Neue Kritik an «Do They Know It's Christmas?» – diesmal auch von Ed Sheeran
Im November 1984 strahlte der britische Fernsehsender BBC eine Reportage über die Hungersnot aus, die damals in Äthiopien herrschte und der möglicherweise bis zu einer Million Menschen zum Opfer fielen. Die drastischen Bilder schockierten das Publikum – auch die Popstars Bob Geldof und Midge Ure, die beschlossen, ein Weihnachtslied zu schreiben und den Erlös an die Hilfe für die Hungernden zu spenden.
Dies war der Beginn des Projekts «Band Aid», an dem sich zahlreiche Musiklegenden wie Sting, Phil Collins oder David Bowie beteiligten. Das Lied «Do They Know It’s Christmas?» wurde Ende November veröffentlicht. Die Single kletterte in Grossbritannien und diversen weiteren Ländern an die Spitze der Charts, in denen sie danach jahrelang jeweils zur Weihnachtszeit zuverlässig wieder auftauchte. In späteren Jahren wurden Folgeversionen des Songs veröffentlicht – so etwa 2014 zum 30-jährigen Bestehen des Hilfsprojekts.
Sheeran ist wieder dabei – gegen seinen Willen
Auch dieses Jahr, anlässlich des 40. Jahrestags, soll eine Neuauflage erscheinen. Der Produzent Trevor Horn hat darauf Stimmen aus den Aufnahmen von 1984, 2004 und 2014 zusammengeschnitten, auch von bereits Verstorbenen wie George Michael und Sinead O'Connor. Auf dem sogenannten Ultimate Mix ist auch die Stimme von Ed Sheeran zu hören, gemischt mit dem Gesang von Sting aus der Originalversion von 1984. Sheeran hatte bei Band Aid 30 im Jahr 2014 mitgewirkt, neben Coldplay, Sinead O'Connor, Sam Smith, One Direction und Rita Ora.
Wie es scheint, hat Horn jedoch zumindest Sheeran nicht zuvor um Erlaubnis gefragt. Der britische Sänger teilte in einer Story auf seinem Instagram-Account mit, niemand habe seine Zustimmung eingeholt:
Rapper Fuse ODG sagt wieder Nein
In seiner Stellungnahme bezog sich Sheeran auf einen Instagram-Post des britischen Rappers Fuse ODG, der ghanaische Wurzeln hat. Fuse ODG hätte vor zehn Jahren zusammen mit Sheeran an Band Aid 30 teilnehmen sollen, hatte damals aber eine Beteiligung abgelehnt, weil das Lied nicht widerspiegele, was Afrika wirklich sei. Der Rapper hatte insbesondere auf die Zeile «In Westafrika gibt es dieses Weihnachten keinen Frieden und keine Freude» hingewiesen und betont, er sei jedes Jahr in Ghana zum Zweck des Friedens und der Freude. Der Text sei also eine eklatante Lüge.
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‹We Know It's Christmas› ist eine Single, mit der wir unsere Errungenschaften und unseren kollektiven Fortschritt in den letzten zehn Jahren feiern. Es ist an der Zeit, die Kontrolle über unsere Geschichte zurückzuerobern. Alle Einnahmen aus dieser Single gehen an innovative Basisprojekte, die darauf abzielen, Gemeinschaften in ganz Afrika zu verbessern.»
Fuse ODG räumte ein, Band Aid möge zwar Sympathie und Spenden generieren. Doch dabei würden «schädliche Stereotypen» aufrechterhalten, «die das Wirtschaftswachstum, den Tourismus und die Investitionen in Afrika bremsen und den Kontinent letztlich Billionen kosten und seine Würde, seinen Stolz und seine Identität zerstören.» Zudem stamme der Löwenanteil der Gelder, die nach Afrika fliessen, von Afrikanern in der Diaspora und nicht aus Spenden und auch nicht aus der Entwicklungshilfe.
In einem Gespräch mit BBC Radio 1 sagte der Rapper, «Do They Know It's Christmas» zementiere die Vorstellung, dass Afrika von Hunger und Armut geplagt werde, was nicht der Wahrheit entspreche. Als er als Kind zum ersten Mal die Band-Aid-Videos gesehen habe, seien die Bilder so negativ gewesen, dass er sich davon distanzieren wollte, Afrikaner zu sein, «weil es darin keinen Sinn für Stolz gab». Nun hat Fuse ODG einen eigenen Song als Antwort auf «Do They Know It's Christmas» aufgenommen – «We Know It’s Christmas».
Die Kritik ist nicht neu – und sie kommt auch aus Afrika
Die Kritik an «Do They Know It's Christmas» – und dem Band-Aid-Projekt insgesamt – ist allerdings alles andere als neu. Schon früh wurden Stimmen laut, die dem Lied eine kolonialistische, westlich-zentrierte Sichtweise und herablassende stereotype Beschreibung Afrikas vorwarfen. In der Fassung von 2014 wurden darauf mehrere kritisierte Textpassagen geändert, etwa die von U2-Sänger Bono vorgetragene Zeile «Well tonight thank God it’s them instead of you» («Gott sei Dank sind sie es heute Abend und nicht du»). Zudem legte der Text nun den Schwerpunkt auf Ebola und nicht mehr den Hunger.
An dieser 2014er-Fassung kam auch aus Afrika vernichtende Kritik. So fragte «Al Jazeera» mehrere Personen aus verschiedenen afrikanischen Ländern, ob sie wüssten, dass Weihnachten sei, und was sie von solchen westlichen Wohltätigkeits-Liedern hielten. Selbstredend kannten alle Befragten Weihnachten, und alle kritisierten den Song in harschen Tönen. Einige Auszüge:
«Auch die Vorstellung, dass Afrika im Jahr 2014 von abgehalfterten C-Pop-Künstlern gerettet werden muss, ist ein perverses Beispiel für einen Messias-Komplex.»
«Afrikas einzige Hoffnung auf Erfolg im Kampf gegen die Armut ist ein nachhaltiges, strukturiertes und gerechtes Wirtschaftswachstum, das durch Investitionen und Tourismus erreicht wird. Es ist schwer vorstellbar, wie ein paar Dollar, die hin und wieder aufgetrieben werden, den Schaden aufwiegen können, der durch die Beschädigung des Images des Kontinents angerichtet wird.»
«Wenn es Bob Geldof und anderen wirklich darum ginge, die Ebola-Bekämpfung zu unterstützen, anstatt ihr eigenes Profil als moderne Heilige zu schärfen, würden sie hinter den Kulissen Geld spenden.»
«Westliche Wohltätigkeitslieder wie das von Geldof vorgeschlagene sind nicht nur herablassend, sondern auch überflüssig und unoriginell. Jetzt einen Ebola-Song zu produzieren, um Geld zu sammeln, fast ein Jahr nach dem ersten gemeldeten Fall in Guinea, ist bestenfalls verspätet. Es riecht nach dem ‹weissen Retterkomplex›, denn es negiert die Bemühungen vor Ort, die vor ihm unternommen wurden.»
Pailey weist überdies auf afrikanische Musiker hin, die bereits Songs mit Ebola-Bezug veröffentlicht hätten. Und richtet den folgenden Aufruf an Geldof:
Kritik kann auch humorvoll sein, wie dieses 2012 veröffentlichte Musikvideo zeigt – eine hübsche Parodie auf Band Aid:
Geldof verteidigt seinen Song
Bob Geldof hat die Kritik an Band Aid verschiedentlich zurückgewiesen. Den Vorwurf, es handle sich um ein Beispiel des «White Saviour Complex», bezeichnete er im Februar dieses Jahres als «Blödsinn»:
“It’s the greatest load of bollocks ever.”
— Times Radio (@TimesRadio) February 15, 2024
Bob Geldof says criticism that Live Aid was an example of the ‘white saviour complex’ is “rubbish”’ and “classic Islington bien pensant.”@MariellaF1 | #TimesRadio pic.twitter.com/dr84nhfXYc
Diesen Monat reagierte er mit einer Stellungnahme auf einen kritischen Artikel im Medien-Netzwerk «The Conversation», in dem es heisst, der Text des berühmten Charity-Songs habe «viele der alten kolonialen Klischees recycelt». Dabei sei die Hungersnot in diesem Fall in erster Linie das Ergebnis von Massenmigration und Not gewesen, die durch einen Krieg zwischen Äthiopien und Tigre verursacht worden seien. Nach Band Aid sei die Beschaffung von Spendengeldern immer mehr zu einem Spektakel geworden, Spender seien zu «Rettern» umgedeutet worden und Prominente hätten angefangen, die Unterstützung von Wohltätigkeitsorganisationen als einen wichtigen Teil ihres Starprofils zu betrachten. All dies sei problematisch, da es echte Lösungen für gesellschaftliche oder ökologische Probleme erschwere.
In seiner Replik argumentiert Geldof, endemischer Hunger sei eine Tatsache, Wasserknappheit sei eine Tatsache, und Regen sei zusehends unzuverlässig. Der Klimawandel treffe die Ärmsten zuerst und am schlimmsten. Kriege würden diese Bedingungen noch verschärfen. Im Hinblick auf Weihnachten und Äthiopien schreibt er:
Den Song «Do They Know It’s Christmas?» verteidigt er dann leidenschaftlich:
Immerhin hat Geldof zugegeben, dass zumindest der musikalische Gehalt des Welthits «Do They Know It’s Christmas?» fragwürdig ist. 2010 sagte er dem «Daily Telegraph» in Australien, er sei «für zwei der schlimmsten Lieder der Geschichte verantwortlich. Das andere ist ‹We Are the World›.»
