Wissen
Leben

Der Astrophysiker Heino Falcke ist tiefgläubig

Interview

«Die Frage, warum es überhaupt etwas gibt, kann die Physik nicht beantworten»

Als «ein seltenes Exemplar» wurde der renommierte Wissenschafter Heino Falcke schon bezeichnet. Denn er ist nicht nur Astrophysiker, sondern auch tiefgläubig. Ein Gespräch über Gott, Leben im Kosmos und den Beginn und das Ende von allem.
25.12.2025, 17:2225.12.2025, 17:22
Stephanie Schnydrig / ch media

Herr Falcke, wer sich wie Sie mit den Grenzen des physikalisch Möglichen beschäftigt, landet unweigerlich bei den grundlegendsten aller Fragen: Warum gibt es überhaupt etwas – das Universum, die Erde, uns – und nicht einfach nichts?
Heino Falcke: Das müssen Sie den lieben Gott fragen (lacht). Wissenschaftlich können wir nur beschreiben, wie aus etwas, das schon da ist, etwas Neues wird. Es braucht immer einen Anfangszustand, der durch Naturgesetze weitergeführt wird. So entstehen aus dem Urknall Galaxien, Sterne und irgendwann die Welt, die wir kennen. Aber die grundlegende Frage, warum es überhaupt etwas gibt, kann die Physik nicht beantworten. Da stösst sie an ihre Grenzen.

In Ihrem neuen Buch «Zwischen Urknall und Apokalypse» schreiben Sie, dass man – wenn man immer weiterfragt – an der Gottesfrage nicht vorbeikommt.
Genau. Denn wie kann aus einem raumlosen Zustand auf einmal Raum werden? Aus einem zeitlosen Zustand Zeit? Das gab es vor dem Urknall alles nicht. Mathematische Modelle können gewisse Prozesse beschreiben, aber auch sie setzen voraus, dass zuvor «irgendetwas» existiert hat.

In der Kosmologie gibt es aber durchaus Ideen, was «davor» gewesen sein könnte.
Absolut. Manche Wissenschafter beschäftigen sich etwa mit dem sogenannten Inflatonfeld, das Universen entstehen lässt – ein geheimnisvolles quantenmechanisches Feld, das den Raum durchzieht und neue Universen erzeugt. Tja, aber woher kommt dieses Feld? Auch das kann die Theorie nicht erklären. Bis zum Urknall vorzudringen ist schon schwer genug. Durch ihn hindurchzuschauen und zu sehen, was dahinter liegt – das geht vielleicht in Science-Fiction, aber sicher nicht in Science-Reality.

Wie nah kommen wir denn heute wissenschaftlich an den Urknall heran?
Durch Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung kommen wir etwa bis 380’000 Jahre nach dem Urknall heran. Mit Berechnungen noch weiter zurück, bis zu physikalischen Zuständen, die wir sogar in Teilchenbeschleunigern wie am CERN in Genf nachstellen können. So können wir die ersten Sekunden, ja Mikrosekunden nach dem Urknall rekonstruieren. Vielleicht kommen wir mit besseren Modellen noch näher heran – vielleicht sogar bis an den Urknall selbst. Aber wie wir je die ersten Nano- oder Pikosekunden nicht nur berechnen, sondern tatsächlich beobachten sollten? Dafür gibt es keine Idee. Das bleibt hinter einem Schleier verborgen.

Einige Forscher hoffen, dass künstliche Intelligenz eines Tages neue physikalische Hypothesen generiert – vielleicht sogar Erklärungen für den Beginn von allem. Wie sehen Sie das?
Manche KI-Wissenschaftler fabulieren mehr Unsinn als die KI selbst. (lacht) KI ist ein hervorragendes Werkzeug, um Muster in Daten zu erkennen, komplexe Strukturen und komplizierte Funktionen zu analysieren. Aber sie basiert natürlich auf existierenden Denkmustern von Menschen und muss auf solchen Daten trainiert werden. Wenn sie anfängt, sich selbst zu trainieren, läuft sie Gefahr, in die Irre zu gehen.

Aber braucht es nicht manchmal die irrwitzige Idee, auf die vorher niemand gekommen ist?
Doch. Ich will nicht ausschliessen, dass maschinelles Lernen neue Zusammenhänge findet – das wird passieren. Doch verstehen wir sie dann auch? Wir führen riesige Simulationen durch, und oft wissen wir selbst nicht genau, was darin passiert. Berechnen heisst nicht verstehen. Die Vorstellung, KI werde gottgleich alle Probleme lösen, halte ich für Hybris.

Physiker und Laienprediger
Heino Falcke erlangte weltweite Berühmtheit, als ihm mit seinem Team 2019 das erste Foto eines Schwarzen Lochs gelang. Das sei, so beschreibt er es, als wolle man von der Schweiz aus ein Senfkorn in New York fotografieren. Falcke ist vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem renommierten Balzan-Preis. Der 59-Jährige ist Professor für Radioastronomie an der niederländischen Radboud-Universität. Neben seiner akademischen Tätigkeit ist er Prädikant in der evangelischen Kirche. Sein neuestes Buch «Zwischen Urknall und Apokalypse» ist bei Klett-Cotta erschienen. (sny)
infobox image
Bild: chmedia/boris breuer

Wenn wir schon bei Gott sind. Sie betonen immer wieder, dass Sie an Gott glauben. Doch wie müssen wir uns diesen Gott vorstellen? Hat er einfach am Anfang sozusagen das Kommando für den Urknall gegeben – oder greift er noch immer ein?
Es gibt unterschiedliche Vorstellungen. Der philosophische Gottesbegriff, der «unbewegte Beweger», ist nur am Anfang nötig. Aber es gibt auch den Gedanken, dass alles, was existiert, erhalten werden muss. Georges Lemaître, der Priester und Astrophysiker, der den Urknall entdeckte, sprach von Gott als Ursprung – aber auch als dem, der alles erhält. Insofern kann Gott als Schöpfer und Erhalter verstanden werden.

Kann er sogar als Lenker gesehen werden? Zum Beispiel gab es einen Moment im Universum vor rund neun Milliarden Jahren, als die dunkle Energie die Oberhand gewann. Man weiss bis heute nicht genau, warum das geschah.
Ja, das war die Phase, in der das Universum begann, sich immer schneller auszudehnen. Ich beschreibe die dunkle Energie gern als Himmelshefe: Sie treibt Galaxien mit immer grösserer Geschwindigkeit voneinander weg und wirkt damit der Schwerkraft entgegen.

Kann es also sein, dass diese dunkle Energie irgendwann einfach «angeknipst» wurde?
Rein formal: ja. Ich kenne zwar keinen Physiker, der das ernsthaft annimmt. Wir gehen davon aus, dass die dunkle Energie von Anfang an Teil der Physik war und mit der Entwicklung des Universums gewachsen ist. Aber hundertprozentig ausschliessen können wir nicht, dass da jemand war, der – wie beim Backen – gesagt hat: «Jetzt tun wir noch ein bisschen Salz rein, das habe ich vorher vergessen.» Ich würde trotzdem daraus nicht ein Eingreifen der «Hand Gottes» ableiten wollen.

Vor rund 4,5 Milliarden Jahren entwickelte sich erstes Leben auf der Erde. Gibt es auch Leben andernorts im Universum?
Viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter verweisen gern auf die Millionen erdähnlicher Planeten im Universum. Gemäss ihnen ist es statistisch extrem unwahrscheinlich, dass es nur auf der Erde Leben gibt. Aber diese Rechnung geht für mich nicht auf: Wir wissen ja nicht einmal die genauen Zutaten und Faktoren, die es auf der Erde brauchte, damit Leben entstehen kann. Wie will man da eine saubere Statistik erstellen? Ich argumentiere daher lieber theologisch.

Eine theologische Argumentation für ausserirdisches Leben?
Ja. Denn ich fände es überraschend, wenn Gott wie ein Bastler hätte herumwursteln müssen und es ihm ausschliesslich auf der Erde gelungen wäre, Leben hervorzubringen. Ich würde erwarten, dass er die Naturgesetze so schön und elegant gemacht hat, dass Leben kein «freak accident» ist, kein bizarres Extremerereignis, sondern natürlicher Teil dieser Welt. Ob sich Leben zu intelligentem Leben entwickelt, ist eine andere Frage.

Wie meinen Sie das?
Wenn man anschaut, was auf der Erde alles nötig war, damit wir heute hier sitzen – 4,5 Milliarden Jahre Erdgeschichte, voller Naturkatastrophen, Aussterbeereignisse, merkwürdiger Zufälle wie ich es in meinem Buch beschreibe –, dann kann es sein, dass am Ende, wenn man alle Faktoren multipliziert, vielleicht weniger als ein Planet pro Milchstrasse herauskommt, auf dem intelligentes Leben möglich ist. Wir wären dann diese eine intelligente Spezies.

Ist das Entstehen von Bewusstsein und Intelligenz eine blosse Laune der Natur – oder spiegelt sich darin etwas Grundsätzliches wider?
Wenn ich auf den Menschen schaue, ist der Mensch durch und durch Physik und Chemie. Da sind Elektroströme, da sind Hormone, da sind Quantenteilchen im Kopf. Und trotzdem entsteht aus der Summe dieser Teilchen etwas Neues: eine Persönlichkeit, jemand, der denken, planen, hoffen, lieben kann. Offensichtlich erlauben die Naturgesetze das. Aber es ist nicht offensichtlich, dass das so sein muss. Man könnte sagen: Okay, das ist eine Eigenheit von uns Menschen, wir haben das erfunden. Theologisch betrachtet könnte man aber auch sagen, dass wir nur etwas widerspiegeln, was von Anfang an schon da war – wie es in der Genesis heisst: Gott schuf den Menschen als Mann und Frau, und zusammen waren sie Spiegelbild Gottes.

Wenn Sie von Gott sprechen: Ist Gott für Sie eher etwas – oder jemand?
Das ist natürlich auch eine dieser Fragen, die die Physik nicht beantworten kann. Dafür brauchen wir andere «Sensoren». So gibt es Menschen, die von Gotteserfahrungen berichten und demnach fühlen: Gott ist nicht nur etwas, sondern jemand, mit dem ich rechnen kann, mit dem ich rechnen muss – und mit dem ich rechnen will. Das ist letztlich auch meine persönliche Gottesüberzeugung und Glaubensentscheidung.

Hilft Ihnen der Glaube, wenn Sie auch die Welt schauen mit all den Kriegen, der Klimakrise,  neue Technologien, die oft verantwortungslos genutzt werden?
Ja, ich vertraue letztlich auf einen guten Schöpfer, der uns hilft, immer wieder die richtige Richtung zu finden und uns manchmal zur Besinnung ruft. Es gibt diesen Witz: Zwei Planeten unterhalten sich. Sagt der eine: «Wie geht es dir?» – «Nicht so gut.» – «Was hast du?» – «Ich habe Homo sapiens.» – «Keine Sorge, das geht vorbei.» Mir gefällt aber eine andere Version besser.

Wie lautet sie?
Der eine Planet sagt: «Ich habe Homo sapiens.» Und der andere fragt: «Wow, was ist das? Davon habe ich noch nie gehört.» – «Total spannend. Im Moment sind sie noch ein bisschen randalierende Teenager, aber ich glaube, die kriegen das noch hin.»

Und das glauben Sie?
Wir sind nicht nur gut, aber eben auch nicht nur böse. Ich bin hoffnungsvoll, dass wir am Ende doch zum Schluss kommen: Es ist viel schöner, in einer guten Welt zu leben als in einer schrecklichen. Ich fürchte zwar, dass wir wieder unangenehme Zeiten erleben – haben wir ja bereits –, aber es wäre schön, wenn wir diese Zeiten begrenzen könnten.

So ungewiss wie der Anfang ist auch das Ende des Universums. Wie wird aus Ihrer Sicht alles enden?
Das Einzige, was sicher ist: Es wird enden. Niemand weiss wann oder wie. In etwa 500 Millionen Jahren wird die Sonne so heiss sein, dass auf der Erde alles verdampft. Spätestens dann brauchen wir gute Technologien – oder eine Alternative zur Erde. Wir haben keine Wahl.

Glauben Sie ernsthaft, dass es die Menschheit dann noch gibt?
Warum nicht? Das Leben gibt es schon seit drei bis vier Milliarden Jahren, den Menschen mit seiner Steinzeit immerhin seit rund 2,5 Millionen. Die Idee «Es ist sowieso alles bald vorbei» finde ich Quatsch. Aber ja: In etwa 7,5 Milliarden Jahren wird sich die Sonne so stark aufblähen, dass sie die Erde verschlingt. Selbst dann gäbe es prinzipiell Möglichkeiten: Wir könnten zum Beispiel mit Asteroiden die Erde langsam etwas weiter nach aussen schubsen, weg von der Sonne. Aber nach und nach werden im Universum alle Sterne ausbrennen. Das Einzige, was dann noch leuchten würde, wären weisse Zwerge – Sternenleichen. Die könnte man noch zur Energiegewinnung anzapfen, aber irgendwann ist auch das aufgebraucht.

Und dann?
Wir haben kürzlich eine wissenschaftliche Studie publiziert, in der wir postulieren, dass nicht nur Schwarze Löcher verdampfen, sondern am Ende alles. Das wäre das ultimative End-Szenario: In 10 hoch hundert Jahren ist tatsächlich alles weg.

10 hoch 100 Jahren! Das ist eine Eins mit hundert Nullen.
Ich finde das einen guten Kompromiss: Auch wenn die Zeitskalen absurd lang sind, müssen wir uns daran gewöhnen, dass alles endlich ist.

Wie gehen Sie persönlich mit der Endlichkeit um?
Indem ich jede Minute, jede Sekunde wertschätze, die uns gegeben ist. Das Universum hat 13,8 Milliarden Jahre gebraucht, um uns und alles um uns herum hervorzubringen. Sich daran nicht mehr zu erfreuen, einfach weil man keine Lust mehr hat, fände ich dem Universum gegenüber undankbar. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die schönsten Weltraumbilder 2024
1 / 17
Die schönsten Weltraumbilder 2024

Elektrischer Donut
Diese neonblau-weiss-goldene Schönheit ist das Resultat der Supernova Cassiopeia A – ein expandierender Ball aus Materie und Energie, den ein explodierter Roter Überriese ausgestossen hat. Das Gebilde, das einen Durchmesser von etwa 10 Lichtjahren hat, umhüllt einen Ort relativer Ruhe im Zentrum des Supernova-Überrests. Durch das Loch in der Mitte erinnert es an einen gigantischen, knisternden, elektrisch blauen Donut.

... Mehr lesen
quelle: nasa/esa//csacxc/sao/stscl
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Das ist eine Sackgasse»: Astrophysiker zerlegt die Atomenergie in 57 Sekunden
Video: twitter
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
79 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Krämer Ochsenknecht
25.12.2025 17:48registriert März 2022
Besser noch nicht wissen oder nie erklähren können, als mit einer spekulativen Idee die Wahrheit pachten und das deuten der Warheit auf sich selbst und seine Organisation beschränken.
226
Melden
Zum Kommentar
avatar
Firefly
25.12.2025 17:37registriert April 2016
Und wieso soll momentanes nicht Wissen gleich einen Gott implizieren? Die Geschichte lehrt uns ja, dass es eben nicht so ist, sondern sich das Wissen immer erweiterte, ohne dass ein Gott zum Vorschein kam.
207
Melden
Zum Kommentar
79
Songtexte sind seit den 70er-Jahren negativer geworden
Die Texte von beliebten Songs sind in den letzten 50 Jahren negativer und einfacher geworden. Das zeigt eine neue Studie.
Ein Forschungsteam aus den USA und aus Österreich analysierte dafür die Texte von allen Liedern, die zwischen 1973 und 2023 in den wöchentlich erscheinenden «Billboard-Hot-100-Charts» auftauchten. Nach dem Entfernen von mehrmals geführten Liedern kamen sie so auf über 20'000 Songs.
Zur Story