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Schwarze Zahnpaste, weisse Zähne: Was taugen fluoridfreie Bio-Zahnpastas?

Schwarze Zahnpaste für weisse Zähne: Was taugen fluoridfreie Bio-Zahnpastas?

Ohne Mikroplastik: Im Zuge der Öko-Welle werden Zähne plötzlich mit Aktivkohle gebürstet. Und Kokosöl.
15.02.2020, 09:45
Diana Hagmann-Bula / ch media
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Aktivkohle schrubbt die Zähne zwar sauber – aber schleift sie auch ab.
Aktivkohle schrubbt die Zähne zwar sauber – aber schleift sie auch ab.Bild: Shutterstock

Kein Biber mehr, der von der grellgrünen Tube lacht. Zahnpasten kommen neuerdings schön designt und in dezenten Farben daher. Da ist etwa die All Natural Wild Mint Toothpaste von Stop The Water While Using Me in modernem Weiss-Schwarz. Oder die Zahncreme von Aesop in pastellfarbener Tube, wie üblich für das australische Label.

Zahnpaste ist nun ein Lifestyleprodukt. Man kann sie auch bei Möbel Pfister, Globus und Manufactum kaufen. Die gute alte Zahnpaste hat sogar beim Grossverteiler Konkurrenz bekommen. Von einer schwarzen Bio-Zahnpaste mit Aktivkohle für natürliches Weiss zum Beispiel. Die Kohle soll die in Verruf geratenen Kunststoffpartikel (Mi­kroplastik) ersetzen. Die Pfefferminze stammt «aus kontrolliert biologischem Anbau».

«Ohne synthetische Farb- und Aromastoffe. Ohne Sulfate. Ohne Mineralöl. Glutenfrei. Lactosefrei»

, ist auf der Verpackung zu lesen. Die Zahnpaste, sie hat sich verändert. Gut für die Umwelt, weiterhin gut für unsere Zähne? Auf vielen der neumodischen, schönen Tuben entdeckt man nämlich den Hinweis «Ohne Fluorid». Dabei ermahnen Schulzahnpflegerinnen doch schon die Kleinsten, unbedingt ein Gel mit eben diesem Wirkstoff zu verwenden. Verunsicherung im Bad, und das dreimal täglich.

Blogger rühren Zahnpaste lieber selber an

Blogger und Youtuber wettern gerade gerne über Fluorid. Böse sei es, sehr böse. Es schade der Gesundheit. Der Stoff sei nicht nur hochgiftig, er mache auch dumm, verursache Alzheimer und Krebs, so die Behauptungen im Netz. Die Verbreiter berufen sich auf Studien aus Mexiko. Diese sollen bei Kindern von Müttern, die in der Schwangerschaft stark fluoridhaltiges Wasser getrunken haben, einen tieferen Intelligenzquotienten ergeben haben.

Natürliche Inhaltsstoffe: Eine Fluorid-freie Zahnpasta mit Sanddorn, Kardamom und Wasabi.
Natürliche Inhaltsstoffe: Eine Fluorid-freie Zahnpasta mit Sanddorn, Kardamom und WasabiBild: ZVG

Dem Deutschen Marlon Drescher genügen nicht einmal mehr die Produkte aus dem Bio-Handel. Er, optisch eine Mischung aus Heiligem und Tarzan, rührt seine Zahnpaste selber an. Auf seinem Youtube-Kanal Raw Future TV demonstriert er, wie das geht. Eine seiner wichtigsten Zutaten: Kokosöl. Es soll antibakteriell wirken, dem Körper Giftstoffe entziehen. Und dem Mund ebenso, meint Drescher. Auch Natron gibt er rein. «So kriegen wir nochmals viele Schadstoffe gebunden.»

Was hält der Experte von dieser ­Fluorid-Verteufelung?

«Die Dosis macht das Gift. Das gilt für jeden Stoff, sogar für Kochsalz»

, sagt Florian Wegehaupt, wissenschaftlicher Abteilungsleiter am Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich. Und beruhigt: «Mit dem alltäglichen Gebrauch von Fluorid liegen wir weit unter den Werten, die für uns gefährlich werden könnten.» Um die Gesundheit tatsächlich zu riskieren, müsste ein Mensch 20 Tuben Zahnpaste auf einmal verschlingen, sagt die Stiftung Warentest. Sie erachtet Aufklärung als den effektivsten Weg, um Fluorid-Gegner zu entwaffnen: Fluorid habe nichts mit dem tatsächlich hochgiftigen, reinen Fluor zu tun. Das harmlose Fluorid komme als Salz in Natriumfluorid vor.

Eine Tube mit Meersalz, Grüntee und Salbei.
Eine Tube mit Meersalz, Grüntee und Salbei.Bild: ZVG

Fluorid hilft, wenn der Mensch nachlässig putzt

Wissenschafter Wegehaupt selber gibt Öko-Zahnpasten immer wieder eine Chance. «Schliesslich ist es nicht falsch, Althergebrachtes zu hinterfragen und neue Ideen aufzubringen. Sonst hätte sich die Branche vermutlich nie Gedanken über Mikroplastik in der Zahnpaste gemacht. Heute kommt er nur noch in wenigen Produkten vor», sagt Wegehaupt.

Nebst dem Geschmack («zu minzig oder zu öko») kritisiert er das fehlende Fluorid in vielen Bio-Zahncremes. Und kommt damit zum selben Schluss wie das Magazin «Ökotest». Es hat 65 Bio-Zahnpasten für Erwachsene geprüft. Das Resultat: In rund 80 Prozent der getesteten Produkte fehlt ein nachweisbarer Schutz vor Karies, weil in ihnen kein oder zu wenig Fluorid steckt.

«Unsere Zähne brauchen Fluorid»

, erklärt Florian Wegehaupt. Würde der Mensch es schaffen, die Zähne mit der Zahnbürste hundertprozentig sauber zu bekommen, würde sich der Einsatz des Wirkstoffs erübrigen. «Doch der Mensch ist nachlässig und kommt mit den Borsten nicht in jede Ecke des Mundes», sagt Wegehaupt.

Wo Bakterien liegen bleiben, verwandeln sie Zucker und Kohlenhydrate in Säure, diese greift die Zähne an. Mit der Zeit entsteht Karies. «Fluorid schützt vor diesen Säureangriffen.»

Der Grossverteiler Coop hat rund zehn Bio-Zahnpasten im Sortiment. Vier Naturaline-Zahnpasten sind gemäss Mediensprecherin Rebecca Veiga erst im Spätherbst dazu gekommen. «Wir verzeichnen aktuell ein Anstieg der Nachfrage und werden das Sortiment an Bio-Zahnpasten im laufenden Jahr wahrscheinlich weiter vergrössern», sagt sie. Auch eine Zahnpaste mit Aktivkohle ist darunter – ohne Fluorid.

Anfänglich sogar unter Zahnärzten umstritten

Dem Wirkstoff ist – neben Aufklärung und Schulzahnpflege – es zu verdanken, dass Karies bis heute deutlich zurückgegangen ist. Wegehaupt verweist auf Studien, die belegen, dass Fluorid rund 40 Prozent aller möglichen Kariesfälle verhindert. Erstmals habe man in den 1940er-Jahren bemerkt, wie positiv es sich auf Zähne auswirke, sagt er. In einigen Gegenden enthielt das Trinkwasser damals Fluorid. Bei der Bevölkerung dort traten zwar häufiger weisse Flecken auf den Zähnen auf, dafür weniger Karies. «In den 1950er-Jahren noch war der Stoff sogar unter Zahnärzten umstritten. Man kannte ihn noch nicht gut und ging zurückhaltend damit um», sagt Wegehaupt. Erst in den 60er- und 70er-Jahren hat Fluorid den Massenmarkt erobert.

Und was ist mit der Aktivkohle oder Kokosöl statt Fluorid? Beides soll die Zähne sauber machen und aufhellen. Wegehaupt warnt vor Kohle: «Man bekommt zwar den Zahn sauber, schrubbt ihn aber zum Teil auch weg. Die Kohlebestandteile können äusserst hart sein.» Dem Kokosöl sage man nach, dass es Bakterien leicht ablöse. «Eigentlich macht das jedes Öl. Auf das Kokosöl folgt dann wohl ein anderes angesagtes Öl. Diese Neuheiten sind marketingtechnisch gut bearbeitet», sagt Wegehaupt. Sein Fazit: «Ausgefallene Sachen zu exorbitanten Preisen.» Dabei würden in Test die normalen Produkte meist am besten abschneiden.

Man kann heute durchaus den Überblick über den Zahnpastenmarkt verlieren. Überforderten hilft vielleicht etwas, das ist wie früher. Wegehaupt:

«Gutes Putzen ist nach wie vor wichtiger als die Zahnpaste selber.»

(bzbasel.ch)

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sarkasmusdetektor
15.02.2020 10:28registriert September 2017
Schlangenölverkäufer und Scharlatane. Das Informationszeitalter hatten wir uns anders vorgestellt.
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Helvetiavia Philipp
15.02.2020 10:11registriert Februar 2018
Auch beim Wasser macht die Dosis das Gift. Wir müssen es trinken, können aber darin ertrinken.
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Pafeld
15.02.2020 11:08registriert August 2014
Natürlich kann man mit solchen Zahnpasten die Zähne eine Weile lang sauber kriegen und kariesfrei halten. Bis die Fluoridierung in die Tiefen des Schmelzes komplett abgebaut ist. Wer dann noch regelmässig Fruchtsäfte, Cola oder Energydrinks trinkt, kann seinen Schmelz innert Wochen komplett ruinieren. Noch gefährlicher ist es bei Kindern, welche noch keine Durchfluorierung haben. Da verlassen sich Eso-Eltern (wie bei Impfgegnern) auf den Schutz, den sie selbst haben, und bringen das Kind mit ihrer Ignoranz unnötig in Gefahr.
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