
200 Datenautobahnen unter den Ozeanen: Die fragilen Lebensadern des Internets
Es gibt diese Legende über das Internet, wonach das weltumspannende Netzwerk selbstreparierend sei. Falle ein Datenweg aus, suchten sich die Bits und Bytes einfach einen anderen Weg und gelangten so doch ans Ziel.
In der Theorie ist das wohl so. In der Praxis ist es vorbei mit Internet und internationalem Telefonnetz, wenn man weltweit rund 200 Kabel kappt. Wahrscheinlich würde sogar weit weniger reichen, die Börsen kollabieren zu lassen und ganze Erdteile vom Rest der Welt abzuschneiden.
Eine Übertreibung? Kaum. Es passiert ja immer wieder etwas.

Hier ein paar Beispiele:
- 2000: Ein Fischerboot wirft Anker – und zerreisst ein Glasfaserkabel. Südostasien, Japan und Australien verlieren einen beträchtlichen Teil ihrer Netzkapazitäten.
- 2006: Seebeben vor Taiwan, Kabel brechen. 120 Millionen Telefonanschlüsse in Ostasien fallen aus, das Internet wechselt in den Schneckenmodus, Banken und Börsen sind vom internationalen Handel abgeschnitten. Zeitweilig muss der Devisenhandel weltweit ausgesetzt werden.
- 2008: Bizarre Pannenserie in der arabischen Welt. Zweimal reissen Kabel vor Ägypten, zweimal im Persischen Golf – innerhalb weniger Tage. Die ganze Region bleibt 18 Tage lang auf Schleichfahrt, bis zu 100 Millionen Menschen sind über Tage komplett offline.
- 2010: Ein Anker zerfetzt ein Kabel vor Südafrika. Internationale Telekommunikation und Internet kollabieren.
- 2012: Die Telekommunikation in Ostafrika versinkt mit dem Anker eines Schiffes.
Manche Seekabel werden Opfer von Naturkatastrophen, einige vielleicht von Sabotage. Doch die Hauptursache für die Durchtrennung wichtiger Datenleitungen sind Unfälle mit Schleppnetzen und Bootsankern.
Der kurioseste Fall ereignete sich allerdings 2011 an Land: Da zersägte angeblich die 75-jährige Rentnerin Hajastan S. ein Kabel, um es als Schrott zu verkaufen (siehe Slideshow). Die Republiken Armenien und Georgien gingen offline – die Rentnerin bestritt die Vorwürfe allerdings.
Cyberwar? Weit leichter und schlimmer als gedacht
So ein Vollkollaps wäre sogar gewaltlos möglich. Zumindest die internationalen Verbindungen könnten die USA durch ihren zentralen Zugriff auf das Root-Server-System des Internets und ihre Mittenstellung in den transkontinentalen Telefon-Kabelwegen ganz einfach abschalten. Wie weit der lauschende Zugriff des US-Geheimdienstes NSA auf die internationalen Kabelwege geht, ist durch die Enthüllungen Edward Snowdens bestätigt geworden. Der Blick auf die Karten, die die internationalen Seekabel , macht klar, dass man für Spionage wie Sabotage nur Zugriff auf überraschend wenige Verbindungspunkte braucht. verzeichnen
Drahtlose Techniken und Satelliten spielen beim Datentransport nur eine marginale Rolle. Sie sind in keiner Weise ausreichend oder geeignet, die Drähte zu ersetzen, die uns vernetzen. Die luftige Allegorie von der «Cloud» ist ein schiefes Bild: Unsere Daten lagern an physischen Orten, verbunden über oft nur armdicke Kabel.
Die haben es allerdings in sich. So sind Australien und Neuseeland mit Südostasien über ein Untersee-Glasfaserkabel verbunden, das allein in der Lage ist, 20 Millionen Telefonanrufe parallel zu übertragen.
Die Achillesferse der modernen Welt
Was beeindruckend klingt, macht uns aber auch beeindruckend verletzlich: Wahrscheinlich sind die Kabelwege unter allen kritischen Infrastrukturen diejenigen, bei denen man mit dem niedrigsten Aufwand den höchsten Schaden verursachen kann.
Redundante Strukturen, die Ausfälle abfedern können, gibt es natürlich, aber letztlich sind vor allem die See-Infrastrukturen auf Kante genäht – klar, wenn man bedenkt, dass jede Trasse Milliarden kostet. Die Seekabel sind die Achillesferse der Netzstrukturen.
Man hört und liest so etwas selten. Vielleicht, weil das Verlegen von Kabeln weit weniger sexy ist, als Satelliten auf Raketen in den Orbit zu schicken? Das glaubt zumindest Nicole Starosielski, die mit ihrem für Mitte März angekündigten Buch «The Undersea Network» auch Bewusstsein dafür schaffen will, wie fragil unsere Netzinfrastrukturen sind.
Epochale Reportage von Neal Stephenson
Fast 20 Jahre nach Neal Stephensons epochaler Kabel-Reportage «Mother Earth Mother Board» wagt sich die Journalistin an ein Porträt der weltweiten Kabelwege – und rollt nebenbei deren ökonomischen, sozialen, ökologischen und machtpolitischen Wirkungen und Nebenwirkungen auf. Dazu gehört das Web-Projekt Surfacing, das ab Mitte März Karte, bebilderter Katalog und Informationsdatenbank zum Thema Seekabel sein will.
Deren Trassen sind in überraschend vielen Fällen dieselben wie die der ersten, im 19. Jahrhundert verlegten Kupferkabel, berichtet Starosielski. Oft lägen da «Kabel auf Kabeln».
Das passt zu den neuesten Karten, die TeleGeography gerade herausgegeben hat: Moderne Karten im Stil uralter Weltkarten (siehe auch Slideshow). Doch ob modern oder nostalgisch, es ist erkenntnisreich, den Kabelwegen zu folgen. Vielleicht kommt ja irgendwann sogar die Eine-Million-Euro-Frage bei Günther Jauch: «Über wie viele Seekabel-Zugangspunkte ist Deutschland mit dem Internet verbunden?»
Kleiner Tipp: Sagen Sie Fünf.
Laut ihm ist «ein Seekabel im Grunde nichts anderes als ein Landkabel, nur dass es technisch anspruchsvoller zu bauen ist. Terrestrische Kabel sind normale Glasfaserkabel mit zum Beispiel 144 Fasern, die
typischerweise entlang von bestehenden Infrastrukturwegen wie Autobahnen, Eisenbahnlinien, Pipelines oder Hochspannungsleitungen gebaut werden.
Die Physik will es, dass das Licht in diesen Glasfasern zirka alle 80 Kilometer repetiert werden muss. Bei Seekabeln ist das mit grossem technischem Aufwand verbunden, d.h. nebst dem eigentlichen
Glasfaserkabel braucht es noch die Stromversorgung im gleichen Kabel für die
Signalverstärker. Im Fall von terrestrischen Kabeln stellt man entlang der Autobahn alle 80 Kilometer einen Container auf, wo das Equipment drin ist.»
Interaktive Karten von weltweiten Unterseekabeln gibt es bei:
- cablemap.info
- submarinecablemap.com