Sorgt die KI wirklich für ein «Job-Blutbad»?
Die KI kann bessere E-Mails schreiben als ich. Auch kann sie deutlich besser coden und erst recht besser kopfrechnen. Noch schlimmer: Sie kann wohl auch schon sehr bald – wenn nicht schon jetzt – bessere Blogposts zum Thema KI verfassen, als ich dies je können werde. Was also kann ich denn noch beitragen?
Zugegeben, weder mit meinem Computercode noch mit meinen Blog-Beiträgen geht der Welt viel verloren. Allerdings kann man die entsprechenden Fragen leicht von meinem Mikrokosmos auf die gesamte Gesellschaft ausweiten – und viele machen sich derzeit Gedanken: Gemäss dem neusten European AI Barometer der EY fürchten 43 Prozent der Beschäftigten in der Schweiz negative Auswirkungen von KI auf ihre Karriere – ganze 76 Prozent rechnen gar mit einem Stellenabbau.
Doch führt die zunehmende Intelligenz der KI-Systeme wirklich dazu, dass ganze Jobklassen bald überflüssig werden? Oder eher, dass die Menschen ihre Schaffenskraft erst richtig ausleben können? Oder gar beides? Schauen wir etwas genauer hin.
These: Die KI-Revolution führt zu einem Job-Blutbad
Eine Parallele zur KI-Revolution, die sich aufdrängt, ist die industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhundert: Dabei wurde – simpel gesagt – körperliche durch maschinelle Arbeitskraft ersetzt. Oder ein wenig differenzierter: Durch technologische Innovationen wurden viele Arbeitsschritte in der Produktion von Gütern massiv effizienter – so effizient, dass menschliche Arbeit damit nicht mehr konkurrenzieren konnte. Der mechanische Webstuhl automatisierte beispielsweise die Weberei und machte den Beruf des Handwebens innert kürzester Zeit obsolet.
Der gleiche Effekt ist nun, so die These, auch überall da zu erwarten, wo die heutigen KI-Systeme besser und schneller sind als der Mensch. Betroffen ist heute – im Gegensatz zur industriellen Revolution – also nicht die körperliche, sondern eher die «Wissens-Arbeit». Ein Beispiel: Einen Computercode schreiben zu können, war in den letzten Jahren ein viel gesuchter Skill. Nun, da die KI immer besser wird im Übersetzen von menschlicher Sprache zu Code und daher viel mehr Menschen einen guten Code generieren können, verliert dieser Skill immer mehr an Wert.
Weniger Programmiererinnen und Programmierer werden gebraucht, weniger werden angestellt. Und schon stehen wir da wie die Handweberinnen und Handweber im 19. Jahrhundert.
Tatsächlich sehen wir schon konkrete Hinweise darauf: Microsoft verkündete vor Kurzem das Streichen von 6000 Stellen – viele davon im Bereich Software-Engineering. Dario Amodei, CEO des KI-Labs Anthropic und nie um einen kontroversen One-Liner verlegen, sprach im März sogar davon, dass KI-Systeme binnen 12 Monaten fast alle nötigen Code generieren werden und antizipierte in einem viral gegangenen Axios-Artikel gar ein «Blutbad», das sich unter Wissens- und Admin-Jobs (sog. «White-Collar-Jobs») abspielen werde.
Und wenn wir schon am Schwarzmalen sind: Das Generieren von Computercode ist nur ein Skill von vielen. Was mit der KI-Revolution aber konkurrenziert wird, ist nichts weniger als die zentralste aller menschlichen Qualitäten: die Intelligenz per se. Diese ist schliesslich die Basis all unseres Schaffens – sei es in Wissenschaft, Technik, Politik, Gesellschaft oder Kunst.
Überall da, wo man «etwas überlegen» muss, konnten wir uns als Spezies in der Geschichte prima profilieren. Und nun sind wir – wenn man von den aktuellen KI-Fähigkeiten noch leicht extrapoliert – auf bestem Weg, Systeme zu bauen, die uns in genau dieser Grundkompetenz übertreffen. Systeme also, die intelligenter sind als wir und daher prinzipiell jede Arbeit, für die es Intelligenz benötigt, besser ausführen können. Welcher Job bleibt uns da also noch übrig? Genau, über kurz oder lang, keiner. Also gute Nacht. Oder sehen wir da etwa noch einen Lichtschimmer?
Antithese: Wir haben solche Revolutionen im Griff
Nochmals zurück zur industriellen Revolution: Klar, viele Jobs wie das Handweben wurden dadurch überflüssig. Gleichzeitig entstanden jedoch völlig neue Berufsfelder – etwa in der Bedienung, Wartung und Entwicklung industrieller Maschinen. Rückblickend lässt sich sagen, dass die industrielle Revolution die Produktivität und Wirtschaftsleistung boostete – und langfristig mehr Arbeitsplätze schuf, als sie vernichtete.
Ein weiteres Beispiel für verfrühte technologische Überskepsis: In einem Talk 1981 prophezeite der bekannte Philosoph Jiddu Krishnamurti zuversichtlich, dass wir alle aufgrund des Computers, der mehr und mehr Arbeiten übernimmt, in 10 bis 15 Jahren arbeitslos sein werden. Nun, das ist nicht wirklich passiert in den Tech-Boom-90ern. Im Gegenteil.
Gleich noch ein Sargnagel für das Job-Apokalypse-Narrativ gefällig? Gemäss Zahlen des US Bureau of Labour Statistics hat der Durchsatz der White-Collar-Jobs – die ja angeblich keine Chance haben und daher im Blutbad enden – in den letzten Monaten und Jahren immer weiter zugenommen.
Auch über zwei Jahre nach dem kometenhaften Start von ChatGPT also keine Spur eines Blutbades. Auch sagte Google-CEO Sundar Pichai vor einigen Wochen, dass er auch nächstes Jahr plane, neue Software-Engineers einzustellen – sie also nicht zu entlassen. Dies, da der Möglichkeitsraum an lösbaren Programmierproblemen dank KI zunimmt und es konsequenterweise mehr Engineers braucht, die daran arbeiten.
Alles also doch nur Doomsday-Gerede und Angstmacherei, diese Jobverlust-Vorhersagen? Nicht ganz.
Synthese: Eine gute Mischung aus Panik und Coolness
Es haben beide Seiten ihre Meriten: Zwar war es schon oft so, dass alle sagten, es komme nicht gut mit unseren Jobs – und dann wurde es gar noch besser. Andererseits hat die aktuelle KI-Revolution berechtigten Anspruch darauf, fundamentaler zu sein als die bisherigen technologischen Revolutionen. Die KI kann sehr viel, wird immer noch besser und ist hier – so viel können wir nach einigen Jahren des «Hypes» sagen –, um zu bleiben. Halten wir also einige möglichst robuste Strategien fest:
- Nimm die Challenge an: Es wäre ein Fehler, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass schon alles gutgeht und die KI-Experten sich darum kümmern. Sei dir also bewusst, dass wir vor einer grossen, möglicherweise jahrelangen Herausforderung stehen und es sowohl gut als auch schlecht herauskommen kann. Wir als Menschen – und somit jeder und jede von uns – müssen dies lösen.
- Lass dir von KI helfen: Die KI automatisiert einzelne Tasks – nicht direkt ganze Jobs. Überleg dir also immer wieder, bei welchen Teilen deines Jobs dich die KI besser machen könnte. Denn: Dein Job wird nicht direkt von der KI, sondern von einer KI-assistierten Person konkurrenziert. Werde also am besten selbst diese Person.
- Sprich darüber: Es ist wichtig, dass wir nicht nur als Individuen, sondern als ganze Gesellschaft einen Weg durch die KI-Revolution finden. Daher gehört die KI in den öffentlichen Diskurs und aufs politische Parkett – und zwar möglichst schnell.
Zum Schluss nochmals ganz metaphorisch und pointiert: Wir können den anrollenden Zug nicht stoppen, indem wir vor ihm herrennen oder uns davor werfen. Aber wir können ihn noch steuern – und genau das sollten wir tun.
