Es klingt wie eine Idee aus Christopher Nolans Science-Fiction-Streifen «Interstellar»: Eine Unterwasserstadt, die autark wirtschaftet. Was wie eine Utopie anmutet, könnte schon bald Realität werden. Die japanische Baufirma Shimizu hat kürzlich einen Vorschlag für eine Unterwassersiedlung präsentiert: «Ocean Spirals», eine mit Acrylglas ummantelte Kapsel, soll Platz für 5000 Bewohner bieten. Ein gigantischer konkaver Pfeiler bildet das Herzstück der Kugel. In ihr sollen Geschäfte, Hotels und Wohnungen untergebracht werden.
Auf ersten Renderings ist zu sehen, wie Menschen durch eine grosszügig gestaltete Einkaufspassage spazieren und auf Sitzgruppen Kaffee trinken. An den verglasten Scheiben schwimmen Fische vorbei. Die Kapsel ist an einem Sockel befestigt, dessen Spirale sich durch die Tiefen des Ozeans windet. In einem neuartigen Verfahren sollen mithilfe von Mikroorganismen Kohlenstoffdioxid und Wasser in Methan umgewandelt werden, mit der Umwandlung von thermischer Meeresenergie soll zusätzlich Strom erzeugt werden. Die Energie soll dazu genutzt werden, Meerwasser zu entsalzen. Mit hydraulischem Druck soll das Wasser schliesslich in die Kapsel gepumpt werden. «Es ist an der Zeit, eine neue Schnittstelle mit der Tiefsee zu schaffen, der letzten Grenze der Welt», heisst es in der Unternehmensbroschüre.
Die Idee, eine unterseeische Stadt zu erbauen, klingt zunächst etwas abwegig. Doch Japan gehört zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Erde. Das Bauland in den Metropolen ist knapp, und die Landgewinnungs-Massnahmen können nur begrenzt erfolgen. «Ocean Spiral» soll «sicherer und komfortabler» sein als die Städte an Land, heisst es. Sicherer, weil die Unterseekapsel keinen Erdbeben und Taifunen ausgesetzt sei (Tsunamis wiewohl schon), komfortabler, weil es konstanter temperiert und mit höheren Sauerstoffkonzentrationen versorgt werden könne. Ob die Versorgung mit Sauerstoff effizienter erfolgen kann als die Luftreinhaltungs-Massnahmen in den versmogten Innenstädten, wird sich zeigen.
Das Projekt stützt sich auf die Expertise eines Forschungsteams der Universität Tokio und geniesst breite politische Unterstützung. 30 Billionen Yen, umgerechnet 20 Milliarden Euro, soll das Vorhaben kosten, die Bauzeit beträgt 15 Jahre. Das ist kein Pappenstiel, vor allem wenn man bedenkt, wie wenig Bewohner in die Kapsel passen. Um eine Stadt mittlerer Grösse im Ozean anzusiedeln, müsste man Billionen Euro investieren. Geld, das der hochverschuldete japanische Staat nicht hat. Hinzu kommt, dass Japan eine rapide alternde Gesellschaft ist und die Städte – mit Ausnahmen von einigen Wachstumskernen in Tokio – mit Schrumpfung konfrontiert sind – und nicht mit Wachstum.
Der deutsche Städteforscher Christian Dimmer, der an der University of Tokyo lehrt, sagt im Gespräch mit watson: «Prinzipiell ist jedes stadtplanerische Gedankenspiel zu begrüssen, das sich mit dem steigenden Meeresspiegel im Zuge des Klimawandels auseinandersetzt und das darauf abzielt, resilientere Städte zu bauen. Auf der anderen Seite erscheint es mir fraglich, ob diese reinen Extrapolationen des technisch Machbaren die richtigen Antworten für die komplexen Herausforderungen der Zukunft liefern können.»
Eine bauliche Herausforderung besteht in den Materialien. Um dem Druck des Wassers Stand zu halten, benötigt man eine drei Meter dicke Acrylglasscheibe, die zusätzlich mit glasfaserverstärktem Kunststoff verkleidet wird. Die Versorgung mit sauberem Wasser und Sauerstoff ist eine logistische Herausforderung. Gewiss, die Japaner sind für ihren Ehrgeiz und Präzisionswillen bekannt. Doch Zweifel angesichts der Nachhaltigkeit bleiben.
«Die langfristige Unterhaltung einer solchen Unterwasserstruktur erscheint mir fragwürdig, sowie deren Verletzlichkeit gegen Terrorangriffe, Unterwasserbeben oder andere unvorhersehbaren Störfälle», erklärt Städteingenieur Dimmer. Es stelle sich generell die Frage, ob ein dermassen komplexes, kostspieliges und zentral gesteuertes Projekt die richtigen Antworten für die Herausforderungen der Zukunft bereithält. Wer wird sich leisten können in solchen Städten zu leben? Wer entscheidet, wer dort einziehen darf und wer draussen bleiben muss? Es wird wohl ein Luxusdomizil sein. «Ich könnte mir vorstellen, dass derartige Unterwasserstädte interessante Alternativen darstellen könnten für eine wohlhabende Klientel in den Vereinigten Arabischen Emiraten – eine neue Art von (Unterwasser-) Gated Community», so Dimmer.