Webb-Teleskop entdeckt Exoplaneten mit spezieller Form
Das Objekt mit einer Masse, die in etwa jener des Jupiter entspricht, umkreist seinen Stern in einer Entfernung von nur 1,5 Millionen Kilometer, was einem Prozent der Entfernung der Erde zur Sonne entspricht. Für einen Umlauf, also ein Jahr, benötigt PSR J2322-2650b, wie der Exoplanet heisst, lediglich 7,8 Erdstunden. Die extreme Schwerkraft des Sterns – PSR J2322−2650 ist ein Pulsar, der sich in rund 750 Lichtjahren Entfernung von der Erde im Sternbild Südlicher Fisch befindet – zieht den gesamten Planeten in eine längliche Form, ähnlich einer Zitrone oder einem Rugbyball.
Das Forschungsteam um Hauptautor Michael Zhang, Exoplanetenforscher an der Universität von Chicago, kam in seiner in The Astrophysical Journal Letters veröffentlichten neuen Studie zu derart ungewöhnlichen Ergebnissen, dass die Astronomen überlegen müssen, ob sie eine völlig neue Klasse kosmischer Objekte darstellen.
«Unsichtbarer» Mutterstern
Pulsare – von Englisch puls(ating st)ar – sind schnell rotierende, stark magnetisierte Neutronensterne. Diese zu annähernd 90 Prozent aus Neutronen bestehenden Sternkerne – die Überreste nach der Supernova eines massereichen Sterns – besitzen etwa anderthalb Sonnenmassen, jedoch komprimiert auf einen Radius von nur etwa 10 Kilometern. Ihre Materie ist so dicht, dass ein Teelöffel davon mehrere Milliarden Tonnen wiegt.
Pulsare senden zudem wie ein Leuchtturm einen weitreichenden Energiestrahl entlang ihrer Pole aus, der für Teleskope wie ein sich wiederholendes Signal erscheint. Da sie jedoch hauptsächlich Gammastrahlen aussenden, bedeutet dies auch, dass ihr Licht für Teleskope wie das James-Webb-Teleskop, die im Infrarotbereich arbeiten, unsichtbar ist. Dies bietet eine perfekte Gelegenheit, Exoplaneten zu untersuchen, die sonst oft vom Licht ihres Sterns überstrahlt werden.
«Dieses System ist einzigartig, weil wir den Planeten sehen können, der von seinem Mutterstern beleuchtet wird, aber den Mutterstern selbst überhaupt nicht sehen können», sagte Maya Beleznay, Physikerin an der Stanford University und Mitautorin der Studie, in einer Mitteilung der NASA. «So erhalten wir ein wirklich unverfälschtes Spektrum. Und wir können dieses System detaillierter untersuchen als normale Exoplaneten.»
Eigenartige Atmosphäre
Ebenso ungewöhnlich wie die Zitronenform des Planeten ist auch die Zusammensetzung seiner Atmosphäre. Sie besteht fast ausschliesslich aus Helium und Kohlenstoff, was bisher auf keinem anderen Planeten beobachtet wurde. Das liegt daran, dass molekularer Kohlenstoff sich leicht mit anderen Elementen wie Sauerstoff und Stickstoff verbindet, die häufig auf Planeten und insbesondere auf Gasriesen vorkommen. Dies deutet darauf hin, dass diese Elemente nicht vorhanden sein dürften. Gemütlich ist es auf PSR J2322−2650b übrigens nicht: Es herrschen Oberflächentemperaturen von bis zu 2000 Grad Celsius – viermal heisser als auf der Venus, dem heissesten Planeten unseres Sonnensystems.
Mit der eigenartigen Zusammensetzung der Atmosphäre geht auch ein seltsames Wetter einher. Die Astronomen vermuten, dass Wolken aus Kohlenstoffruss durch die Luft schweben. In der Nähe des Planetenkerns könnten diese Wolken zu festen Diamantfragmenten kondensieren.
Derzeit ist alles an PSR J2322-2650b ein Rätsel. Nur wenige Pulsare sind dafür bekannt, dass sie einen Planeten haben – geschweige denn einen, der wie eine Zitrone geformt ist, Wolken aus Graphit hat und keine Elemente aufweist, die auf anderen Welten nachgewiesen wurden.
Kosmische Schwarze Witwe?
Eine Möglichkeit ist, dass es sich bei dieser Konfiguration um eine Art Sternsystem handelt, das als Schwarze Witwe (englisch Black Widow Pulsar) bekannt ist. Solche Systeme bestehen aus einem Pulsar, der allmählich Materie von einem kleineren Begleiter in seiner Umlaufbahn absaugt und ihm so das Leben entzieht, bis er vollständig verschlungen ist. Bisher wurde eine solche Konstellation jedoch nur zwischen einem Pulsar und einem anderen Stern beobachtet, nicht zwischen einem Pulsar und einem Planeten.
Das lässt vermuten, dass es sich bei dem Exoplaneten tatsächlich um eine Art Sternrest handelt, der bereits seit Äonen abgetragen wird. «Er hätte 99,9 Prozent seiner Masse verloren, und wir haben ihn zufällig genau am Ende seiner Existenz entdeckt», erklärte Mitautor Peter Gao vom Carnegie Earth and Planets Laboratory in Washington gegenüber der New York Times.
Die spannendere Alternative ist, dass wir Zeugen eines «völlig neuen Objekttyps sind, für den wir noch keinen Namen haben», wie Zhang gegenüber der Zeitung feststellte. «Hat sich dieses Ding wie ein normaler Planet gebildet? Nein, denn seine Zusammensetzung ist völlig anders. Hat es sich durch das Abstreifen der Aussenschicht eines Sterns gebildet, wie es bei ‹normalen› Schwarzen-Witwen-Systemen der Fall ist? Wahrscheinlich nicht, denn in der Kernphysik entsteht kein reiner Kohlenstoff», erklärte Zhang in der NASA-Mitteilung. «Es ist sehr schwer vorstellbar, wie man zu dieser extrem kohlenstoffreichen Zusammensetzung kommt. Das scheint jeden bekannten Entstehungsmechanismus auszuschliessen.»
«Aber es ist schön, nicht alles zu wissen», kommentierte dies Ko-Autor Roger Romani von der Stanford University und dem Kavli-Institut für Teilchenastrophysik und Kosmologie. «Ich freue mich darauf, mehr über die Seltsamkeiten dieser Atmosphäre zu erfahren. Es ist toll, ein Rätsel zu haben, dem man nachgehen kann.» (dhr)
