Herr Margreiter, Erektionsstörungen betreffen immer mehr jüngere Leute, schreiben Sie und sehen die Ursache allem voran in der Digitalisierung der Sexualität. Wieso?
Markus Margreiter: Dass die Patienten immer jünger werden, ist eine Beobachtung, die ich persönlich mache. Die Jüngsten sind um die 20. Bei Jugendlichen kommt es durch soziale Medien, Tinder und vor allem der Internet-Pornografie zu einem anderen Erleben der Sexualität.
Das heisst?
Es ist so, dass uns heute alles online zur Verfügung steht und unsere Fantasie gar nicht mehr gefordert ist. Auch lassen sich mit nur wenigen Klicks immer extremere Inhalte anschauen. Erste Studien deuten darauf hin, dass es deswegen zu einer veränderten Architektur von Gehirnarealen kommt, die für die Ausschüttung von Belohnungssubstanzen zuständig sind.
Die Erektionsstörungen treten also auf, weil die Fantasie durch Pornos bereits übersättigt ist und das echte Leben dem gar nicht mehr das Wasser reichen kann?
Genau. Wobei ich Pornografie an sich gar nicht verteufeln möchte. Das Problem liegt in deren stetigen Verfügbarkeit im Zeitalter der digitalen Sexualität. Zudem besteht eine Schere zwischen der Realität und dem, was man in den Videos zu sehen bekommt.
Wie oft kann man Pornos schauen, ohne in ein problematisches Konsummuster zu fallen?
Es gibt bisher keine gute Definition, ab wann man von einer Pornosucht spricht. Aus medizinischer Sicht verhält sich das gleich wie bei anderen Suchterkrankungen. Es kann von einer Störung gesprochen werden, sobald es zu Problemen im normalen Leben kommt. Ein guter Indikator von Missbrauch ist, wenn die sexuelle Befriedigung nur noch über den Pornokonsum läuft und alltägliche Aktivitäten vernachlässigt werden. Wenn der Pornokonsum jedoch ergänzend zum normalen Ausleben der Sexualität stattfindet, dann ist das völlig in Ordnung.
Bei Tinder erschliesst sich mir die Verbindung zu Erektionsstörungen jedoch nicht.
Tinder führt zu einem veränderten Verständnis von Sexualität. Wir verlernen das normale Ansprechen einer Person in Alltagssituationen, die partnerschaftliche Kommunikation geht vergessen. Dies kann wiederum zu Stress im echten Leben führen.
Aber auch bei Tinder muss man sich erstmal verabreden und sich treffen, bevor es zum Geschlechtsverkehr oder anderem kommt.
Natürlich. Die Problematik ist aber, dass alles sehr auf das Oberflächliche reduziert wird. Es geht um die Millisekunden des ersten Impulses, swipe ich nach rechts oder links?
Was machen Sie mit den Männern, die mit Potenzproblemen zu ihnen kommen? Müssen die in die Psycho- oder in die Penistherapie?
Das Allerwichtigste ist, erstmal herauszufinden, wann und wie die Probleme aufgetreten sind und wie lange sie schon bestehen. Auch ist es wichtig, die medizinische Vorgeschichte zu erfragen. Gibt es Vorerkrankungen, wie sieht der Lifestyle aus? Ist der Patient Raucher oder trinkt er viel Alkohol? Gibt es Hinweise auf hormonelle Störungen?
Und dann?
Dann geht es zur psychischen Ebene: Gab es aktuelle Ereignisse, die mit Erektionsstörungen in Verbindung gebracht werden können? Sind in diesem Bereich Auffälligkeiten ausfindig zu machen, werden viele Patienten zu einem Sexualtherapeuten geschickt. Der klärt weitere Hinweise ab, die zu den Problemen geführt haben könnten. Häufiger sind jedoch die körperlichen Ursachen wie Veränderungen im Bereich der Gefäße, Hormone oder der Nerven. Das bedarf dann ebenfalls weiterer Abklärung.
Was ist mit den hartnäckigen Fällen?
Bestehen die Probleme bereits seit Jahren, muss man tatsächlich ein Penis-Rehabilitationsprogramm starten, dass aus verschiedenen Therapien besteht. Da kommen dann zum Beispiel Viagra oder ähnliche Mittel oftmals täglich zum Einsatz. Zusätzlich kann man mit Stosswellentherapie das Gewebe der Schwellkörper verbessern. Bei Patienten, die schwere Veränderungen an den Gefässen haben, kann man mittels interventionellen Techniken versuchen, diese Gefässe wieder zu öffnen. Und sollte einmal keine der Therapien einen befriedigende Wirkung zeigen, gibt es immer noch die Möglichkeit von Schwellkörper-Implantaten.
Sie schreiben in ihrem Buch auch über die passende Kleidung für Hoden. In welchen Kleidern fühlen sich die Hoden denn am wohlsten?
Dass die Hoden ausserhalb des Körpers angesiedelt sind, hat einen Grund. Der Körper kann so die Temperatur der Hoden beeinflussen. Wenn es kalt ist, zieht sich der Hodensack näher zum Körper, wenn es warm ist, dehnt er sich eher aus. Wenn die Temperatur jedoch stetig erhöht ist, wie zum Beispiel durch das Tragen von sehr engen Hosen oder der häufigen Benutzung des Schosses als Abstellplatz eines Laptops, dann kommt es zur verschlechterten Samenproduktion.
Neue Studien zeigen, dass die Spermienqualität kontinuierlich sinkt. Dies, obwohl wir immer gesünder leben. Wie kann das sein?
Es stimmt, dass wir prinzipiell immer gesundheitsbewusster werden. Die Störungen treten jedoch auf, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind. Dies liegt einerseits an den sogenannten endokrinen Disruptoren. Das ist die Summe einer Vielzahl von Stoffen, die zum Teil über Düngemittel oder Weichmacher ihren Weg in unsere Nahrung finden. Diese Stoffe können zu einer schlechteren Spermienproduktion führen.
Und andererseits?
Das zweite Problem ist der Stress. Wir leben in einer Zeit, in der Stress allgegenwärtig ist. Dieser ständige Druck kann den hormonellen Kreislauf beeinflussen.
Wird die Menschheit also irgendwann komplett unfruchtbar?
So ein dramatisches Bild würde ich nicht zeichnen. Es gibt immer eine natürliche Selektion. Es findet zudem eine stetige evolutionäre Adaption an die geänderten Lebensumstände statt. Auch bei den Kinderwunschbehandlungen machen wir grosse Fortschritte. Durch die Medizin lassen sich also gewisse Trends abfedern.
Die Gesundheit von Männern ist von einem Randthema zu einer riesigen Industrie geworden. Wie sah das vor 20 Jahren aus?
Dr. Margreiter: Männergesundheit war damals noch nicht im Fokus des Interesses. Mittlerweile ist es in aller Munde. Das ist auch gut so, denn Männer leben im Schnitt immer noch circa fünf Jahre weniger als Frauen. Das ist kein Lifestyle-Thema, sondern eines, dass wirklich ernst zu nehmen ist.
Die Medizin hat aber auch Fortschritte gemacht.
Absolut. Ein gutes Beispiel sind Prostatakrebs oder die gutartige Prostatavergrösserungen: Operationen finden mittlerweile mithilfe von Robotern statt und es gibt neueste medikamentöse Therapien. Die Lebenserwartung bei Männern mit Prostatakrebs ist dramatisch gestiegen.
Schwellkörper-Implantaten
Die Spinnen die Römer!
Ist mit mir alles in Ordnung?