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Frauen der Geschichte

Waser und Merian – Zwei Künstle­rin­nen des Barocks

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Anna Waser und Maria Sibylla Merian gehören zu den wichtigsten Kunstschaffenden des Barock. Abbildung aus Johann Caspar Füsslis Geschichte der besten Künstler in der Schweitz nebst ihren Bildnissen, 1769–1779.Bild: Zentralbibliothek Zürich
Frauen der Geschichte

Waser und Merian – Zwei Künstle­rin­nen des Barocks

Während der Zeit des Barock begannen immer mehr weibliche Kunstschaffende, die gesellschaftlichen Strukturen ihrer Zeit in Frage zu stellen. Ein Blick auf die Biografien von Anna Waser und Maria Sibylla Merian zeigt, wie Künstlerinnen sich durchaus gegenüber ihrer männlichen Konkurrenz behaupten konnten.
15.01.2023, 18:57
Michèle Seehafer / Schweizerisches Nationalmuseum
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Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die erste Kunstgeschichte der Schweiz geschrieben. Ihr Autor, der Schweizer Maler und Kunsthistoriker Johann Caspar Füssli, trug darin Informationen zu den wichtigsten Kunstschaffenden des Landes zusammen. Unter all den männlichen Künstlern widmete er lediglich zwei Künstlerinnen eigene Einträge: Anna Waser (1678–1714) und Maria Sibylla Merian (1647–1717).

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Füssli reflektierte diese Unterrepräsentation weiblicher Kunstschaffender in seinem erstaunlich kritischen – und aus heutiger Sicht feministischen – Einleitungstext zu Waser:

«Wenn das weibliche Geschlecht eben die Gelegenheit, seine Talente auszubilden und zu zeigen, und eben die Vortheile der Erziehung geniessen könnte, welche das männliche geniesset, so würden wir in der Geschichte der Kunst weit mehr Beyspiele von vortrefflichen Künstlerinnen als jetzt aufzuweisen haben».

Was Füssli, selbst Vater zweier künstlerisch begabter Töchter, hier betont, ist nichts weniger als das Grundproblem der weiblichen Entfaltungsmöglichkeiten dieser Zeit. Dieses resultierte oftmals in einer Minderbewertung von Künstlerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen. Denn die Frauen des Barock waren zwar durchaus Pfeiler der Gesellschaft, Anerkennung und Ausbildungsmöglichkeiten blieben ihnen jedoch meist verwehrt.

Im Verlauf des 17. Jahrhunderts begannen aber immer mehr weibliche Talente, sich aus diesen sozialen Konstrukten zu befreien. Sie wurden vermehrt in Malerzünfte oder Gelehrtenkreise aufgenommen, als Hofkünstlerinnen engagiert oder gelangten durch eigene Studien zu neuen Entdeckungen.

Selbstporträt von Anna Waser gezeichnet mit Silberstift, 1706.
Selbstporträt von Anna Waser gezeichnet mit Silberstift, 1706.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Anna Waser – Von Werners Schülerin zur Hofmalerin

In seinen Beschreibungen setzte Johann Caspar Füssli die Zürcherin Anna Waser auf gleiche Stufe mit international bekannten Künstlerinnen wie Marietta Robusti und Sofonisba Anguissola aus Italien oder Rachel Ruysch aus den Niederlanden und schrieb Waser so in einen kunsthistorischen Kanon ein. Wasers Talent wurde, wie es damals häufig geschah, von ihrem Vater erkannt.

Neben ihrer künstlerischen Ausbildung förderte er ihre Kenntnisse in Fremdsprachen sowie Mathematik und trainierte ihre Hand durch Kalligrafieübungen. Ihren ersten Malunterricht erhielt sie bei Johann Georg Sulzer, den sie auch in ihrem frühsten Selbstporträt festhielt, das sie 1691 im Alter von nur 12 Jahren schuf.

Selbstbewusst, beinahe stolz blickt die junge Malerin, den Malakt und ihre Utensilien zur Schau stellend, dem Betrachter direkt entgegen. Anna Waser, Selbstbildnis im 12. Jahr, wie sie das Bildnis ihr ...
Selbstbewusst, beinahe stolz blickt die junge Malerin, den Malakt und ihre Utensilien zur Schau stellend, dem Betrachter direkt entgegen. Anna Waser, Selbstbildnis im 12. Jahr, wie sie das Bildnis ihres Lehrers Johannes Sulzer malt, 1691.Bild: Kunsthaus Zürich

Als einzig bekanntes weibliches Mitglied trat sie danach in die Zeichenschule des renommierten Berner Künstlers Joseph Werner ein. Füssli zufolge bewarb sich Waser dort mit einer Nachahmung von Werners Illustration einer Flora, der antiken Blumen-Göttin. Dass sie sich als Künstlerin mit der Figur der Flora identifizierte, zeigte sich auch wenige Jahre später. Im Stammbuch ihres Cousins, dem berühmten Zürcher Arzt und Naturwissenschaftler Johann Jakob Scheuchzer, verewigte sich Waser 1697 mit einer eigenen Interpretation der Flora. Das Haar kunstvoll mit Blumen geschmückt und den Kopf seitlich zum Boden geneigt, präsentiert sie in diesem Selbstporträt ihr grosses zeichnerisches Talent und ihr Gespür für Details.

Waser schrieb dazu auf Französisch: «Die wenigen Striche sind dazu bestimmt, dem berühmten Besitzer dieses Buches die Grüße seiner Cousine zu überbringen». Selbstporträt von Anna Waser, 1697.
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Waser schrieb dazu auf Französisch: «Die wenigen Striche sind dazu bestimmt, dem berühmten Besitzer dieses Buches die Grüße seiner Cousine zu überbringen». Selbstporträt von Anna Waser, 1697.Bild: Zentralbibliothek Zürich

Waser wurde als hervorragende Porträtistin und Miniaturmalerin über die Eidgenossenschaft hinaus bekannt. Im Jahr 1700 trat sie für einige Zeit als Hofmalerin in die Dienste des Grafen Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels. Damit ist sie die einzige Schweizer Künstlerin, die während der Zeit des Barock eine höfische Stellung innehatte.

Zurück in Zürich malte sie einige Landschaften im Auftrag von Johann Jakob Scheuchzer; unter anderem für die Beschreibungen seiner Reisen in die Alpen mit dem Titel Ouresiphoites Helveticus, sive, itinera per Helvetiae alpinas. Die von der Royal Society in London finanziell geförderte Publikation zählt zu den Hauptwerken Scheuchzers. Bei der Herausgabe war Scheuchzer darauf bedacht, dass die künstlerischen Leistungen seiner jüngeren Cousine entsprechend honoriert wurden. John Thorpe, der verantwortlich für die Drucklegung war, spricht in einem Brief an Scheuchzer von Waser sogar als «the most Ingenious Madame Anne Waser».

Waser vermittelt ein illusionistisches Bild der Schweizer Alpenlandschaft. Inmitten der kargen und schroffen Gesteinsansammlung ist die Teufelsbrücke zu sehen. Abbildung aus Johann Jakob Scheuchzers O ...
Waser vermittelt ein illusionistisches Bild der Schweizer Alpenlandschaft. Inmitten der kargen und schroffen Gesteinsansammlung ist die Teufelsbrücke zu sehen. Abbildung aus Johann Jakob Scheuchzers Ouresiphoites Helveticus, sive, itinera per Helvetiae alpinas […], 1723.Bild: ETH-Bibliothek Zürich

Anna Waser integrierte sich in die männlich dominierte Künstlerszene der Schweiz und stand in regem Austausch mit Kollegen wie Wilhelm Stettler, Felix Meyer oder Johannes Dünz. Zu ihrem Freundeskreis gehörte auch die Nürnbergerin Maria Clara Eimmart (1676–1707), die von ihrem Vater als Künstlerin und Astronomin ausgebildet wurde. Bekanntheit erlangte Eimmart vor allem durch ihre rund 250 Darstellungen des Mondes.

Wie Waser stand auch Johann Jakob Scheuchzer in Briefkontakt mit Maria Clara Eimmart. Die Zeichnung eines Halbmondes in dessen Stammbuch offenbart Eimmarts wissenschaftlichen Blick auf die Mondoberflä ...
Wie Waser stand auch Johann Jakob Scheuchzer in Briefkontakt mit Maria Clara Eimmart. Die Zeichnung eines Halbmondes in dessen Stammbuch offenbart Eimmarts wissenschaftlichen Blick auf die Mondoberfläche, 1695.Bild: Zentralbibliothek Zürich

Maria Sibylla Merian – Das Studium der Natur und deren Metamorphosen

Die wohl bedeutendste Künstlerin, die sich im Barock nicht nur der Malerei, sondern auch der Naturforschung verschrieben hatte, ist Maria Sibylla Merian. Ihr Vater Matthäus Merian d. Ä. verstarb früh, weshalb sie von ihrem Stiefvater Jacob Marrel zur Blumen- und Stilllebenmalerin ausgebildet wurde. Von klein auf befasste sie sich mit dem Studium der Natur mit einer besonderen Faszination für Insekten. Füssli schreibt dazu:

«Ihr forschendes Auge blieb bey dieser Entdeckung nicht stehen; sie gieng weiter, und drang in diesen Theil der Natur-Wissenschaft völlig hinein. Ihr edel denkendes Herz war begierig, ihre Bemühungen nutzbar zu machen, und der Welt mitzutheilen […]».

Die Ergebnisse ihrer systematischen Forschung hielt sie in zarten Zeichnungen fest, die als Grundlage für ihre gedruckten Werke dienten.

Merians Bilder hoben sich von anderen Insektendarstellungen der Zeit ab, indem sie die verschiedenen Entwicklungsstadien der Tiere zeigten. Abbildung aus Maria Sibylla Merians Der Raupen wunderbare Ve ...
Merians Bilder hoben sich von anderen Insektendarstellungen der Zeit ab, indem sie die verschiedenen Entwicklungsstadien der Tiere zeigten. Abbildung aus Maria Sibylla Merians Der Raupen wunderbare Verwandlung […], 1679.Bild: Goethe Universität Frankfurt
Merian berücksichtige jeweils auch die Nährpflanze der Tiere aus Suriname und gab auch diese detailliert wieder. Abbildung aus Maria Sibylla Merians Metamorphosis insectorum Surinamensium, 1705.
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Merian berücksichtigte jeweils auch die Nährpflanze der Tiere aus Suriname und gab auch diese detailliert wieder. Abbildung aus Maria Sibylla Merians Metamorphosis insectorum Surinamensium, 1705.Bild: Universitätsbibliothek Basel

Als Künstlerin wie auch als Entomologin erlangte Merian grosse Berühmtheit durch ihr Hauptwerk Metamorphosis insectorum Surinamensium, in dem sie die Insekten in ihrer natürlichen Umgebung zeigte. Dafür war Merian mit ihrer Tochter 1699 in die niederländische Kolonie Suriname in Südamerika gereist. Diese Unternehmung zeugt nicht nur von einem selbstbestimmten Lebensentwurf, sondern auch von einer gehörigen Portion Mut.

Wie keine andere Frau zu dieser Zeit verstand es Merian, sich ein weit verzweigtes Netzwerk aufzubauen und in der männlich dominierten Gelehrtenwelt Fuss zu fassen. Zu ihrer Existenzsicherung verkaufte sie nach ihrer Rückkehr aus Suriname in ihrem Amsterdamer Laden neben Pigmenten und Büchern auch ausgestopfte Tiere, die sie von ihrer Reise mitgebracht hatte.

Der Weg zeichnet sich ab, bleibt jedoch für lange Zeit steinig

Wie so vielen Künstlerinnen des Barock war es weder Waser noch Merian vergönnt, Mitglied einer Malerzunft oder einer Akademie zu werden. Erst rund 50 Jahre nach deren Tod erhielt eine Schweizer Künstlerin erstmals diese Ehre. Die aus Chur stammende Angelika Kaufmann (1741–1807) zählte, neben der Stillebenmalerin Mary Moser, zu den Gründungsmitgliedern der 1768 etablierten Royal Academy of Arts in London. Für rund 200 Jahre blieben sie jedoch deren einzige weibliche Mitglieder.

Ähnlich verhielt es sich für lange Zeit auch in der Schweiz. Die Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer liess erst ab 1972 Künstlerinnen als Mitglieder zu. Heute mischen Schweizer Künstlerinnen wie Pipilotti Rist und Sylvie Fleury in der Kunstszene ganz vorn mit. Höchste Zeit also, dass auch die Künstlerinnen des Barock mehr ins Rampenlicht gerückt werden.

Barock. Zeitalter der Kontraste
16.09.2022 – 15.01.2023
Landesmuseum Zürich

Die Kulturepoche des Barock ist eine Zeit der Kontraste: Opulenz und Innovation auf der einen, Tod und Krisen auf der anderen Seite. Die Ausstellung präsentiert kostbare Objekte aus der barocken Architektur, Gartenkultur, Mode und Kunst und fokussiert dabei auf deren historischen Kontext, um diese schöpferische Epoche in ihrer ganzen Ambivalenz zu beleuchten.
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Waser und Merian – Zwei Künstle­rin­nen des Barock» erschien am 9. Januar.
blog.nationalmuseum.ch/2023/01/waser-und-merian-zwei-kuenstlerinnen-des-barock
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