Stellen Sie sich vor, in der Nähe Ihrer Wohnung feuert jemand bis zu 20 extrem laute Kanonen ab – alle zehn bis fünfzehn Sekunden, 24 Stunden am Tag, wochenlang. Dieses Höllenszenario droht Walen, Delphinen und anderen Meeresbewohnern vor den Balearen.
In den Gewässern vor den spanischen Urlaubsinseln wollen die britische Ölfirma Cairn Energy und andere Unternehmen mit seismischen Druckluftkanonen nach Öl- und Gasvorkommen suchen. Der Schall dieser Geräte verbreitet sich im Wasser – vier- bis fünfmal schneller als in der Luft – und dringt dann bis zu fünfzehn Kilometer tief in den Meeresgrund. Das Echo erlaubt dann Rückschlüsse über mögliche Lagerstätten.
Der Lärm, der bei dieser Suche entsteht, ist infernalisch: Die Schallwellen erreichen eine Stärke von bis zu 255 Dezibel. Zum Vergleich: Die Schmerzgrenze liegt bei 130 Dezibel, das Triebwerk eines Düsenjets kommt auf 145 Dezibel (in 25 Meter Entfernung). «Für Meerestiere ist dieser Lärm eine tödliche Gefahr», sagt Sigrid Lüber, die Präsidentin der Umweltorganisation Oceancare.
Besonders Wale oder Delphine sind gefährdet; extremer Schalldruck kann Blutgefässe in Hirn, Lunge und anderen Organen bersten lassen oder die Tiere dazu veranlassen, zu schnell aufzutauchen – was oft tödlich ist. Der Lärm stört zudem die Kommunikation der Meeressäuger und verwirrt sie. Da viele Meerestiere dem Krach auf Dauer entfliehen, droht überdies ein massiver Rückgang der Fischbestände, was die Fischer auf den Balearen alarmiert.
Gegen die Pläne der Ölfirmen regt sich deshalb auf den Inseln Widerstand: Die Protestbewegung «Alianza Mar Blava» («Allianz blaues Meer») will die Suche nach den fossilen Ressourcen verhindern. Unterstützt wird die lokale Bevölkerung von Oceancare und der Bürgerbewegung Avaaz. Vertreter dieser internationalen Organisationen haben am 4. August hochrangigen Repräsentanten des spanischen Umweltministeriums eine Petition mit mehr als 150'000 Unterschriften überreicht. Die Unterzeichner stammen aus dem deutschsprachigen Raum.
«Die spanische Regierung hat die Entscheidung über die Genehmigung für die Suche nach Öl vor den Balearen noch nicht getroffen. Es ist zu befürchten, dass einer positiven Genehmigungserteilung weitere Anträge folgen», erklärte Oceancare-Präsidentin Lüber nach dem Treffen. Mit der Petitionsübergabe habe man deutlich gemacht, dass «die Proteste längst über die spanischen Grenzen hinaus reichen. Es ist ein Zeichen gegen den Ölrausch im Mittelmeer.»
Christoph Schott, Kampagnenleiter bei Avaaz, fügte bei: «Dass Spanien tödliche Schallkanonen für die Ölsuche im Meer vor Ibiza und Mallorca einsetzen will, ist wie russisches Roulette sowohl mit seinen wundervollen Naturschätzen als auch mit seiner Wirtschaft zu spielen.» Nicht nur Meeressäuger und andere Unterwasserlebewesen seien gefährdet, sondern auch der Tourismus als eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes.
Cairn Energy hat in einer Stellungnahme zu den Protesten bereits früher ausgeführt, seismische Untersuchungen gehörten zu den besten Forschungsmethoden. Die Firma arbeite eng mit den betroffenen Gemeinden zusammen und versuche stets, deren Bedenken zu berücksichtigen. «Cairn verpflichtet sich», so schreibt das Unternehmen auf seiner Website, «nicht in Gebieten tätig zu werden, die zum Weltkulturerbe gehören.» Es werde jeweils vor Beginn eines Projekts eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit unabhängigen Experten durchgeführt.
Gemäss der spanischen Zeitung El Mundo zeigten sich nicht näher genannte Quellen aus dem Ministerium überrascht davon, wie schnell die Petition zu ihren Unterschriften kam. Man sei sich bewusst, dass man im Rampenlicht stehe.