Der Widerstand gegen das geplante Kraftwerkprojekt im aargauischen Kaiseraugst lässt sich bis in die 1960er-Jahre zurückverfolgen. Ursprünglich plante der Badener Energiekonzern Motor-Columbus, ein thermisches Energiekraftwerk in Kaiseraugst zu bauen.
Als sich die Bauherrschaft jedoch dazu entschloss, die Wärme für das Kraftwerk nicht mit Öl, sondern aus der Kernenergie zu gewinnen, trug dies zur Ausbildung einer gesellschaftlich breit abgestützten Opposition bei. Die Unzufriedenheit mit dem geplanten Bauvorhaben beschränkte sich nicht bloss auf die Region, sondern erstreckte sich bis ins Elsass und nach Baden-Württemberg.
1970 wurde der Verein «Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen das Atomkraftwerk Kaiseraugst» NAK, später unbenannt in «Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke» NWA, gegründet – eine Organisation mit potenzieller Durchschlagskraft, die beabsichtigte, den fragmentierten Widerstand der AKW-Gegnerinnen und Gegner zu vereinen. Der Verein schöpfte zunächst sämtliche politischen und rechtlichen Instrumente aus. Dazu gehörten Beschwerden, Einsprachen, Initiativen, Interpellationen, Motionen und öffentliche Informationsveranstaltungen. Auch eine Mehrheit der stimmberechtigten Wohnbevölkerung von Kaiseraugst lehnte das Bauvorhaben in einer Konsultativabstimmung am 15. Juni 1972 ab.
In letzter Instanz reichten das NWA sowie die Gemeinden Basel, Kaiseraugst und Rheinfelden eine Klage beim Bundesgericht in Lausanne ein, das den Gegnerinnen und Gegnern des AKW Kaiseraugst am 26. Juli 1973 jedoch eine Absage erteilte. Das Gericht stützte sein Urteil auf das Atomgesetz von 1959, welches die Bewilligungskompetenzen für die Betreibung von Atomkraftwerken grösstenteils den Bundesbehörden zuschrieb.
Die Niederlage vor dem Bundesgericht und die Ausschöpfung sämtlicher legaler Mittel der Opposition konfrontierte die Antiatombewegung mit Herausforderungen, ihre Schlagkraft und ihr Fortbestehen wurden in Frage gestellt. Mit dem Ziel, den Bau des AKW Kaiseraugst doch noch zu verhindern, schlossen sich im Dezember 1973 einige Jungsozialist/innen, Umwelt- und Friedensaktivist/innen zur «Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst» GAK zusammen.
Zwischen Weihnachten und Neujahr und unter bitterkalten Witterungsbedingungen führte die GAK eine erste symbolische Besetzung durch. Auf dem vorgesehenen Baugelände versammelten sich rund zwölf Aktivistinnen und Aktivisten. Sie sassen auf Strohballen und errichteten Plakate. Die Besetzerinnen und Besetzer unterhielten sich mit Vorbeispazierenden über die Gefahren der Kernenergie. Damit beabsichtigte das Komitee, die Aufmerksamkeit der breiten Gesellschaft auf sich und ihren Protest zu ziehen. Die Lausanner Pressebildagentur ASL dokumentierte den sogenannten «Probehock» und berichtete vom solidarischen Verhalten der dort ansässigen Wohnbevölkerung.
Auf erste Aushubarbeiten reagierten die Mitglieder der GAK schliesslich am 1. April 1975 mit einer Besetzung des Baugeländes. Dafür wurden Zufahrtsstrassen mit Fahrzeugen blockiert oder, wie es der Liedermacher Aernschd Born in seiner Ballade ausdrückt:
Die Aktivistinnen und Aktivisten forderten unter anderem den sofortigen Baustopp für Kernkraftwerke und ein demokratisches Mitspracherecht der betroffenen Wohnbevölkerung bei der Errichtung neuer Kraftwerke. Für das Gelingen der Besetzung benötigte die GAK den breiten Rückhalt der öffentlichen Gesellschaft.
Dabei spielten ihre Prinzipien des gewaltfreien Widerstands eine wichtige Rolle. Im Zuge der Besetzung kam es zu zwei spezifischen Grosskundgebungen. Am ersten Sonntag der Okkupation fanden sich rund 16'000 Menschen auf dem Gelände des AKW Kaiseraugst ein.
Die Zahl der Sympathisierenden überstieg die Erwartungen des GAK-Komitees und verlieh ihrem zivilen Ungehorsam zusätzliche Legitimation. Der Protest gegen das projektierte AKW fand in einer breiten Bevölkerungsgruppe mit unterschiedlichen politischen Einstellungen Anklang. Am 26. April 1975 kam es auch auf dem Bundesplatz in Bern zu einer nationalen Mobilisierung der Anti-AKW-Bewegung, die sich mit den Besetzerinnen und Besetzern im Aargau solidarisierte.
Der Protest in Kaiseraugst rückte die Thematik der Kernenergie in den nationalen Fokus und erlangte medial viel Aufmerksamkeit. Diese resultierte aus einem aktiven Austausch zwischen den Besetzerinnen und Besetzern und der Presse. Die Berichterstattung der Medien beförderte die Mobilisierung der Aktivistinnen und Aktivisten, was wiederum das Interesse der Bevölkerung an neuen Medienbeiträgen zu den Protestaktionen weckte. Das rege Interesse der Medien an den Anti-AKW-Protesten trug zu deren Erfolg bei.
Am 14. Juni 1975, nach elf Wochen, wurde das Baugelände von den Besetzerinnen und Besetzern schliesslich freiwillig geräumt. Zuvor war dies in einer Vollversammlung der AKW-Gegnerinnen und Gegner mit etwa 3500 Voten beinahe einstimmig beschlossen worden. Als Gegenleistung sicherten der Bundesrat und die Kernkraftwerke Kaiseraugst den Aktivistinnen und Aktivisten Verhandlungsgespräche und einen vorläufigen Baustopp zu.
Die Gespräche führten jedoch zu keiner Annäherung zwischen den beiden Verhandlungsparteien. Nach dem Scheitern dieser Unterredungen hätte der Energiekonzern Motor-Columbus die Aushubarbeiten in Kaiseraugst fortsetzen können. Die Realisierung des Projekts traf aber auf schwierige politische und ökonomische Umstände.
Die Besetzung des Baugeländes 1975 und die anschliessenden Proteste hielten der breiten Gesellschaft die Gefahren der Kernenergie und die Dringlichkeit einer Revision des eidgenössischen Atomgesetzes vor Augen. Hierfür lancierte die Antiatombewegung kantonale und nationale Abstimmungen. 1979 kam es tatsächlich zu einer Revision des Atomgesetzes. Laut dem vom Volk angenommenen Bundesbeschluss zum Atomgesetz bedurfte es zum Bau von Kernkraftwerken unter anderem einer Rahmenbewilligung und eines Bedarfsnachweises.
Eine solche Rahmenbewilligung für den Bau einer Anlage wurde dem Kernkraftwerk Kaiseraugst am 28. Oktober 1981 erteilt, worauf die Anti-AKW-Bewegung mit weiteren Protesten reagierte. Mit Erfolg: Trotz des Vorhabens kam es nie zum Bau des Kraftwerks. 1988 vereinbarte dann der Bund mit der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG die Nichtrealisierung des Projekts.
Dieser Bundesbeschluss zur Aufgabe des Kernkraftwerks wurde im März 1989 vom eidgenössischen Parlament gutgeheissen. Nach der Besetzung des Bauareals dauerte es also rund 14 Jahre, bis die Pläne des AKW im aargauischen Kaiseraugst endgültig begraben wurden.
Die Beendigung des Projekts lässt sich rückblickend auf unterschiedliche Faktoren zurückführen. Der breite Widerstand und die Mobilisierung der Nordwestschweizer Bevölkerung übten einen starken politischen Druck aus. Auch bestärkte der Austausch mit den Medien und das daraus resultierende mediale Echo die Anstrengungen der Anti-AKW-Bewegung. Darüber hinaus diskreditierte die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 das Bauvorhaben. All jene Faktoren, der Aufschub der Bauarbeiten sowie technische und wirtschaftliche Aspekte trugen letztlich zur Nichtrealisierung bei, denn das projektierte AKW war gewissermassen vor dessen Baubeginn bereits überholt.
Trotzdem konnte der anhaltende Widerstand gegen das geplante Bauvorhaben in Kaiseraugst nicht die endgültige Abkehr von Atomenergie in der Schweiz bewirken. Das AKW Gösgen wurde 1979 und Leibstadt 1984 ans Netz angeschlossen. Dennoch bewirkten die Besetzung und die Proteste in Kaiseraugst die Etablierung einer nationalen Anti-AKW-Bewegung. Dieser Umstand ist auch hinsichtlich aktueller Debatten über die gegenwärtige Stromversorgungssicherheit der Schweiz relevant.
Verfassung Kanton BL, §115, Absatz 2
„Der Kanton erlässt ein Konzept, das die Grundsätze der kantonalen Energiepolitik enthält. Er wirkt darauf hin, dass auf dem Kantonsgebiet oder in dessen Nachbarschaft keine Atomkraftwerke nach dem Prinzip der Kernspaltung […] errichtet werden.“
Kanton BS, §31, Abs. 3:
„ Er [der Kanton] wendet sich gegen die Nutzung von Kernenergie und hält keine Beteiligungen an Kernkraftwerken.“