Was eine neue Studie aus Deutschland zeigt, ist durchaus beunruhigend. Die Forschenden aus Augsburg untersuchten die Gehirnleistung von 372 Personen, die sich vor durchschnittlich neun Monaten mit Corona infiziert hatten und die deswegen nicht ins Spital mussten. In verschiedenen kognitiven Tests zeigte sich: 41 Prozent waren von milden Gedächtnisproblemen betroffen (6 Prozent von deutlichen) und 12 Prozent von milden Sprachflussstörungen (5 Prozent von schweren).
Diese Studie ist eine von vielen, welche die Auswirkungen von Covid-19 aufs Gehirn untersuchten. Sie muss mit Vorsicht genossen werden: In dieser eher älteren Gruppe von Studienteilnehmenden (Durchschnittsalter 48) hatte die Hälfte mindestens eine Vorerkrankung wie Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen und mehr. Zudem wurden die Gehirnleistungen mit dem bekannten Bevölkerungsdurchschnitt im passenden Alter verglichen – nicht mit Resultaten vor der Infektion. Die Teilnehmenden waren zudem 2020 erkrankt und daher ungeimpft.
Sicher ist: Neurologen haben seit der Pandemie mehr zu tun. So verzeichnet die Long-Covid-Sprechstunde des Inselspitals Bern eine deutliche Zunahme an Patientinnen und Patienten mit neurologischen Problemen, und noch immer beträgt die Wartezeit vier bis fünf Wochen.
Klinikdirektor und Chefarzt am Inselspital, Claudio Bassetti, überrascht das nicht. Er sagt: «Das Nervensystem ist bei Covid-19 relativ oft befallen und auch Wordfindungsstörungen sind dabei nicht so selten.» Der Neurologe hat mehr als 20 Studien zu den neurologischen Auswirkungen der Pandemie veröffentlicht. Er war als Präsident der Europäischen Akademie für Neurologie Gründer einer internationalen Neuro-Covid-19-Arbeitsgruppe.
Eine Covid-19-Infektion könne selten einmal eine Demenz verursachen oder eine Alzheimererkrankung «demaskieren», sagt Bassetti. Einige Studien haben eine Abnahme der grauen Gehirnmasse nach einer Coronainfektion gezeigt, was eine Erklärung für diese Zusammenhänge sein könnte.
Doch in der Regel werden die Symptome nicht schlimmer. Bassetti sagt: «Wir sehen bei neurologischen Störungen oft eine Besserung, speziell die leichten verschwinden in der Regel. Nach drei bis sechs Monaten geht es den meisten besser.»
Eine neuere Studie, welche lang anhaltende Symptome nach Corona untersucht hat, zeigt auch bei kognitiven Problemen eine Besserung nach sechs bis zwölf Monaten – allerdings eine weniger deutliche im Vergleich mit anderen Symptomen wie Atemproblemen und Müdigkeit. Nur Geruchs- und Geschmacksstörungen sind nach sechs bis zwölf Monaten noch deutlicher ausgeprägt.
Wer bei sich keine kognitiven Probleme feststellt und sich nach Corona komplett genesen fühlt, der ist das wahrscheinlich auch. Zu diesem Schluss jedenfalls kommt eine Übersichtsstudie von März 2022 aus England, die in «Frontiers» erschien: Die Gehirnleistungen von jenen, die sich komplett genesen fühlten, unterschieden sich nicht von Nie-Infizierten.
Selbst empfundene Symptome korrelierten hingegen stark mit einem schlechteren Abschneiden in Gedächtnistests – speziell in solchen, wo es um sprachliche Erinnerungen geht. «Spezielle Schwierigkeiten mit Sprache und verbalem Gedächtnis sind deckungsgleich mit der Häufigkeit von selbst gemeldeten Defiziten in diesen Bereichen von Long Covid – und mit Resultaten zum Verlust von grauer Hirnmasse in der linken Hemisphäre», schreiben die Autorinnen und Autoren.
Im Dezember aber kam eine erneute Übersichtsstudie in «Frontiers», die nur Studien untersuchte, in welchen immer auch die Gehirne gescannt wurden, jedoch zum Schluss, dass man noch keine permanente Gedächtnisbeeinträchtigung nach Covid-19 habe zeigen können und dass die meisten Symptome mit der Zeit verschwänden. Auch das Volumen der Gehirnrinde habe sich nach zehn Monaten erholt.
Die Ursachen für kognitive Probleme nach einer Covid-19-Infektion sind vielseitig. Und gerade Gehirnscans sind oft unauffällig. Eher selten ist eine direkte Hirninfektion durch das Virus. Die häufigste Ursache von neurologischen Störungen nach Covid-19 sind laut Bassetti intensive systemische Entzündungen, welche die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger machen und schädliche Folgen auch für das Nervensystem haben. «Diese Prozesse kann man am lebenden Menschen nur vermuten, wurden aber im Gehirn von verstorbenen Patienten nachgewiesen», so Bassetti.
Eine andere Ursache könnten sogenannte Megakaryozyten sein. Das sind Vorläufer von Thrombozyten, also Blutplättchen, welche das Blut gerinnen lassen können. Nach Covid-19 könnten sie im Gehirn wie andernorts im Körper die Blutzirkulation und somit die Sauerstoffversorgung beeinträchtigen. Englische Forschende fanden Megakaryozyten in Gehirnen von fünf verstorbenen Patienten, die Corona hatten – aber keine in zwei Gehirnen von verstorbenen Nichtinfizierten. Die Forschenden spekulieren, dass durch die Megakaryozyten der sogenannte Gehirnnebel mit den Konzentrationsstörungen entstehen könnte. Schlaganfälle und Hirnthrombosen nach Corona sind hingegen selten.
Die eingangs erwähnte Studie aus Augsburg zeigte übrigens, dass die Personen mit kognitiven Problemen auffallend häufig auch eine Depression hatten. Dass Depressionen nicht selten mit kognitiven Problemen einhergehen, ist bekannt. Beides kann mit Entzündungsprozessen im Gehirn zusammenhängen. Am Inselspital in Bern werden bei neurokognitiven Problemen deshalb immer auch Psychologinnen hinzugezogen. «Die Faktoren sind schwierig auseinanderzuhalten», sagt Bassetti, «doch selbst wenn auch psychische Ursachen da sind, heisst das nicht, dass im Gehirn keine Nervenschäden entstanden sind.» (aargauerzeitung.ch)
Simplicissimus
roger_dodger
Tentacles
Covid ist nicht zu unterschätzen… nach wie vor gilt: ein gesundes Mass an Prävention ist sicher nicht fehl am Platz. Lieber 1 Mal im Jahr als 5 Mal pro Jahr infizieren 😬