Seit der Saison 2023–2024 teilt sich die Schweizer Fussballmeisterschaft nach 33 Runden für die entscheidende Phase in zwei Gruppen: In der «Championship Group» machen die ersten sechs Teams den Titel und die Europacup-Plätze unter sich aus; in der «Relegation Group», der Abstiegsrunde, geht es um den Verbleib in der Super League.
An diesem neuen Modus scheiden sich die Geister. Dennoch, die Stadien sind voll, Zehntausende verfolgen die Partien am TV, garniert mit Super-Zeitlupen, Pausen-Interviews und Interventionen des Video Assistant Referees (VAR). Kurz nach Spielschluss analysieren Experten die Schlüsselszenen und die Protagonisten stehen den Medien Rede und Antwort. In Internetforen und in den Sozialen Medien wird heiss diskutiert. König Fussball ist omnipräsent.
Welch ein Gegensatz zu den Anfängen des Fussballs hierzulande! Als im Sommer 1898 die erste offizielle Meisterschaft lanciert wird, interessiert sich nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung für diesen neuen, verpönten Rasensport, der im Gegensatz zum edlen Turnen als rüpelhaft gilt. Und die Spieler haben mit unzähligen Hindernissen zu kämpfen: Maulwurfshügel auf dem Platz, unvollständige Teams, Schiedsrichter ohne Regelkenntnisse, ausschweifende Vereinsfeste.
Es waren hauptsächlich britische Studenten, welche den Fussball aus ihrer Heimat in die Schweiz gebracht hatten. Von St. Gallen bis Genf wurden Ende des 19. Jahrhunderts Fussballklubs gegründet. Doch der «neue» Sport hatte mit vielen Hindernissen zu kämpfen. Beispielsweise, ein geeignetes Spielfeld zu finden. Oft mussten die Klubs auf besseren Äckern spielen. Ausserdem durften sie kaum je lange auf einem Platz bleiben.
Das machte nicht nur das Spielen mit den schweren Stiefeln mühselig, sondern auch die Gegner rechtzeitig über Spielort und -zeit zu informieren. In der Folge kam es nicht selten vor, dass diese verspätet oder gar nicht anreisten.
Während die etablierten Zeitungen den Fussball anfänglich geflissentlich ignorieren, deckt das Schweizer Sportblatt, die erste Sportzeitung der Deutschschweiz, nicht nur Resultate und Tabellen ab, sondern berichtet wöchentlich auch über Kuriositäten aus der Pionierzeit des hiesigen Fussballs.
5 Franken jährlich kostet das vom ersten FCZ-Präsidenten Hans Enderli herausgegebene, wöchentlich erscheinende Sportblatt, das allerdings nach etwas mehr als zwei Jahren wegen finanzieller Probleme eingestellt werden muss. Hier eine kleine Auswahl an Geschichten, die aus heutiger Sicht ziemlich bizarr scheinen.
Anglo-American F. C. versus F. C. Basel, Spielbericht vom 14. März 1899:
Dass der Anglo-American F. C. trotz personellem Engpass mit 10-0 gewinnt, zeigt die angelsächsische Überlegenheit in diesem Sport. Auch auf Schweizer Terrain. Die Plätze waren alles andere als gut, wie ein Bericht vom 10. Mai 1899 zeigt:
Im Dezember 1898 kämpfen die Spieler des Anglo-American F. C. und des F. C. Zürich mit den Tücken der Natur:
Während man in Zürich mit tierischen Fäkalien kämpft, behindern in Neuenburg die Bäume rund um den Platz das Spiel:
Wer glaubt, das ständige Reklamieren und Lamentieren beim Schiedsrichter sei im Fussball eine neumodische Erscheinung, ist auf dem Holzweg. In unzähligen Matchberichten im Sportblatt ist die Rede von protestierenden Spielern oder gar abgebrochenen Partien. Viel zur damaligen Verwirrung trägt bei, dass längst nicht alle Beteiligten – von Zuschauern über Spieler bis zu den Schiedsrichtern – bei den sich laufend verändernden Regeln sattelfest sind.
Heftige Diskussionen gibt es bereits während der ersten offiziellen Schweizer Fussballmeisterschaft von 1898/99. Den Final zwischen dem Anglo-American F. C. und den Old Boys Basel pfeift ein gewisser John Tollmann. Er ist Basler! Gründungsmitglied des dortigen Fussballklubs! Torhüter beim F. C. Basel! Das wäre heute undenkbar! Gewonnen haben übrigens die Anglos klar mit 7-0.
Schwieriger war für Tollmann das Spiel zuvor, Old Boys Basel gegen die Grasshoppers, das er ebenfalls als Unparteiischer leitete. Hier ein Auszug aus dem Sportblatt vom 26. April 1898:
Wurde er nicht und die Old Boys spielten danach den Final gegen die Anglos.
Zu verdienen gibt es für die Spieler damals noch nichts. Der Fussball ist für sie körperliche Ertüchtigung. Nicht zu kurz kommen darf daneben das Vereinsleben, zu dem damals rauschende Feste gehören. Unter den Klubs herrschen meist freundschaftliche Beziehungen. Der F. C. Basel etwa holt die Gegner jeweils vom Bahnhof ab und lädt sie zum «Frühschoppen» in den Storchen ein.
Vielerorts trinkt man nach dem Schlusspfiff gemeinsam weiter. Das Sportblatt berichtet beispielsweise von einem «gemütlichen Zusammensein» nach der Partie zwischen dem FC Biel und der AC Bern, im Restaurant de la Poste, «das sogar urgemütlich wurde, so dass manchem der Heimweg ziemlich schwer fiel.»
Hie und da herrscht allerdings auch Unstimmigkeit darüber, wie Vereine aufgestellt sein sollten. Dann kommt es auch vor, dass aus dem gemeinsamen Gläschen nichts wird. Etwa, wenn gar kein Spiel stattfindet:
Auf einem «Acker» in Zürich wird der Anglo-American F. C. 1899 erster offizieller Fussballmeister der Schweiz. Interessieren tut dies nur einige Briten, welche die Anglos während des Spiels anfeuern. Weder die Presse, das Sportblatt natürlich ausgenommen, noch ein breites Publikum interessiert sich für diesen noch jungen Sport. Noch 1905 schreibt der Bote vom Untersee und Rhein, dass Fussball ausnahmslos verrohend wirke und keine scharfe Disziplin eingehalten werde. Zu dieser Zeit ist König Fussball also höchstens ein Bettler!