Das war der Post von Zora Debrunner auf ihrer Facebook-Chronik:
Wer die Geschichte anschauen möchte, die sie kritisiert, das ist der Link: Wie ein kleines autistisches Mädchen dank ihrer Katzen aufblüht, ist sehr, sehr herzig.
Ich hakte nach und sie antwortete:
Die Passage aus dem Artikel, auf die sie sich bezieht, lautet folgendermassen:
Nach Rücksprache mit der Redaktorin, bemerkte ich ein Missverständnis. Es war nämlich die Mutter, die das Kind so beschrieben hatte. Das kann man hier nachlesen. Dieser Zusammenhang wurde im Artikel jedoch nicht hergestellt. Hier wirkt es so, als ob es von Wikipedia übernommen wurde.
Nichtsdestotrotz: Als kritischer Begleiter der journalistischen Arbeit, interessierte mich das Klischee, das hier (scheinbar) bedient wurde.
Auf Facebook ging die Diskussion folgendermassen weiter:
Worauf ich, etwas versöhnlich, anfügte (ich lasse diskursive und allzu persönliche Nebenschauplätze aussen vor):
Aus diesem sehr aufschlussreichen Interview, das Zora Debrunner mit Aleksander Knauerhase führte – das hier in voller Länger gelesen werden kann – möchte ich gerne vier Fragen/Antworten zitieren:
Zora: Über Autismus gibt es sehr viele Meinungen. Ich bin jetzt mal ein wenig provokant: Lebst du in deiner eigenen Welt?
Aleksander: Leben wir nicht alle in einer eigenen Welt? Jeder nimmt seine Umwelt anders wahr und streng genommen sieht dann auch jeder die Realität mit anderen Augen. Ergo: Jeder lebt in seiner eigenen Welt. Gerade die Wahrnehmung von Autisten ist ja ein ganz elementarer Punkt, wenn man über Autismus redet. Sie ist vor allem der Schlüssel zum Verständnis von Autisten. Wenn ich aber davon ausgehe, was wohl mit «anderer Welt» gemeint ist: Nein. Autisten leben in der gleichen Welt wie alle anderen Menschen auch. Leider wird bei nicht-sprechenden Autisten schnell davon ausgegangen, dass sie keinen Zugang zu «dieser» Welt hier haben, weil sie nicht offenkundig mit der Außenwelt kommunizieren. Aber das ist falsch. Es wird oft vergessen, dass Kommunikation immer etwas mit Senden und Empfangen zu tun hat. Und bloß weil ein Autist auf den ersten(!) Blick nicht sendet, heisst das im Umkehrschluss nicht, dass er nicht empfängt.
Wie zeigt sich der Autismus für Dich?
Diagnostisch gesehen decke ich wohl, mit Ausnahme der Sprachverzögerung, die komplette Bandbreite der Kriterien ab. Zum einen bin ich, wie viele Autisten auch, sensorisch sehr empfindlich. Gerüche und Geräusche nehme ich verstärkt wahr. Das führt dann dazu, um mal ein Praxisbeispiel zu bringen, dass mir die Teilhabe am öffentlichen Leben schwer fällt. Bei Kulturdingen wird sich oft eingeduftet, ich bekomme da Atemnot und Beklemmungen. Im öffentlichen Nah- und Fernverkehr ist es ähnlich. Dazu kommen die Gespräche in meinem Umfeld. Das belastet sehr. Durch die Reizfilterschwäche, die den Autismus ausmacht, ist es für mich sehr schwer in die Öffentlichkeit zu gehen. Es belastet. Wenn es mir sowieso nicht gut geht, lande ich dann schnell in einer Überlastungssituation. Aber auch wenn ich etwas unternehme, was mir Spaß macht, merke ich oftmals hinterher, dass ich sehr erschöpft bin. Ich kann dann z.B. nach einem zweitägigen Goldschmiedekurs eine ganze Woche außer Gefecht sein.
Wenn man in der Schweiz Medienschaffende oder Politiker darauf anspricht, wie sie «Autist» verwenden, kriegt man zu hören, der Sinn des Wortes drücke doch aus, dass jemand egoistisch oder selbstbezogen lebt und keine Rücksicht auf andere nimmt. Was hältst du davon?
Kurz gesagt: Nichts. Zum einen, weil er Autisten nicht gerecht wird. Zum anderen: Solche Wortbedeutungen beruhen auf falschen Rückschlüssen von Menschen. Sie sehen einen Autisten, der in sich gekehrt ist und vielleicht nicht verbal kommuniziert. Er lebt dann, quasi automatisch, in seiner eigenen Welt. Und wer in einer eigenen, abgegrenzten Welt lebt, schaut nicht über seinen Horizont hinaus. Damit ist er egoistisch und rücksichtslos. Wie man sieht: Eine Kette von Annahmen, die schneller gemacht werden, als man das Gegenteil beweisen kann :-/
Gibt es etwas, was du uns ans Herz legen möchtest?
Ich denke: Versuchen Sie die Welt mal mit den Augen eines Autisten zu sehen. Seien Sie achtsam für die Sinnesreize der Umgebung und öffnen sie ihr Bild von Kommunikation. Es gibt viele Wege, auf denen Autisten kommunizieren können; Sprache ist nicht immer der goldene Weg.
Dem möchte ich nichts mehr anfügen. Wir alle sind gefordert – aber insbesondere auch die Journalisten – nicht irgendwelche Klischees zu bedienen; gerade dann, wenn es Menschen betrifft.