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Marco Sieber: «Ich bin weder ein Draufgänger noch ein Adrenalinjunkie»

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Schweizer Astronauten-Lehrling: «Ich bin weder ein Draufgänger noch ein Adrenalinjunkie»

Der Berner Marco Sieber wird als erst zweiter Schweizer zum Astronauten ausgebildet. Im Interview erzählt er, welche Rolle Claude Nicollier für ihn gespielt hat, wohin ihn seine erste Mission führen wird und für welche Mars-Mission er nicht zu haben wäre.
27.11.2022, 14:2528.11.2022, 15:02
Raffael Schuppisser, Stephanie Schnydrig / ch media
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Der Schweizer Astronaut Marco Sieber. (25. November 2022)
Der Berner Marco Sieber ist Teil der 17-köpfigen Astronauten-Klasse, die die europäische Weltraumorganisation ESA aus 22’500 Bewerberinnen und Bewerbern zusammengesetzt hat.Bild: ESA

Als Kind las er Bücher über das Universum und baute mit seinem Bruder Raketen zusammen. Dann aber geriet der Weltraum für Marco Sieber etwas in Vergessenheit. Jetzt ist er ihm so nah wie nie zuvor: Er ist Teil der 17-köpfigen Astronauten-Klasse, die die europäische Weltraumorganisation ESA aus 22’500 Bewerberinnen und Bewerbern zusammengesetzt hat. Im Frühjahr nächsten Jahres startet die Ausbildung im europäischen Astronautenzentrum in Köln.

Herzliche Gratulation! Nach Claude Nicollier sind Sie erst der zweite Schweizer, der das Auswahlverfahren zum Astronauten bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA bestanden hat. Hat er Ihnen schon gratuliert?
Marco Sieber:
Ja, er hat mir eine Mail geschrieben. Wir waren bereits zuvor in Kontakt. Als ich mich für das Verfahren beworben habe, habe ich ihn um Rat gefragt. Ich dachte nicht, dass er antworten würde, doch er hat mir ausführlich zurückgeschrieben. Und gesagt, ich solle mich wieder melden, wenn ich die nächste Testrunde überstehe. So wurde er ein bisschen zu meinem Mentor.​

Was waren das für Tests, die Sie absolvieren mussten?
Zuerst musste ich wie bei jedem anderen Job einen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben einreichen. Dann gab es kognitive Tests, in denen das mathematische und räumliche Denken sowie das Erinnerungsvermögen überprüft wurden. Später kamen psychologische Tests hinzu, dann die medizinische Leistungsprüfung. Am Schluss gab es ein Interview mit dem Generaldirektor der ESA, Josef Aschbacher.​

Waren Sie überrascht, so weit zu kommen?
Natürlich habe ich nicht damit gerechnet. Bei so vielen Bewerbern ist das ja auch fast unmöglich. Nach der ersten Runde dachte ich: «Das wars jetzt wohl.» Trotzdem bin ich weitergekommen. Und das auch bei den nächsten Tests. Das Perfide ist ja, dass man nicht genau weiss, auf was geschaut wird. Und plötzlich habe ich die letzte Runde überstanden.​

Haben Sie auch einmal kalte Füsse bekommen und sich gefragt: Will ich das wirklich?
Je weiter ich gekommen bin, desto öfters habe ich mir solche Gedanken gemacht. Am Schluss war ich aber absolut überzeugt, dass ich das will.​

Sie sind Arzt. Das scheint uns nicht gerade die typische Astronautenausbildung zu sein.
Die gibt es auch nicht. Voraussetzung ist ein abgeschlossenes wissenschaftliches Studium. Es gibt einige Ärzte unter den Astronauten der ESA und der Nasa. Aber natürlich auch Biologen, Physiker, Geologen und Testpiloten. Wichtig ist, dass ein Team breit zusammengesetzt ist. Medizin ist ein Gebiet, auf dem im Weltall auch geforscht wird. Ausserdem ist es natürlich ein Vorteil, wenn man einen Arzt an Bord hat, schliesslich muss man sich bei einem medizinischen Notfall ja selber zu helfen wissen.​

Dennoch, wenn man Ihren Lebenslauf anschaut, denkt man nicht: Der wird sicher einmal Astronaut.
Naja, Astronaut war immer einer meiner Kindheitsträume.​

Unserer war das auch einmal. Doch es blieb ein Traum. Was lief bei ihnen anders?
Ich habe mich von der Konkurrenz nicht abschrecken lassen. Vor sechs Jahren habe ich gesehen, dass man sich als Schweizer bewerben kann. Dann habe ich mich genauer informiert und es einfach versucht. Mein Glück war, dass gerade ein Zeitfenster aufging. Es war das erste Bewerbungsverfahren der ESA seit 2008. Wann das nächste kommt, ist ungewiss.​

Sie sind 33 Jahre alt. Das optimale Alter für einen werdenden Astronauten?
Man kann sich bis 50 bewerben. Es gibt also auch ältere Kandidaten. Jüngere auch. Wobei man nach dem Studium drei Jahre Berufserfahrung mitbringen muss.​

Wie viel verdient man eigentlich als Astronaut, so viel wie ein Arzt?
Ungefähr so viel wie als Assistenzarzt. Ein guter Lohn. Aber ich mache das ja nicht wegen des Geldes.​

Sie sind Fallschirmaufklärer, Notfallmediziner, Gleitschirmflieger, Taucher, Skitourengänger – es ist bestimmt von Vorteil, ein Draufgänger und Adrenalinjunkie zu sein als Astronaut.
Ich würde mich weder als Draufgänger noch als Adrenalinjunkie bezeichnen. Wenn man Unfallstatistiken anschaut, ist Fallschirmspringen auch nicht sonderlich gefährlich. Es kommt immer darauf an, wie man solche Sportarten betreibt. Eine vernünftige Risikoabwägung ist wichtig, also auch mal Nein zu sagen, wenn etwas zu gefährlich erscheint. Und man ist gezwungen, schnell Entscheidungen zu treffen. Wenn man das alles beherrscht, ist das auch ein Vorteil als Astronaut.​

Und was kommt jetzt auf Sie zu?
Zuerst eine Grundausbildung, die ungefähr ein Jahr dauert und während der man immer wieder Tests bestehen muss. Man muss lernen zu tauchen und zu fliegen - was ich beides schon ein wenig kann. Da Russisch die zweite offizielle Sprache an Bord der ISS ist, gehört Russischunterricht zur Ausbildung. Es gibt auch ein Überlebenstraining und man wird zu Aufbau und Funktionsweise der Internationalen Raumstation ISS unterrichtet.​

Was folgt nach dieser Grundausbildung?
Dann werden die Missionen zugeteilt und man bereitet sich explizit darauf vor.​

Was wird Ihre Mission sein?
Das weiss ich noch nicht, aber es wird voraussichtlich zur ISS gehen.

Und später zum Mond?
Naja, es sind wieder astronautische Mondflüge geplant - die ersten seit über 50 Jahren. Es werden hier bestimmt zuerst die erfahrenen Astronauten von der ESA und Nasa zum Zug kommen. Aber wer weiss, wie sich das entwickelt, vielleicht gibt es da dereinst noch mehr Möglichkeiten.

Würden Sie sich dann trauen, in eine Mondrakete zu steigen?
Natürlich. Das wäre ein wahnsinniges Erlebnis. Und es wäre toll, als Astronaut und Forscher mitzuhelfen, dass Menschen einmal permanent auf dem Mond leben könnten.

Warum denn auf dem Mond? Die Lebensbedingungen sind noch viel unwirtlicher als am Nordpol.
Natürlich ist der Mond aus wissenschaftlicher Sicht spannend. Die Erkenntnisse, die man dort gewinnen kann, helfen, das Sonnensystem und das Universum besser zu verstehen. Ausserdem: Wenn die Menschheit wirklich einmal auf den Mars und vielleicht noch weiter im Weltall vorrücken will, bietet der Mond eine ideale Testumgebung, um herauszufinden, wie es sich in einer lebensfeindlichen Umgebung leben lässt. Dafür braucht es viele technische Mittel - gerade was das Recycling betrifft. Das wiederum generiert auch einen Benefit für das Leben auf der Erde.​

Würden Sie auch in eine SpaceX-Rakete von Elon Musk steigen?
Die europäischen Astronauten werden derzeit schon mit einer Dragon-Kapsel von SpaceX befördert. Darum ja, man muss dort einsteigen.

Würden Sie auch auf den Mars fliegen?
Das ist noch weit weg. Es gibt noch viele technische, medizinische und psychologische Herausforderungen, die gelöst werden müssten. Eine Mission würde über 500 Tage dauern und wie man mit der Strahlenbelastung umgeht, ist noch immer nicht geklärt. Aber klar wäre ich interessiert, solange es einen Plan für einen Rückflug gibt und es nicht eine One-Way-Mission wäre.

(bzbasel.ch)

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