Im Roman Die Käserei in der Vehfreude von Jeremias Gotthelf aus dem Jahr 1850 beschliessen die Bauern einer fiktiven Emmentaler Gemeinde, mit dem Geld, das eigentlich für den Bau eines Schulhauses gedacht ist, eine grosse Käserei zu bauen – um damit den Vorsprung der Dörfer in der Umgebung aufzuholen. Die Milch wird fortan nicht mehr getrunken, sondern verkäst und weil das den Bauern noch nicht reicht, verdünnen sie die Milch mit Wasser.
Der Betrug fliegt natürlich auf und führt zu weiteren Verwicklungen. Der Klassiker der Schweizer Literatur wurde 1958 durch die Verfilmung durch den Regisseur Franz Schnyder nochmals zu einem Grosserfolg.
Die Geschichte steht gleich für mehrere wichtige Entwicklungen im Bereich der Nahrungsmittelproduktion des 19. Jahrhunderts: Die Ablösung der Berg- durch die Talkäsereien, die wachsende Bedeutung des Käseexports für die Schweizer Wirtschaft und die Qualitätsprobleme. Emmentaler Käse wurde im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Exportprodukte der Schweiz. Die Qualitätsprobleme in der Nahrungsmittelindustrie wurden allerdings erst 1906 mit einem Lebensmittelgesetz auf eidgenössischer Ebene angepackt.
Die Industrialisierung gewann in der Schweiz ab 1850 an Schwung – Industriearbeiter strömten in Massen in die Städte und Zentren. Damit veränderte sich auch ihr Alltag und ein wichtiger Teil davon war die Ernährung. Während in einer ländlich geprägten Kultur viel Zeit auf die Zubereitung der Speisen verwendet wird, schmilzt diese Zeit im beginnenden Industriezeitalter. In den Industriehallen arbeiteten nicht nur Männer und Frauen, sondern auch deren Kinder – zum Kochen hat niemand mehr Zeit.
Dieser Entwicklung der Industrie waren verschiedene Umwälzungen in der Landwirtschaft vorangegangen: Dazu gehörte etwa der Übergang von der Dreifelder- zu einer kontinuierlichen Fruchtwechselwirtschaft. Die Einführung der ganzjährigen Stallhaltung ermöglichte die Produktion von Mist und Jauche als Dünger. Ab Ende des 19. Jahrhunderts begann die Mechanisierung, die wiederum einen Produktivitätssprung bewirkte.
Zwei weitere Entwicklungen ermöglichten und begünstigten den industriellen Wandel: Die Einführung der Kartoffel im 18. Jahrhundert und das Aufkommen des internationalen Handels. Er brachte zum Beispiel Kaffee und industriell hergestellten Zucker ins Land.
Ungefähr ab 1870 entstand eine eigentliche Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Hier machten sich Schweizer Firmen schnell einen internationalen Namen. Kondensmilch war eines der ersten Produkte, das industriell hergestellt wurde. Die beiden wichtigsten Produzenten waren die Anglo-Swiss Condensed Milk Co und Nestlé, die beiden fusionierten 1905. 1865 meldete sich die Firma Wander in Bern mit einem Malzextrakt, aus dem später die Ovomaltine wurde.
1868 begannen die aus Deutschland eingewanderten Brüder Wallrad Ottmar und Philipp Emil Bernhard mit der Produktion von Konserven und konnten sich bald als Lieferanten für die Schweizer Armee etablieren. Aus ihrem Betrieb ging später die Roco hervor. Interessant ist auch die Geschichte von Julius Maggi: Er war eigentlich Müller, verlor aber durch die billigen Getreide-Importe seine Existenzgrundlage und begann aus dieser Notsituation mit der Produktion von Pulversuppen und einer Würze, die sich bald als Maggi-Würze etablieren sollte.
Das neben Käse erfolgreichste Exportprodukt der Schweiz war Schokolade: Kakao gelangte schon früh in die Schweiz und wurde bereits im 18. Jahrhundert etwa im Tessin verarbeitet und veredelt. Die ältesten Schokolade-Fabriken entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Westschweiz: Cailler 1819 in Vevey, Suchard 1826 in Serrièrers, Favarger 1826 in Lausanne. Der Mythos der Schweizer Schokolade liegt in drei Erfindungen begründet: 1826 erfand Philippe Suchard eine Maschine zur Vermengung von Zucker und Kakaopulver, 1875 mischte Daniel Peter Milch und Schokolade und erfand damit die Milchschokolade und 1879 schliesslich gelang Rudolf Lindt in Bern mit dem Conchier-Verfahren eine entscheidende Verfeinerung.
Schokolade war im 19. Jahrhundert ein Exportprodukt – der Erfolg in der Heimat kam erst, als die Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg Schokolade als Proviant beschaffte, später zogen andere europäische Länder nach.
Teigwaren erfreuten sich bei den Industriearbeitern einer wachsenden Beliebtheit: Sie waren günstig im Preis und schnell zubereitet. Entsprechend schossen überall Teigwarenfabriken aus dem Boden, sogar in Ortschaften, die nur wenige Kilometer auseinander lagen wie etwa im Fall der Teigwarenfabrik Hotz in Wila und der Fabrik der Gebrüder Weilenmann in Rikon. Der Siegeszug der Eisenbahn führte bereits am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Konzentration und die Gebrüder Weilenmann produzierten fortan nur noch im verkehrsmässig günstiger gelegenen Winterthur. Aus ihrem Betrieb ging später der Name Bschüssig Teigwaren hervor.
Als Genussmittel setzte sich Bier ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch. Bis dahin waren Wein respektive Apfelwein, oft einfach nur «Most» oder «Suure Most» genannt, die wichtigsten alkoholischen Getränke. Das Bier wurde jedoch vornehmlich in Gasthöfen konsumiert, Flaschenbier war lange ein Luxus. Gab es 1850 schon 150 Brauereien, so waren es 1885 bereits 530.
Grund für das Wachstum waren zwei Entwicklungen: Die Entdeckung von Louis Pasteur ermöglichte es, haltbare Biere herzustellen und die Erfindung von Kältemaschinen löste das Kühlproblem und den umständlichen Transport von Eis, das oft in den Bergen gewonnen und mit Pferdefuhrwerken in die Brauereien gebracht werden musste. Kühlschränke setzten sich in Privathaushalten erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Die rasch sich entwickelnde Eisenbahn schliesslich half bei der Distribution des begehrten Getränks.
Von der Errungenschaft der jungen Nahrungsindustrie profitierten zunächst einmal gewerbliche Betriebe – Essen aus Konserven war bis am Ende des 19. Jahrhunderts eine kostspielige Angelegenheit. Die Ernährung spielte aber im Budget der Arbeiterfamilien die Hauptrolle und war für 62 Prozent der Ausgaben verantwortlich: Das meiste Geld wurde für den Kauf von Brot und Kaffee, respektive Kaffee-Ersatzprodukte wie Zichorie, ausgegeben. Auch Fleisch, Milch und Kartoffeln spielten eine wichtige Rolle.
Die Entwicklung von billigen Pulversuppen war auch ein sozialreformerisches Projekt: Schnaps war ein Grundnahrungsmittel. Noch in den 1930er-Jahren gingen Winterthurer Industriearbeiter schon frühmorgens schnell in den Gasthof, um dort einen Schnaps für 20 Rappen zu trinken.
Zwar hat die Nahrungsmittelindustrie von ihren Anfängen bis heute grosse Veränderungen erlebt – anders als etwa die Maschinen- und Textilindustrie konnte sie sich jedoch in vielen Bereichen weltweit behaupten, vor allem im Bereich der Schokolade. Auch der Käse spielt heute im Export noch eine Rolle. Dass die Schweiz weltweit zu den grössten Kaffee-Exporteuren gehört, ist eine andere Geschichte und liegt unter anderem im Siegeszug von Nestlés Nespresso-System begründet.
Und nebenbei noch gelernt wieso es eigentlich "pasteurisieren" heisst 😅
Ich würde gerne mal zurückreisen um diese produkte probieren zu können um einen vergleich mit heutigen fertig produkten zu haben