Das Gros der nationalen Parlamentarier tritt am 18. Oktober wieder an – bei 20 von ihnen stehen die Chancen für eine Wiederwahl schlecht.
10.09.2015, 08:5110.09.2015, 10:26
Anna Wanner / Aargauer Zeitung
Hätten die Schweizer am 21. August gewählt, ginge die FDP als Siegerin hervor, sie hätte 1,8 Prozent Wähleranteil dazugewonnen. Das ergibt die Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern, die gestern in Form des Wahlbarometers publiziert wurde. Unter dem Strich gäbe es einen klaren Rechtsrutsch: Auch die SVP könnte sich verbessern – um 1,4 auf 28 Prozent. Zwar könnte auch die SP um 0,6 Prozent zulegen. Doch geht aus der Umfrage hervor, dass die Grünen im Gegenzug 1 Prozent verlieren würden. Zusammengefasst: Die Rechte wächst, die Linke schrumpft minim, die grossen Verluste fahren die Mitteparteien ein, die zwischen 0,9 Prozent (GLP), 1 Prozent (BDP) und 1,2 Prozent (CVP) verlören.
Aber eben: Umfragen sind immer mit Unsicherheit behaftet und die Wahlen finden erst am 18. Oktober statt. Auch sagt die nationale Parteistärke wenig über die Ausgangslage in den Kantonen oder die Zahl der Nationalratssitze pro Partei aus – so hat etwa die SP in den letzten Wahlen Stimmen verloren, aber Sitze gewonnen.
Trotzdem lässt sich herauslesen, dass von 174 Nationalräten, die im Herbst erneut antreten werden, mindestens 20 um eine Wiederwahl zittern müssen: Sie könnten derzeit ihre letzte Session erleben. Angesichts der Ausgangslage kann zwischen drei Gruppen von Wackelkandidaten unterschieden werden.
1. Die Pechvögel
Weil sich die Einwohnerzahl in drei Kantonen überdurchschnittlich entwickelt hat, erhalten der Aargau, das Wallis und Zürich einen zusätzlichen Nationalratssitz. Bern, Neuenburg und Solothurn müssen hingegen einen abgeben.
Da in Solothurn alle Bisherigen antreten, muss wohl oder übel ein Kandidat über die Klinge springen. Intuitiv wird der CVP-Nationalrat Urs Schläfli als Wackelkandidat gehandelt, der 2011 den siebten Sitz ergattern konnte. Der Sitz, der jetzt wegfällt. Allerdings könnte er ihn dank Listenverbindungen retten. Dann wäre wiederum SP-Nationalrat Philipp Hadorn akut gefährdet.

Muss um einen Sitz in Solothurn bangen: Urs Schläfli, CVP.
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In Neuenburg kommt es zu einer Rochade: Drei von fünf Parlamentariern treten zurück. Und doch stehen die Zeichen schlecht für den bisherigen SVP-Nationalrat Raymond Clottu. Erstens teilen sich die FDP und die Linken (SP und Grüne) traditionell die Stimmen etwa hälftig. Und zweitens hat sich die Neuenburger SVP seit der Affäre um den erkrankten Yvan Perrin nie richtig erholt und ist nun schlecht aufgestellt.

Auch Raymond Clottu, SVP, muss zittern.
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In Bern ist die Situation etwas komplizierter, weil 25 Sitze neu zu besetzen sind. Absehbar ist, dass die Grünen ihre drei Sitze kaum halten können. 2011 holte Regula Rytz dank eines Restmandats den dritten Sitz. Jetzt muss Newcomerin Christine Häsler um die Wiederwahl bangen, die im Juni für Alec von Graffenried nachgerutscht ist.

Christine Häsler will weitere 4 Jahre ins Bundeshaus. Ob sie das auch wird, ist nicht sicher.
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2. Schwächelnde Parteien
Die Grünen müssen möglicherweise auch anderswo einstecken. In Genf wackelt der Sitz von Anne Mahrer. Und sogar die ehemalige Nationalratspräsidentin, Maya Graf, kann nicht mit einer einfachen Wiederwahl rechnen: Die Grünen im Baselbiet haben sich zerstritten, nun treten die Grünliberalen zusammen mit den Grünen-Unabhängigen (GU) gegen Maya Graf an. Hingegen profitiert Yvonne Gilli in St.Gallen von Querelen unter den Mitteparteien. Sie wird ihren Sitz eher halten können.

Maya Grafs Wiederwahl ist wegen parteiinternen Quereleien nicht gesichert.
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Ellbogenkämpfe in der «neuen Mitte», die vor vier Jahren als Wahlsiegerin gefeiert wurde: Die Luft scheint draussen zu sein. Gerade die GLP, die 2011 über Listenverbindungen mehr Sitze erhielt, als der Wählerteil vermuten lässt, könnte nun arg verlieren. Mit dem Verlust von sechs von zwölf Sitzen ist sogar dann zu rechnen, wenn die GLP in den Wahlen weniger verliert, als vorhergesagt wird. Der Thurgauer Thomas Böhni, der Bündner Josias Gasser, der Luzerner Roland Fischer und die St.Gallerin Margrit Kessler sitzen auf wackligen Stühlen und gehen zum Teil selbst davon aus, dass es für eine Wiederwahl heuer nicht mehr reichen wird. Einzelne wie Kessler und Fischer haben sich zwar in ihren Themen profilieren können. Doch den GLP-Kandidaten fehlen aussichtsreiche Listenverbindungen. So ist ebenfalls unklar, ob die Grünliberalen in Bern ihre zwei und in Zürich ihre vier Sitze halten können.

Roland Fischer, GLP, könnte seinen Sitz verlieren.
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Die BDP hatte in den Wahlen 2011 weniger Glück als die GLP – was Restmandate angeht. Insofern sind die Wahlaussichten in der Theorie besser. Bloss treten ausserhalb des Kantons Bern viele Neulinge oder Nonames an. Dem Aargauer Bernhard Guhl kommt womöglich der zusätzliche Nationalratssitz entgegen, welchen der Kanton wegen des Bevölkerungswachstums erhält. Den gibt es in Zürich zwar auch, aber die beiden BDP-Politiker Rosmarie Quadranti und Rudolf Winkler fliegen unter dem Radar der Öffentlichkeit. Ein Coup könnte hingegen im Kanton Waadt gelingen. Dort tritt die Marche-Blanche-Gründerin Christine Bussat (Pädophilen-Initiative) für die Partei an – mit intakten Wahlchancen.

Reicht es für Rosmarie Quadranti, BDP?
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Schliesslich die CVP, die laut Wahlbarometer noch 11,1 Prozent der Stimmen holen würde. Ein Tiefpunkt, der sich aber nicht zwingend auf die Sitzzahl niederschlagen muss. In der Westschweiz und im Wallis ist die Partei gut aufgestellt. Der Basler Nationalrat Markus Lehmann hat sich mit der BDP, GLP und EVP verbunden und schätzt seine Chancen als intakt ein. Seine Baselbieter Kollegin Elisabeth Schneider-Schneiter hat ebenfalls gerechnet und weiss, dass es knapp wird: Wegen ungünstiger Listenverbindungen könnte es entweder sie selbst oder Maya Graf treffen – der Sitz würde dann wohl zur SVP abwandern.
3. Die interne Konkurrenz
Die Parteien stellen zuweilen auch eigenen Kandidaten Hindernisse in den Weg. So muss die profilierte jurassische CVP-Ständerätin Anne Seydoux mit einer Abwahl rechnen. Die Kantonalsektion Jura nominierte jüngst einen zweiten Kandidaten: Pierre Kohler. Dem umtriebigen Alt-National- und Stadtrat von Delémont wird nachgesagt, er habe noch nie eine Wahl verloren. Und da neben Seydoux auch der aktuelle Ständeratspräsident Claude Hêche (SP) sich zur Wiederwahl stellt, gefährdet Kohler hauptsächlich den Sitz seiner Parteikollegin. Dass Hêche vom Thron gestürzt werden kann, ist unwahrscheinlich.

Für Anne Seydoux, CVP, könnte es knapp werden.
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Eine andere Konstellation findet sich im Kanton Waadt, wo der 84-jährige CVP-Nationalrat Jacques Neyrinck erneut kandidiert. Die CVP hat ihn aber auf die Seniorenliste abgeschoben, was seine Chancen enorm schmälert. Das Ziel der CVP: Der ehemalige Post-Chef Claude Béglé soll (endlich) nachrücken.
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