Diesen Sommer bin ich für einmal wegen und nicht trotz der Hitze zu einer Erkenntnis gelangt: Es ist zu heiss für ein Leben ohne Fächer.
Sagt, was ihr wollt, aber für unterwegs in den unklimatisierten Gefilden einer sich erwärmenden Welt gibt es nichts Besseres, nichts Nützlicheres und nichts Hübscheres als ein solch faltbares Wedelblatt.
Nur ist der Fächer seit seiner letzten Trend-Saison im Sommer 1752 nicht nur verstaubt, sondern regelrecht begraben worden. Ein Haufen Geschichte hat sich über ihn drübergelegt, bis ihm die Luft wegblieb. Den Würmern und Käfern hingegeben, die sich seither unaufhaltsam durch sein pergamentenes, schwanenhäutiges, papierenes, seidiges oder aus reinster Spitze gewobenes Blatt fressen. Ein in Fetzen hängendes Stäbchenskelett ist übrig geblieben.
Seines Anmutes, seines Zweckes, seines ganzen einst so wunderbar wedelnden Wesens beraubt, liegt er da und wartet auf die vollkommene Auflösung seiner kümmerlichen Überreste.
Zumindest in Europa. Was ist da passiert?
Erfunden wurde er von den alten Ägyptern vor etwa 4000 Jahren. Und wie es sich gehört, galten die Fächer dort als heilige Gegenstände, weshalb Tutanchamuns Grab auch gleich mit acht davon bestückt wurde und ein besonders kunstvoller davon wie durch ein Wunder all die Zeit unbeschädigt überstanden hat.
Und wenn der Pharao keine Lust hatte, sich selbst Luft zuzufächeln, übernahmen das natürlich seine Sklaven für ihn. Wie überall in den warmen Ländern der damaligen Erde die Herrscher von ihrer Dienerschaft mit langstieligen Federwedeln heruntergekühlt und von lästigen Insekten beschützt wurden.
Dem Luftzufächeln haftet also seit jeher etwas Royales an, auch wenn der Pöbel dafür selbst Hand anlegen musste. Aber damit haben wir hierzulande ja kein Problem, schliesslich sind wir seit 1291 quasi absichtsvoller, selbst gewählter Pöbel, eine Willensnation und «ein einzig Volk von Brüdern».
Und wer sein Schwert und damit sein Schicksal selbst in die Hand nimmt, der sollte auch vor dem Gebrauch eines Fächers nicht zurückschrecken.
Leider ist das Fächertragen in Europa zum reinen Frauending geworden. Ausser in kirchlichen Kreisen, nur sind die in Geschlechterfragen nun auch nicht gerade die Anlaufstelle Nummer eins.
Aber sie hatten äusserst reizende Flabelli, dem orientalischen Königszeremoniell entlehnte Wedel aus Pfauenfedern, die dazu dienten, geweihtes Brot und Wein vor ruchlosem Geschmeiss zu verteidigen.
Das, was die Kreuzritter im 12. Jahrhundert über Venedig nach Europa brachten, fand sich dagegen nur in Damenhänden:
Kultivierte Damen trugen also einen Fächer. Und verbargen dahinter ihre Emotionen. Oder wahlweise auch einen Kropf.
Im 16. Jahrhundert brachten uns portugiesische Kaufleute schliesslich den heute gebräuchlichsten Fächertyp aus Ostasien mit: den Faltfächer.
Erdacht wurde der Ōgi oder Sensu irgendwann im 7. Jahrhundert in Japan, wo er bald zum kaiserlichen Inventar gehörte. Dort wird er auch heute noch getragen vom Kaiser und der Kaiserin an ihrer Inthronisierung und an ihrer Hochzeit. Und überhaupt an allen Shinto-Hochzeiten im Lande.
Wen japanische Hochzeiten nicht zu überzeugen vermögen, dem sei an dieser Stelle der Tessen oder Tetsu-Sen vorgestellt: Der eiserne Fächer der Samurai. Eine als harmloser Luftwedler getarnte Waffe.
Denn wenn ein Samurai das Haus eines anderen Samurai betrat, legte er sein Katana am Hauseingang ab. Dank seines mit schweren Eisenplatten versehenen Kampffächers aber war er im Falle eines Überraschungsangriffs nicht wehrlos.
Mit ihm liessen sich zudem Messer und Pfeile abwehren. Und wer wusste, wie, konnte den Tessen auch als Wurfwaffe verwenden.
Von den diversen chinesischen Kampfkünsten, in denen Fächer zum Einsatz kommen, wollen wir gar nicht erst anfangen.
Gut.
In Europa sind wir offensichtlich noch nicht so weit. Aber wir hatten ja auch keine Samurai. Das Einzige, was hier gemacht wird, um jenen geschichtsträchtigen Luftzuführer bei den Männern zu promoten, ist, ihn mit Totenköpfen zu bedrucken und darunter zu schreiben: «it's fucking hot» (Quelle: Patrick Toggweiler in einem Laden in Marseille, Juni 2024).
Die Feststellung der Temperatur ist natürlich extrem viel männlicher als so ein römisches Kolosseum oder Zeus' Raub der Europa. Nicht auszudenken, jemand käme mit dem Ausbruch des Vesuvs! Mit solcherlei Motiven hat man die Fächer in ihrer Blütezeit um 1750 geschmückt.
Und dahinter vollführten die Trägerinnen ihr Versteckis für Erwachsene. «Schau her, mein hinauftoupierter Busen in meinem siebenlagigen Kleide!», sagte der geschlossene Fächer auf ebenjene verführerischen Wölbungen deutend, und kaum hatte sich das angereizte Augenpaar darauf eingefunden, stellte sich seinem Blick schon wieder der Vesuv entgegen.
Ein Spiel mit der Lava sozusagen.
«Kokettieren» nannte man jene Kunst damals – ein Wort geformt aus dem französischen coq, also dem Hahn, sprich dem eitlen Gockel. Irgendwo auf Gottes unergründlichen Wegen wurde also jene lasterhafte Eigenschaft vom Hahn auf die Henne abgewälzt, denn gefallsüchtig waren gewiss nur die Damen der Schöpfung, wenn auch das Tierreich einen Haufen Gegenbeweise kennt, man schaue sich nur den Paradiesvogel (Lophorina niedda) an, der verwandelt sich während seines Balztänzchens quasi in einen lebendigen Fächer:
Hätten die Herren das in den Ballsälen des 18. Jahrhunderts mal so gehalten, hätte man die Frauen auch nicht reihenweise aus ihrer Ohnmacht herausfächern müssen, in die sie wegen ihrer schweren Kleider und eng geschnürten Korsetts dauernd fielen. Die Tänze wären von höherer Qualität gewesen als jene dümmlichen Quadrillen und Menuette und überhaupt hätte es die zwischengeschlechtliche Zeichensprache enorm vereinfacht.
Keine verdutzten Gesichter auf dem Parkett, keine Verwirrung ob einer vermeintlich zugefächerten Geheimbotschaft.
Vielleicht ist der Fächer vor lauter Enttäuschung und Frust über falsch gedeutete Gesten und nicht angekommene Liebesgeständnisse auf dem Müllhaufen unbrauchbarer Damenmode gelandet – direkt auf dem Korsett.
Dabei war er da, wo er herkam – in Ägypten – bis Griechenland, von China bis Indien ein Instrument gegen die natürlich herrschende Hitze. Niemals dafür bestimmt, diverse Anfälle von Bewusstlosigkeit in unnatürlich stickigen Ballsälen europäischer Höfe zu verhindern. Und jetzt, wo er hier wegen alledem nicht mehr ist, haben wir dafür die Klimaerwärmung.
Das ist schlechtes Timing. Oder einfach die Zeit, in der wir Fächer ganz dringend wieder hoffähig machen müssen.
Fächer sind wirklich äusserst hilfreich bei Hitze. Und mir ist es völlig egal, ob das nun als typisch weibliches/männliches/them accessoire angesehen wird. Hauptsache er kühlt.
Und ja, vielen Dank Frau Rothenfluh für die immer wieder interessanten Beiträge.
unklimatisierte Schule besucht, hätten Sie die Rennaissance des Fächers persönlich miterlebt. Sowohl in den Klassen- wie den Lehrpersonenzimmern...