Der fiktive Bauernhof «Neumatt» liegt am idyllischen Stadtrand von Uster. Das Seriendrama thematisiert über drei Staffeln eindrücklich den Konflikt zwischen ländlicher Tradition und modernem Stadtleben. Aber wie realitätsnah bilden die dargestellten Szenen die heutige Landwirtschaft ab?
Um das herauszufinden, hat ZüriToday mit dem pensionierten Bauern Werner Locher aus dem Säuliamt gesprochen. Er hat die SRF-Produktion als «Fachberater Landwirtschaft» begleitet.
Er sei durch Zufall zu dieser Funktion gekommen, sagt er. Die Produzentin Jessica Hefti habe auf Facebook jemanden gesucht, der ihr das Direktzahlungssystem erklären könne. Werner Locher hat sich sofort gemeldet. Es sei ihm ein Anliegen, zu einem besseren Verständnis für die Landwirtschaft beizutragen.
Locher erhielt vor Drehbeginn jedes Drehbuch und gab wertvolle Tipps, damit die landwirtschaftlichen Aspekte korrekt und realistisch dargestellt werden. Die Schauspieler besuchten ihn sogar auf seinem Hof in Bonstetten, um den Umgang mit den Tieren und den Heugabeln zu üben.
Die richtige Ausführung der Handgriffe ist für die Glaubwürdigkeit wichtig, sagt Locher: «Alles muss zackig gehen. Bauern stehen immer unter Zeitdruck». Auch Traktorfahren und Melken mit Maschine hätten die Schauspieler bei ihm gelernt.
Die Darsteller schätzten die Ratschläge von Werner Locher und regten an, ihn auch während der Drehtage als Berater auf dem Set hinzuzuziehen. So verbrachte er insgesamt etwa 20 Drehtage pro Staffel auf der Neumatt.
Als Pensionär konnte er sich die Einsätze zeitlich gut einrichten. Er hatte ausserdem die Möglichkeit für zwei Gastauftritte vor der Kamera: In der ersten Staffel spielte er einen Teilnehmer an einer Viehauktion. In der dritten Staffel moderierte er eine Preisverleihung an der Olma.
Obwohl er beim Drehen auf der Neumatt immer live dabei war, beschränkte sich seine Funktion auf die Beratung. Nicht in allen Belangen folgten die Verantwortlichen seinen Empfehlungen.
Von der dramatischen Notschlachtung in Staffel 2 bis zur Nachtmilch in Staffel 3 – ZüriToday hat mit Werner Locher vier Handlungsstränge aus der Serie genauer unter die Lupe genommen:
Die Tendenz zu grösseren und effizienteren Betrieben ist gemäss dem Berater Werner Locher real und wird durch die politischen Rahmenbedingungen begünstigt.
Die Idee mit der gezeigten Viehauktion stammte von ihm. Zur Vorbereitung besuchte die Filmcrew vorgängig eine echte Versteigerung, um die Atmosphäre und die Abläufe zu erleben.
Auch inhaltlich ist die Sezene authentisch dargestellt. Laut dem Berater sind die schwarz-weissen Kühe der Rasse Holstein hinsichtlich Milchleistung den ursprünglichen Braunvieh-Kühen auf der Neumatt überlegen. Das Austauschen des Tierbestands macht darum aus wirtschaftlicher Sicht Sinn. Auch der Preis sei mit 4000 Franken für leistungsstarke Holstein Kühe realistisch.
Wie der Berater erklärt, wird auch in der Realität bei jeder Abholung ein Antibiotika-Schnelltest durchgeführt. Ist die Milch belastet, kann sie nicht mehr verwendet werden.
In solchen Fällen wird wie in der Serie gezeigt eine unbefristete Liefersperre verhängt, bis das Veterinäramt diese nach einer Kontrolle wieder aufhebt. Kontaminationen kämen gelegentlich vor, sagt Locher – aber sicher nicht mutwillig.
Die beschriebene Vergiftung kann tatsächlich auftreten – in Form von schleichendem oder akutem Botulismus. Besonders beim Mähen mit grossen Maschinen kann es passieren, dass ein verendetes Tier im Heu übersehen wird. Wenn Kühe dieses kontaminierte Futter fressen, führt dies zu Lähmungserscheinungen.
Klar nicht realistisch ist aber die dargestellte Notschlachtung mittels Bolzenschussgerät. In einem echten Fall würden die Tiere eingeschläfert, erklärt Locher. Die Darstellung der Schlachtung ist überdramatisiert. Es ist gemäss dem Berater die unrealistischste Szene in «Neumatt» und sorgte in bäuerlichen Kreisen für besonders viel Gesprächsstoff. «Das ging vielen sehr nah», erinnert er sich.
Laut dem Experten enthält die Milch, welche die Kühe in der Nacht produzieren – und die am Morgen früh gemolken wird–, tatsächlich mehr Melatonin als die Milch vom Abend.
Vor rund 20 Jahren brachte eine junge Bäuerin aus der Nähe von Winterthur tatsächlich eine solche «Nachtmilch» auf den Markt und erhielt für die Idee ebenfalls einen Innovationspreis. Doch ähnlich wie in der Serie wurde auch sie ausgebremst: Der Zürcher Kantonschemiker untersagte die Vermarktung der speziellen Milch.
Die Handlung in «Neumatt» spielt vor einem ernsten Hintergrund. Als sich der Familienvater Kurt das Leben nimmt, dreht sich das Leben der Bauernfamilie auf den Kopf.
SRF hat mit der Serie ein reales Problem aufgegriffen. Bauern und Bäuerinnen haben ein 37 Prozent höheres Suizid-Risiko als andere Bevölkerungsgruppen, wie eine Untersuchung der Berner Fachhochschule aus dem Jahr 2018 ergeben hat.
Werner Locher spricht offen über die Herausforderungen, denen Landwirte ausgesetzt sind und die sogar zu Suizid führen können. Die Tiere müssen versorgt werden. «Bauern sind eigentlich immer auf Pikett. 24 Stunden, 7 Tage die Woche.»
Diese permanente Anspannung kann zu ernsthaften psychischen Problemen führen. Locher kennt in seinem Umfeld mehrere tragische Fälle von jungen Bauern mit Burnout.
Obwohl Präventionsangebote existieren, bleibt das gesellschaftliche Stigma ein grosses Hindernis. «Scheitert ein Hof, wird das als persönliches Versagen angesehen. Das steigert den sozialen Druck», sagt Locher.
Insgesamt seien die Herausforderungen der Neumatt teilweise überspitzt, es gebe in der Serie aber nichts völlig Unrealistisches, sagt Locher. Alle dargestellten Vorfälle können in Wirklichkeit passieren.
Dass all die dramatischen Wendungen einen einzigen Hof treffen, ist glücklicherweise Fiktion – ein Kompromiss, mit dem Werner Locher gut leben kann. Insgesamt sei die Mitarbeit an der Serie «eine wahnsinnig schöne Erfahrung» gewesen, schwärmt er.