Ein Rahmen, ein Lenker, zwei Räder und fertig ist das Sportgerät. So einfach das Velo gebaut ist, so vielfältig sind seine Anwendungen. Ob auf der Strasse, in der Halle oder querfeldein durch den Schlamm: mit der Erfindung des modernen Fahrrads Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch der Radsport geboren. Seine rund 150-jährige Geschichte ist voller schillernder Figuren, übermenschlicher Leistungen und unterhaltsamer Anekdoten. Aber auch voller Skandale und Tragödien.
Eine Paradedisziplin des Radsports in der Schweiz ist zweifellos die Tour de Suisse. Die 1950er-Jahre gelten als ihr goldenes Zeitalter. Zu jener Zeit waren Hugo Koblet und Ferdinand Kübler die «Helden der Landstrasse». Die Duelle der beiden Fahrer sind legendär und wurden von Publikum und Medien dankbar aufgenommen.
Koblet und Kübler stammten beide aus einfachen Verhältnissen. Ihr sportlicher Aufstieg war so steil wie die Alpenpässe, die sie auf dem Rennrad überwanden. Küblers Stil, geprägt von Kampf und Willen, sprach vor allem die Arbeiter an. Koblet hingegen war leicht und elegant unterwegs. Der Lebemann und «Pédaleur de charme» war die Antithese des «Chrampfers» Kübler.
Gegenseitig trieben sie sich zu immer grösseren Erfolgen: Auf Koblets Siege im Giro d’Italia und der Tour de Suisse 1950 folgte Küblers Sieg in der Tour de France im gleichen Jahr und der Weltmeistertitel sowie der Sieg der Tour de Suisse ein Jahr später, während Koblet Zweiter wurde. Einen Monat später gewann Koblet die Tour de France. Die beiden «K» fuhren stets Kopf an Kopf: Küblers spektakuläre Ausbrüche sorgten unter den Zuschauern für ebenso viel Gesprächsstoff wie Koblets Dominanz in den Zeitfahrten.
Nach den Rücktritten von Kübler 1957 und Koblet 1958 verliefen die Lebensgeschichten der ehemaligen Konkurrenten sehr unterschiedlich. Aus der Rivalität war mittlerweile eine Freundschaft geworden. Während Kübler ein Publikumsliebling blieb, 1983 zum Schweizer Sportler des Jahrhunderts gewählt wurde und im hohen Alter von 97 Jahren starb, ereilte Hugo Koblet ein tragisches Schicksal. Im Alter von 39 Jahren kam er 1964 bei einem Autounfall ums Leben. Alles deutet auf einen Selbstmord hin, denn der ehemalige Radrennfahrer hatte hohe Schulden und stand vor einer Scheidung.
Andere Episoden aus der Geschichte der Tour de Suisse sind bedeutend harmloser. Gewisse Legenden aus dem goldenen Zeitalter haben schon einige Jahre auf dem Buckel, sind aber gut gereift. Ihr Wahrheitsgehalt lässt sich nur schwer überprüfen, unterhaltend sind sie umso mehr.
Wie jene Anekdote, die sich 1949 auf der längsten je gefahrenen Teilstrecke der Tour de Suisse abgespielt haben soll. Start der 350 Kilometer langen Mörderetappe war am 2. August um 7 Uhr in Ascona, Stunden später traf der Franzose André Brulé als Erster im Ziel in Genf ein. Dazwischen lag der Simplon. Dessen Passhöhe auf 2009 Metern soll Brulé mit derart grossem Vorsprung erreicht haben, dass er sich eine Siesta gegönnt und im Restaurant sogar ein paar Ansichtskarten, signiert mit «Salutations du Simplon, André», geschrieben haben soll.
Sicher ist, dass Brulé die Etappe mit fast 12 Minuten Vorsprung gewann. Ob der Rest stimmt, lässt sich heute nicht mehr überprüfen, denn damals war die Tour naturgemäss noch nicht so organisiert wie heute. Reifen wurden unterwegs von den Fahrern selbst repariert, was auf den ungeteerten Passstrassen oft nötig war…