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Schöne Aussich­ten am Thunersee

Blick auf Thun und das Hotel Bellevue mit dem Dampfschiff «Bellevue» links, kolorierte Aquatinta von Heinrich Siegfried, um 1840, Verleger Rudolf Dikenmann, Zürich.
Blick auf Thun und das Hotel Bellevue mit dem Dampfschiff «Bellevue» links, kolorierte Aquatinta von Heinrich Siegfried, um 1840, Verleger Rudolf Dikenmann, Zürich.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Schöne Aussich­ten am Thunersee – so wurde in alten Zeiten gereist

Mit Innovationen und entsprechenden Investitionen wurde der Fremdenverkehr in der Schweiz im 19. Jahrhundert gefördert. Treibende Kräfte dazu waren meist Privatpersonen, die das touristische Potenzial erkannten und daran teilhaben wollten. In der Region Thun gehörte die Familie Knechtenhofer zu diesen Tourismuspionieren.
12.08.2023, 20:0912.08.2023, 20:09
Reto Bleuer / Schweizerisches Nationalmuseum
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Beim Besuch des Dichters Johann Wolfgang Goethe im Jahr 1779 ist die Stadt Thun ein überschaubarer Ort, dessen rund 1500 Einwohner vorwiegend im handwerklichen Bereich und im Kleinhandel tätig sind. Reisende, wie Goethe, nächtigen in einem der wenigen Gasthäuser und machen sich dann auf, um mit einem Ruderboot in einer rund fünfstündigen Fahrt den Thunersee zu durchqueren.

Das Ziel der Reise sind die geheimnisumwobenen Berge, Täler und Gletscher der Berner Alpen. Nur wenige nehmen die Strapazen einer solchen Reise auf sich.

Meistens sind es gebildete Leute, die sich aufmachen und ihre alpinen Eindrücke dann in Gemälden, Gedichten, Liedern oder Erlebnisberichten wiedergeben. Auch Reiseempfehlungen werden erstellt, zum Beispiel die «Kurze Anleitung für diejenigen, welche eine Reise durch einen Theil der merkwürdigen Alpgegenden des Lauterbrunnenthals, Grindelwald und über Meyringen nach Bern machen wollen» aus dem Jahr 1777 des Berner Pfarrers und Naturhistorikers Jakob Samuel Wyttenbach. Die Reisenden wirken als Werbeträger, die mit ihren Berichten die Neugier der Menschen in den Städten auf die abgelegenen Gegenden zusätzlich befeuern.

Unterer Grindelwaldgletscher und der Berg Eiger, Radierung von Gabriel Lory, um 1788.
https://doi.org/10.16903/ethz-grs-D_033985
Unterer Grindelwaldgletscher und der Berg Eiger, Radierung von Gabriel Lory, um 1788.Bild: ETH-Bibliothek Zürich
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Dass Thun, das Tor zum Berner Oberland, das Potenzial hat, mehr als ein Durchgangsort zu sein, erkennt der in der Stadt lebende Metzgermeister Jakob Wilhelm Knechtenhofer Anfang des 19. Jahrhunderts. Knechtenhofer öffnet die Familienresidenz «Lindenheim» in Thun-Hofstetten für Reisende, lässt sie dort übernachten und bringt ihnen die Schönheit der Region näher. Dazu gibt er 1818 den Bau eines Pavillons, in der Nähe der Unterkunft auf einem Hügel, in Auftrag. Dort geniessen seine Gäste eine wunderbare Aussicht auf die Stadt mit Schloss und Kirche, den Thunersee und die umliegenden Berge. Der Aussichtspunkt wird schon bald nach seinem Erbauer benannt: das «Jakobshübeli».

Zwei von Knechtenhofers Söhnen, Johann Jakob und Johann Friedrich, übernehmen in den 1820er-Jahren den Betrieb und führen ihn im Sinne ihres Vaters, der 1828 stirbt, weiter. Die Brüder, in Militär und Politik erfolgreich und vorgängig im Tuchhandel tätig, sind mit entsprechenden finanziellen Mitteln und weitreichenden Kontakten ausgestattet. Sie investieren kräftig in den Fremdenverkehr und eröffnen 1834 in Thun-Hofstetten das Gästehaus «Hotel Bellevue et des Bains», das als das erste moderne Hotel des Berner Oberlandes gilt.

In einer Zeitungsanzeige vom 1. August 1834 wird von der «neu errichteten Anstalt», die von Englischen Gärten, Wiesen und Obstgärten umgeben ist, geschwärmt: «Diese weitläufige Anstalt bietet einen der angenehmsten und reizendsten Aufenthalte in der Schweiz dar.» Auch im renommierten Baedeker Reiseführer wird die «Bellevue»-Anlage später positiv erwähnt. Der Reiseverlag nennt die Thuner Unterkunft gemeinsam mit weiteren Schweizer Luxushotels «die besten Gasthöfe der Welt.»

Hôtel de Bellevue à Thoune, Georg Straub, um 1840, Verlag H.F. Leuthold, Zürich.
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Hôtel de Bellevue à Thoune, Georg Straub, um 1840, Verlag H.F. Leuthold, Zürich.Bild: Zentralbibliothek Zürich

Das 1831 von den Knechtenhofers erworbene «Ländtehaus», das direkt am Aarebecken liegt, wird jetzt ebenfalls aus- und umgebaut. Nahe beim Hotel gelegen, dient es als Dépendance und beherbergt ein Restaurant. Die Nähe zum Wasser kommt den Brüdern gerade recht für eine weitere touristische Pioniertat: Am 31. Juli 1835 findet die Jungfernfahrt des ersten Dampfschiffes auf dem Thunersee statt. Der Schaufelraddampfer, von den Knechtenhofers in Frankreich bestellt, erhält ebenfalls den Namen «Bellevue».

Der Kapitän des Schiffes, Johannes Knechtenhofer, ein weiterer Bruder, der sich vorgängig das Schiffshandwerk auf dem Neuenburgersee hat beibringen lassen, steuert das Schiff in der Sommersaison nun täglich drei Mal von der Anlegestelle beim «Ländtehaus» bis nach Neuhaus, an das obere Ende des Thunersees. Die Reisezeit beträgt dabei eine gute Stunde.

Von 1843 bis 1857 fuhr das Dampfschiff «Bellevue» dann auf dem Brienzersee und erhielt während dieser Zeit den Namen «Faulhorn». 1860 wurde es zurück auf den Thunersee gebracht und zum Schleppschiff u ...
Von 1843 bis 1857 fuhr das Dampfschiff «Bellevue» dann auf dem Brienzersee und erhielt während dieser Zeit den Namen «Faulhorn». 1860 wurde es zurück auf den Thunersee gebracht und zum Schleppschiff umgebaut. Die Fotografie von Joseph-Philibert Girault de Prangey (im Daguerreotypie-Verfahren erstellt) muss um das Jahr 1847 entstanden sein und ist wahrscheinlich die erste fotografische Abbildung eines Schweizer Dampfschiffes.Bild: Wikimedia / Musée gruérien Bulle

Die wirtschaftlichen Aussichten sind hervorragend für die geschäftstüchtigen Gebrüder Knechtenhofer, die Gästeschar steigt kontinuierlich an. Bereits 1840 wird in unmittelbarer Nachbarschaft ein weiteres Gebäude als Dépendance eröffnet. Dieses erhält den Namen «Bellevue du Parc». Dann übernimmt der junge Jakob Wilhelm Knechtenhofer, ein Neffe der Brüder, die Geschicke des Betriebes. Er ist in der Hotellerie gut ausgebildet und führt die Bautätigkeiten weiter.

Rund um die Hotels entstehen Nebengebäude, meist im Chalet-Stil, die den Gästen noch mehr Annehmlichkeiten bieten. So wird im Gesellschaftspavillon «Salon de Réunion» diniert, im «Salon de Lecture» gehobene Literatur angeboten und in der eigens für die Gäste aus England gebauten Kapelle Gottesdienst gefeiert. Das «Bellevue»-Imperium erreicht seinen Höhepunkt. Edle Herrschaften, wie der Prince of Wales (1857), Kaiser Napoleon III. (1865), König Wilhelm III. von Holland (1868) und viele weitere Personen mit Rang und Namen logieren bei Knechtenhofers.

Postkarte mit der Bellevue Anlage und der Kapelle um 1898. Hubacher & Biedermann, Kunstanstalt, Bern.
https://www.query.sta.be.ch/detail.aspx?ID=474823
Postkarte mit der Bellevue Anlage und der Kapelle um 1898. Hubacher & Biedermann, Kunstanstalt, Bern.Bild: Staatsarchiv des Kantons Bern

Das Bellevue-Areal gibt es auch heute noch in Thun. Zahlreiche Knechtenhofersche Bauten sind erhalten geblieben. Sie dienen heute zwar weitgehend nicht mehr dem Tourismus, sie wurden umgebaut und umgenutzt, der Pioniergeist aus dem 19. Jahrhundert ist aber weiterhin spür- und sichtbar. Nicht mehr vorhanden ist der Gesellschaftspavillon «Salon de Billard», er musste 1966 der Schwimmanlage des Hotels weichen und wurde abgebrochen. Das Hotel «Bellevue» war bis am 15. September 1980 in Betrieb und ist heute eine Seniorenresidenz.

Das Hotel «Du Parc» dient jetzt einer Privatschule, das «Ländtehaus» bietet Wohnraum und beherbergt, wie zu den Anfängen, ein Restaurant. Die englische Kapelle hat ihre ursprüngliche Aufgabe beibehalten, die christkatholische Kirchgemeinde Thun konnte sie erwerben. Der ursprüngliche Aussichtspavillon auf dem «Jakobshübeli» ist 1907 zusammengestürzt, wurde vier Jahre später aber neu aufgebaut. Die Aussicht auf die, unterdessen stark gewachsene, Stadt Thun und die Umgebung ist auch heute noch fantastisch.

Pavillon auf dem «Jakobshübeli», 1912, fotografiert von Jean Moeglé.
https://katalog.burgerbib.ch/detail.aspx?ID=208761
Pavillon auf dem «Jakobshübeli», 1912, fotografiert von Jean Moeglé.Bild: Burgerbibliothek Bern

Bleibt nebst den Gebäuden noch ein weiterer, gewichtiger Zeuge der Schweizer Tourismusgeschichte – das rund 50-Tonnen schwere Dampfschiff «Bellevue». Dieses ist gegenwärtig nur mit grossem Aufwand und entsprechender Ausrüstung einsehbar. Das Schiff wurde 1860 seiner 16 PS starken Dampfmaschine beraubt und zum Schleppschiff umgebaut.

Am 2. April 1864 sank der Schlepper in einem starken Sturm vor dem Dorf Oberhofen. Dabei ist ein Matrose um sein Leben gekommen. Erst 138 Jahre später wurde die «Bellevue» durch eine Equipe von Hobbytauchern wiederentdeckt. Sie liegt in rund 120 Metern Tiefe auf dem Grund des Thunersees und ist mit einer dicken Schlickschicht bedeckt.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Schöne Aussich­ten am Thunersee» erschien am 8. August.
blog.nationalmuseum.ch/2023/08/schoene-aussichten-am-thunersee
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5 Kommentare
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Lucida Sans
13.08.2023 00:32registriert Februar 2017
Was mich an diesem Artikel besonders fasziniert ist, dass jemand eine Idee hatte und sie einfach umsetzen konnte. Beachtlich finde ich auch, dass die Leute nicht einfach blauäugig loslegten, sondern sich die Fachkenntnisse auf dem jeweiligen Gebiet aneigneten. Man bedenke, dass man damals viel weniger abgesichert war als heutzutage. Grossartig, diese innovativen Menschen!
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    Diese fiese WWM-Frage zum Alphabet wird dich viel Gehirnschmalz kosten

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