haushalt betätige, desto besser gefalle ihm der Sex mit seiner Vermählten, heisst es dort. Für viel guten Sex soll der Mann also jeden Tag das Auto waschen, aber ja nicht das Geschirr spülen, denn das sehen die Forscher als traditionell weibliche Aufgabe.

Männer, die im Haushalt helfen, haben mehr Lust auf Sex.
Männer, die im Haushalt helfen, haben mehr Lust auf Sex.bild: shutterstock

Um dem Sexualtrieb von Verheirateten auf den Grund zu gehen, haben sie ihre ganze wissenschaftliche Energie in die entsprechende Studie gesteckt. Sie haben Menschen befragt, Daten ausgewertet und am Schluss alles fein säuberlich und wissenschaftlich verklausuliert niedergeschrieben. Eine Frage liessen sie allerdings unbeantwortet, und zwar die wichtigste: Wieso forschen sie an solch weit hergeholten Fragestellungen?

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Banale Studien drehen sich meist um Sex

«Aufmerksamkeitshascherei» nennt Wissenschaftshistoriker Michael Hagner das Phänomen. Der Professor der ETH Zürich sagt, der Druck in der akademischen Welt sei gestiegen, weil es immer mehr Wissenschafter gebe: «Da gibt es Leute, die glauben, bessere Chancen auf eine Professur, mehr Forschungsgelder oder Einladungen zu wissenschaftlichen Veranstaltungen zu bekommen, wenn sie sich von der Masse abheben», sagt er. «Und das geht am einfachsten, wenn man mit seinen Ergebnissen in den Medien landet.»

Studien hier, Studien da. Die Flut wissenschaftlicher Artikel steigt immer höher. Alle 15 Jahre verdoppelt sie sich, weiss Hagner. Inzwischen sind es rund 2,2 Millionen pro Jahr. Ein paar Beispiele gefällig? «Pornokonsum kann aus Männern bessere Gewichtheber machen.» – «Reiche lügen und betrügen viel.» Oder: «Weibliche Pornostars sind meist glücklicher als andere Frauen.»

Dank Pornos lässt sich angeblich mehr Gewicht stemmen.
Dank Pornos lässt sich angeblich mehr Gewicht stemmen.bild: shutterstock

Auch an Schweizer Universitäten werden kuriose Dinge erforscht. Beispielsweise an der Uni Zürich: «Gesunder Lebenswandel verlängert das Leben um Jahre», teilte sie diesen Sommer mit. Ach, wirklich?, ist man versucht zu fragen. Oder an der Universität Bern: «Wer in einem Hochhaus in den oberen Stockwerken wohnt, lebt länger als die Bewohner im untersten Stock.» Das gab die Uni im Mai 2013 bekannt, und einen Tag später schob sie nach: «Bars in der Nachbarschaft können die Gesundheit gefährden.» Gerade im Fall öffentlich finanzierter Universitäten, zu denen Zürich und Bern gehören, drängt sich die Frage auf, ob das die relevanten Forschungsthemen unserer Zeit sind.

Es fällt auf, dass sich die banalen Studien meist um populäre Themen wie Sex drehen. Das ist kein Zufall, denn sie schaffen es viel eher in die Massenmedien. Es ist sozusagen eine win-win-Situation: Die Forscher liefern ein massentaugliches Thema, seriös-wissenschaftlich untersucht und gleichwohl leicht verständlich. Die Medien garantieren ihnen dafür Aufmerksamkeit auch ausserhalb der akademischen Welt.

Dieser Deal gibt der Wissenschaft eine neue gesellschaftliche Funktion. «Wissenschaft wird zur Institution, die die Komplexität reduziert, bisweilen leider auch, indem sie gesellschaftliche Vorurteile bestätigt», sagt Hagner. Mehr noch: «Für die Öffentlichkeit muss Wissenschaft sexy sein.» Zwar werden auch seichte Studien in der Regel seriös durchgeführt. In immer mehr Fällen bleiben aber die wissenschaftlichen Gütekriterien auf der Strecke: Die Objektivität der Ergebnisse, die Gültigkeit der Daten über den eigenen Forschungsgegenstand hinaus oder auch die Nachvollziehbarkeit von Experimenten.

Am schlimmsten ist aber, dass es mehr Fälschungen und Plagiate gibt. «Das ist in den vergangenen Jahren zum ernsthaften Problem geworden, weil es den Ruf aller Wissensförderer besudelt», sagt Hagner. Dabei offenbart die Wissenschaft ihren Existenzgrund schon in ihrem Namen: Wissen schaffen. Ohne den enormen Schatz an gesichertem Wissen, den sie hervorgebracht hat, würden wir heute nicht von einem Kontinent zum anderen fliegen, nicht aus Sonne und Wind Energie gewinnen und keine lebenswichtigen Organe transplantieren. Dafür bei jeder Grippewelle um unser Leben fürchten.

Viele Wissenschafter forschen ihr Leben lang in einem eng begrenzten Spezialgebiet. Der aufsehenerregende Durchbruch gelingt nur den allerwenigsten. Viele tragen einen kleinen, aber sehr wichtigen Teil zu grossen Antworten auf noch grössere Fragen bei. Die sexy Wissenschaft bildet dazu einen Gegensatz: Sie strebt nicht nach elementaren Beiträgen zur Wissenserweiterung, sondern nach paukenschlagenden Ergebnissen. Der wissenschaftliche Wert bleibt dabei minimal.

Der Sex im Kopf

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Der Sex im Kopf
Neun Fantasien stuften die Forscher als unüblich ein; darunter Spielchen mit Natursekt und Sex mit einer Prostituierten oder einer wehrlosen Person. Weniger als 16 Prozent der Männer und Frauen gaben an, davon zu fantasieren.
quelle: ap / jockel finck
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