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Fächer gegen die Hitze: Darum solltest du dir einen zulegen

A reclining lady with a fan by Eleuterio Pagliani (1826-1903).
«Liegende Frau mit Fächer», gemalt vom italienischen Maler Eleuterio Pagliani, 1876.Bild: wikimedia

Warum du einen Fächer brauchst

24.08.2024, 13:1824.08.2024, 14:21
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Diesen Sommer bin ich für einmal wegen und nicht trotz der Hitze zu einer Erkenntnis gelangt: Es ist zu heiss für ein Leben ohne Fächer.

Sagt, was ihr wollt, aber für unterwegs in den unklimatisierten Gefilden einer sich erwärmenden Welt gibt es nichts Besseres, nichts Nützlicheres und nichts Hübscheres als ein solch faltbares Wedelblatt.

Nur ist der Fächer seit seiner letzten Trend-Saison im Sommer 1752 nicht nur verstaubt, sondern regelrecht begraben worden. Ein Haufen Geschichte hat sich über ihn drübergelegt, bis ihm die Luft wegblieb. Den Würmern und Käfern hingegeben, die sich seither unaufhaltsam durch sein pergamentenes, schwanenhäutiges, papierenes, seidiges oder aus reinster Spitze gewobenes Blatt fressen. Ein in Fetzen hängendes Stäbchenskelett ist übrig geblieben.

Seines Anmutes, seines Zweckes, seines ganzen einst so wunderbar wedelnden Wesens beraubt, liegt er da und wartet auf die vollkommene Auflösung seiner kümmerlichen Überreste.

Zumindest in Europa. Was ist da passiert?

Woman with a Fan (Lunia Czechowska) 1919 (oil on canvas) by Modigliani, Amedeo (1884-1920)

Musee d'Art Moderne de la Ville de Paris, Paris, France/ Giraudon/ The Bridgeman Art Library

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Das würde Modiglianis «Frau mit Fächer» also auch gerne mal wissen, 1919.Bild: wikimedia

Erfunden wurde er von den alten Ägyptern vor etwa 4000 Jahren. Und wie es sich gehört, galten die Fächer dort als heilige Gegenstände, weshalb Tutanchamuns Grab auch gleich mit acht davon bestückt wurde und ein besonders kunstvoller davon wie durch ein Wunder all die Zeit unbeschädigt überstanden hat.

Tutanchamuns Fächer aus Straussenfedern und Elfenbeingriff
Der Pharao hatte die Straussen, die für seinen Fächer Federn lassen mussten, selbst gejagt. Der Griff besteht aus Elfenbein und wurde mit eingravierten Pigmenten und Goldbändern versehen, der Knauf wurde aus Lapislazuli gefertigt, einem tiefblauen Schmuckstein.
Bild: goppion

Und wenn der Pharao keine Lust hatte, sich selbst Luft zuzufächeln, übernahmen das natürlich seine Sklaven für ihn. Wie überall in den warmen Ländern der damaligen Erde die Herrscher von ihrer Dienerschaft mit langstieligen Federwedeln heruntergekühlt und von lästigen Insekten beschützt wurden.

Dem Luftzufächeln haftet also seit jeher etwas Royales an, auch wenn der Pöbel dafür selbst Hand anlegen musste. Aber damit haben wir hierzulande ja kein Problem, schliesslich sind wir seit 1291 quasi absichtsvoller, selbst gewählter Pöbel, eine Willensnation und «ein einzig Volk von Brüdern».

Die Herren Fürst, Stauffacher und von Melchtal beim Rütlischwur.
Die Herren Fürst, Stauffacher und von Melchtal beim Rütlischwur.bild: wikimedia/watson

Und wer sein Schwert und damit sein Schicksal selbst in die Hand nimmt, der sollte auch vor dem Gebrauch eines Fächers nicht zurückschrecken.

Leider ist das Fächertragen in Europa zum reinen Frauending geworden. Ausser in kirchlichen Kreisen, nur sind die in Geschlechterfragen nun auch nicht gerade die Anlaufstelle Nummer eins.

Aber sie hatten äusserst reizende Flabelli, dem orientalischen Königszeremoniell entlehnte Wedel aus Pfauenfedern, die dazu dienten, geweihtes Brot und Wein vor ruchlosem Geschmeiss zu verteidigen.

Fronleichnamsprozession in Rom, Papst mit Flabelli, Lithographie um 1830
Fronleichnamsprozession in Rom, Papst mit Flabelli, Lithographie um 1830.Bild: wikimedia

Das, was die Kreuzritter im 12. Jahrhundert über Venedig nach Europa brachten, fand sich dagegen nur in Damenhänden:

Heinrich II.
Zum Vergleich sehen wir hier das männliche Modeaccessoire an Katharinas Gatten Heinrich II.: Die gar nicht mal so schamhafte Schamkapsel. Dazu Strumpfhosen und kurze Pluderhosen (kommt übrigens vom mittelhochdeutschen blodern, was «hervorquellen» bedeutet und damit wie das Plaudern den gleichen Ursprung besitzt) mit Schlitzen.
Bild: wikimedia
Was bevorzugst du von diesen Renaissance-Dingen?

Kultivierte Damen trugen also einen Fächer. Und verbargen dahinter ihre Emotionen. Oder wahlweise auch einen Kropf.

Im 16. Jahrhundert brachten uns portugiesische Kaufleute schliesslich den heute gebräuchlichsten Fächertyp aus Ostasien mit: den Faltfächer.

Erdacht wurde der Ōgi oder Sensu irgendwann im 7. Jahrhundert in Japan, wo er bald zum kaiserlichen Inventar gehörte. Dort wird er auch heute noch getragen vom Kaiser und der Kaiserin an ihrer Inthronisierung und an ihrer Hochzeit. Und überhaupt an allen Shinto-Hochzeiten im Lande.

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Von Mann und Frau am Tag ihrer Vereinigung getragen: der Faltfächer.Bild: instagram/wakonstyle

Wen japanische Hochzeiten nicht zu überzeugen vermögen, dem sei an dieser Stelle der Tessen oder Tetsu-Sen vorgestellt: Der eiserne Fächer der Samurai. Eine als harmloser Luftwedler getarnte Waffe.

Minamoto no Yoshiie (1039–1106, Heian-Zeit) hält einen japanischen Kriegsfächer mit dem Symbol der japanischen Sonnenscheibe. Auch zum Befehle-Erteilen und Signalisieren war er geeignet.
Minamoto no Yoshiie (1039–1106, Heian-Zeit) hält einen japanischen Kriegsfächer mit dem Symbol der japanischen Sonnenscheibe. Auch zum Befehle-Erteilen und Signalisieren war er geeignet.bild: wikimedia
Tokugawa Ieyasu (1543–1616, Edo-Zeit), der Begründer des Tokugawa-Shogunats, trägt neben seinem Langschwert (Katana) einen Tessen.
Tokugawa Ieyasu (1543–1616, Edo-Zeit), der Begründer des Tokugawa-Shogunats, trägt neben seinem Langschwert (Katana) einen Tessen. Bild: wikimedia

Denn wenn ein Samurai das Haus eines anderen Samurai betrat, legte er sein Katana am Hauseingang ab. Dank seines mit schweren Eisenplatten versehenen Kampffächers aber war er im Falle eines Überraschungsangriffs nicht wehrlos.

Mit ihm liessen sich zudem Messer und Pfeile abwehren. Und wer wusste, wie, konnte den Tessen auch als Wurfwaffe verwenden.

Von den diversen chinesischen Kampfkünsten, in denen Fächer zum Einsatz kommen, wollen wir gar nicht erst anfangen.

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Auch in China werden seit jeher Fächer aller Art von beiden Geschlechtern verwendet. Neben ihrem Einsatz in der Kampfkunst sind sie ebenso Bestandteil von traditionellen Tänzen. Ausserdem werden sie als ästhetisches Accessoire verwendet, dienen als Statussymbol oder tragen rituelle Bedeutung.Bild: wikimedia

Gut.

In Europa sind wir offensichtlich noch nicht so weit. Aber wir hatten ja auch keine Samurai. Das Einzige, was hier gemacht wird, um jenen geschichtsträchtigen Luftzuführer bei den Männern zu promoten, ist, ihn mit Totenköpfen zu bedrucken und darunter zu schreiben: «it's fucking hot» (Quelle: Patrick Toggweiler in einem Laden in Marseille, Juni 2024).

Die Feststellung der Temperatur ist natürlich extrem viel männlicher als so ein römisches Kolosseum oder Zeus' Raub der Europa. Nicht auszudenken, jemand käme mit dem Ausbruch des Vesuvs! Mit solcherlei Motiven hat man die Fächer in ihrer Blütezeit um 1750 geschmückt.

Und dahinter vollführten die Trägerinnen ihr Versteckis für Erwachsene. «Schau her, mein hinauftoupierter Busen in meinem siebenlagigen Kleide!», sagte der geschlossene Fächer auf ebenjene verführerischen Wölbungen deutend, und kaum hatte sich das angereizte Augenpaar darauf eingefunden, stellte sich seinem Blick schon wieder der Vesuv entgegen.

Ein Spiel mit der Lava sozusagen.

Lady with a Fan is an Impressionist Pastel Painting created by Eva Gonzalès from c.1869 to 1870.
Dermassen kokett, dass sie nicht mal zu uns hinüberschaut! «Dame mit Fächer» von der französischen Malerin Eva Gonzalès, 1869/1870.Bild: arthistoryproject
«Frauen sind mit Fächern so bewaffnet wie Männer mit Schwertern, und manchmal sind sie damit auch effektiver.»
Jean Auguste Dominique Ingres, La Grande Odalisque, 1814
«La Grande Odalisque» von Jean Auguste Dominique Ingres ist mit ihrem Fächer ganz sicher sehr effektiv, 1814.Bild: wikimedia

«Kokettieren» nannte man jene Kunst damals – ein Wort geformt aus dem französischen coq, also dem Hahn, sprich dem eitlen Gockel. Irgendwo auf Gottes unergründlichen Wegen wurde also jene lasterhafte Eigenschaft vom Hahn auf die Henne abgewälzt, denn gefallsüchtig waren gewiss nur die Damen der Schöpfung, wenn auch das Tierreich einen Haufen Gegenbeweise kennt, man schaue sich nur den Paradiesvogel (Lophorina niedda) an, der verwandelt sich während seines Balztänzchens quasi in einen lebendigen Fächer:

Animiertes GIFGIF abspielen
Jep, dieser Vogel will sich definitiv paaren. Und ist das Weibchen nicht willig, fliegt sie einfach davon.ugif: thisiscolossal

Hätten die Herren das in den Ballsälen des 18. Jahrhunderts mal so gehalten, hätte man die Frauen auch nicht reihenweise aus ihrer Ohnmacht herausfächern müssen, in die sie wegen ihrer schweren Kleider und eng geschnürten Korsetts dauernd fielen. Die Tänze wären von höherer Qualität gewesen als jene dümmlichen Quadrillen und Menuette und überhaupt hätte es die zwischengeschlechtliche Zeichensprache enorm vereinfacht.

Keine verdutzten Gesichter auf dem Parkett, keine Verwirrung ob einer vermeintlich zugefächerten Geheimbotschaft.

Englische Version der «Langage de l’eventail», der Fächersprache.
https://mosaic.gr/duvelleroy/
Der französische Fächerhersteller Duvelleroy wusste, wie Marketing geht: Erfinde eine Story –die Story der geheimen Fächersprache – und schlüssle die entsprechenden Zeichen für die Kundschaft auf. Hier auf einem Flugblatt der Londoner Niederlassung aus dem Jahr 1827.Bild: mosaic.gr

Vielleicht ist der Fächer vor lauter Enttäuschung und Frust über falsch gedeutete Gesten und nicht angekommene Liebesgeständnisse auf dem Müllhaufen unbrauchbarer Damenmode gelandet – direkt auf dem Korsett.

Dabei war er da, wo er herkam – in Ägypten – bis Griechenland, von China bis Indien ein Instrument gegen die natürlich herrschende Hitze. Niemals dafür bestimmt, diverse Anfälle von Bewusstlosigkeit in unnatürlich stickigen Ballsälen europäischer Höfe zu verhindern. Und jetzt, wo er hier wegen alledem nicht mehr ist, haben wir dafür die Klimaerwärmung.

Das ist schlechtes Timing. Oder einfach die Zeit, in der wir Fächer ganz dringend wieder hoffähig machen müssen.

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64 Kommentare
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i schwörs
24.08.2024 14:30registriert April 2016
Vor ca einem Monat Milano besucht. Erster Einkauf: Fächer und Hut. Danach nur noch Wasser :)
Fächer sind wirklich äusserst hilfreich bei Hitze. Und mir ist es völlig egal, ob das nun als typisch weibliches/männliches/them accessoire angesehen wird. Hauptsache er kühlt.
Und ja, vielen Dank Frau Rothenfluh für die immer wieder interessanten Beiträge.
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Walter Sahli
24.08.2024 15:16registriert März 2014
Ich sollte mir auch einen Fächer zulegen. Damit würde ich sicher nicht nur wahnsinnig elegant, sondern auch unfassbar sexy aussehen
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Minerva McGone
24.08.2024 14:00registriert Dezember 2021
Hätten Sie vergangene Hitzewoche eine
unklimatisierte Schule besucht, hätten Sie die Rennaissance des Fächers persönlich miterlebt. Sowohl in den Klassen- wie den Lehrpersonenzimmern...
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