«Seit die Automobile ununterbrochen unsere Küstenstrasse entlangbrausen, atmen wir von morgens bis abends nur noch Staub ein. Wissen Sie, wie wir dem abhelfen könnten, lieber Guglielminetti?» Ungefähr mit diesen Worten wendet sich Fürst Albert I. von Monaco im März 1902 bei einem der ersten Ärztekongresse in Monaco an den Schweizer Mediziner Ernest Guglielminetti. Dessen Neugier ist geweckt und er macht sich am nächsten Tag gleich an die Arbeit.
Guglielminetti hat schon ganz andere Herausforderungen gemeistert. Am 23. November 1862 wird er in Brig geboren, bleibt dort aber nicht lange. Als er nach Studienjahren in Freiburg und Bern sein Arztdiplom in der Tasche hat, macht er sich auf, die Welt zu entdecken. Im Jahr 1886 reist er im Auftrag der niederländischen Regierung als Arzt nach Java, Sumatra und Borneo und tritt anschliessend in die Dienste der London Borneo Tobacco Company. In diesen sehr entlegenen Regionen erlebt er unzählige tollkühne Abenteuer und geht auf die Jagd nach Tigern, Nashörnern und Elefanten. Er interessiert sich sogar für die vergleichende Anatomie und hält einen Orang-Utan als Haustier.
Als er 1890 vom Tod seiner Mutter erfährt, kehrt er jedoch in die Schweiz zurück. Im darauffolgenden Jahr ist er bei der Janssen-Expedition auf den Montblanc dabei, bei der die Machbarkeit des Baus eines Observatoriums nahe dem Gipfel abgeklärt werden soll. Guglielminetti seinerseits interessiert sich für die Höhenkrankheit, die er in jungen Jahren in den Walliser Bergen selbst erlebt hat. Er führt zahlreiche Experimente und physiologische Untersuchungen durch.
Das bringt ihn einige Jahre später dazu, ein Atemgerät zu entwickeln, das dank ständiger Weiterentwicklung für Feuerwehrleute, Bergsteiger, Ballonfahrer, Piloten und Taucher von grossem Nutzen ist und auch zu Verbesserungen bei der Narkosetechnik beiträgt. 1894 erfreut er sich bereits grossen Ansehens und wird auf Empfehlung der Professoren F.-A. Forel und C. Vogt als Arzt nach Monaco berufen.
Aber an jenem Tag im Jahr 1902 schwirrt ihm ein Gedanke im Kopf herum. War er bei seiner Arbeit im Militärspital in Padang (Sumatra) nicht beeindruckt gewesen von den mit Teer verputzten Holzböden, was diese gleichzeitig wasserdicht und leicht zu reinigen machte? Er bittet daher Fürst Albert I. um Erlaubnis, den Teer aus dem Gaswerk des Fürstentums nutzen zu dürfen, den man sonst als Abfallprodukt einfach ins Meer schüttete. Am 13. März 1902 führt man auf 40 Metern Schotterstrasse bei der Fabrik den ersten Versuch durch – ein voller Erfolg. Am 19. April hält Guglielminetti in Monaco erstmals einen Vortrag dazu. Im September reist er nach Genf, wo er zu Demonstrationszwecken einen Abschnitt der Strasse nach Lausanne «teert». In Paris empfängt man das neue Verfahren begeistert.
Guglielminetti gründet die Internationale Liga zur Staubbekämpfung, die in wenigen Wochen die nötige Geldsumme beschafft, um die Strasse zwischen Nizza und Monte Carlo zu befestigen. Trotz Kritik aus Kreisen des Heimatschutzes, der sich gegen die negativen Auswirkungen des Teers auf die Vegetation und die Zerstörung der Landschaft wehrt, trotz Befürchtungen von Tierschützern, die Pferde und Esel könnten auf den glatten Oberflächen ausrutschen, geht alles sehr schnell. Die Technologie wird verbessert und setzt sich in Europa mehr und mehr durch. 1908 findet in Paris der 1. Internationale Strassenkongress statt.
Gleichzeitig mit diesem Erfolg wird Guglielminettis Sauerstoffapparat vom deutschen Industriellen Dräger weiterentwickelt. Dessen Unternehmen besteht noch heute, allerdings ist der Anteil des Schweizer Arztes am Erfolg des Geräts ganz in Vergessenheit geraten. Am 10. März 1906 trifft Europa die verheerendste Bergwerkskatastrophe seiner Geschichte: das Grubenunglück von Courrières (Departement Pas-de-Calais) mit 1099 Toten. Dank der Guglielminetti-Dräger-Atemgeräte können die als Verstärkung angereisten deutschen Rettungskräfte in die mit giftigen Gasen gefüllten Stollen eindringen.
Im Ersten Weltkrieg agiert unser Arzt – perfekt zweisprachig – als Mittelsmann zwischen Deutschen und Franzosen, um sich für Kriegsgefangene starkzumachen. Er setzt sich auch unablässig für den Kampf gegen die Grausamkeiten des Stierkampfs und der Vivisektion ein.
Der unermüdliche Guglielminetti, der keine seiner Erfindungen je patentieren liess, findet überall Anerkennung. Aber es ist seine geniale Idee der Strassenteerung, die für spätere Generationen nachhaltig erhalten bleibt. Schon am 4. Januar 1903 schreibt die französische Sportzeitung L'Auto-Vélo: «Dank des Verfahrens von Dr. Goudron [Dr. Teer] ist der Staub verschwunden.» Diesen Übernamen behält er bis an sein Lebensende. Am 20. Februar 1943 stirbt Guglielminetti in Genf.
Hoodoo
Im Text unerwähnt bleibt, dass Teer im Gegensatz zu Asphalt hohe Konzentrationen an Krebs erregenden Stoffen enthält, die bei Hitze verdampfen. In der Schweiz dürfen Strassen seit 1991 nicht mehr geteert werden und alte Beläge können nur mit aufwändigen Verfahren recycelt werden.
PHILIBERT
bruuslii
"ja, verhindert den staub, der euch zum husten bringt!"
die dachten wohl, dass der herr doktor ihnen sowas wie ricola erfindet. wieso sonst sollte man sich an einen doktor statt an einen ingenieur wenden?
der herr doktor guglielminetti war aber zum glück etwas schlauer und konnte seinen berufsstolz einer sinnvollen lösung unterordnen.
symptom- vs ursachen-bekämpfung 👍🏻