Die zerrissene Schweiz «im Feuer der Propaganda»
Am 4. August 1914 verkündet der Bundesrat den Kriegsmächten feierlich die Neutralität. Die kleine Schweiz, die inmitten des sich bekriegenden Europas hockte, wollte sich aus diesem Blutbad heraushalten. So blieb sie zwar von Kämpfen verschont, aber dafür tobte auf ihrem Terrain eine verheerende Propaganda-Schlacht, in der sich die Mittelmächte und die Entente um die Gunst der Helvetier stritten und die Schweiz dabei auf eine Zerreissprobe stellten.
Wann: 21. August - 9. November 2014
Wo: Museum für Kommunikation, Schweizerische Nationalbibliothek, Helvetiastrasse 16, 3000 Bern
Kuratoren: Alexandre Elsig, Peter Erismann
Gestaltung: Martin Birrer, Gerhard Blättler
Der (Rösti-)Graben
Da war eine feine Kultur-Grenze, die sich zwischen der Romandie und der Deutschschweiz auftat, und der 1. Weltkrieg bestärkte diese Kluft in ihrer Daseinsberechtigung: Die Deutschschweiz schaute mit Bewunderung auf ihren kaiserlichen Nachbarn, während sich die Welschen mit ihrem französischen Nebenmann identifizierten.
Dass Ulrich Wille zum General ernannt worden war, war der lateinischen Schweiz ein Dorn im Auge: Dieser harte Mann hatte bereits 1912 dem Deutschen Kaiser in aller Freundschaft die Stärke der Schweizer Armee präsentiert. Wilhelm II. wollte schliesslich wissen, wie sich die südliche Schutzflanke seines Reiches machte, wenn seine Truppen zum Schlieffen-Plan schritten.
Und so wurde die Furche an der Sprachgrenze noch ein bisschen breiter, bis sie mit dem deutschen Einmarsch ins neutrale Belgien vollends zu einem Graben, zum «fossé moral», heranwuchs.
Die zerrissene Presse
Die Schweiz wurde zum Schauplatz des medialen Krieges: Die Zerstörung der Stadt Löwen und ihrer famosen Bibliothek am 25. August 1925 spaltete die schweizerische Berichterstattung in zwei Lager: Die «Züricher Post» sprach von einer «angeblichen Zerstörung von Löwen» und bediente sich wohlwollend an deutschen Informationen, die den Einmarsch mit einem vermeintlichen Aufstand von belgischen Freischärlern legitimierten.
Die «Tribune de Genève» verurteilte ihrerseits die deutsche Offensive als «Barbarei». Die Meinungen waren gebildet, die Partei bereits ergriffen, als sich Deutschland 1915 mit 300'000 Franken die Züricher Post vollends gefügig machte und Frankreich 900'000 Franken in deren welsches Pendant investierte.
Die Neutralität der Schweiz war ein sehr flexibler Status: Insgesamt 20 schweizerische Verlagshäuser wurden im Geheimen von den Deutschen aufgekauft, um die Öffentlichkeit zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Welch bittere Ironie auch, dass diese Strategie noch zusätzlichen Gewinn abwarf, weil Publikationen aus neutralen Staaten auf dem internationalen Markt begehrter waren als dieser Propaganda durchtränkte Brei, den man von den Kriegsmächten zu lesen bekam.
Mehr zum 1. Weltkrieg:
Der lächerliche Feind
Der Propaganda-Krieg wurde nicht nur in den Zeitungen ausgetragen, auch die Postkarten blieben nicht frei von manipulativen Sujets. Die Zensur half da nur bedingt. Zu gross war die Flut der ins Land strömenden Bilder, die sich in der fantasievollen Verunglimpfung des Feindes gegenseitig zu übertreffen versuchten.
Nationalistisch geprägte Gegen-Propaganda
Für die Spaltung des Landes wurde die politische Agitation der Kriegsmächte verantwortlich gemacht. Der Ruf nach einer eigenen, selbstständigen Schweizer Identität wurde laut, die den inneren Zusammenhalt wiederherstellen und im Stande sein sollte, die Sprachbarriere zu überwinden.
Die Zensur wurde verschärft, die Soldaten erhielten eine patriotische Ausbildung und die neue Helvetische Gesellschaft wurde gegründet. Diese lud am 14. Dezember 1914 den Basler Schriftsteller Carl Spitteler ein, der eine feurige Rede über «Unseren Schweizer Standpunkt» hielt und damit als Symbolfigur der kulturellen Eigenständigkeit der Schweiz in die Geschichte einging.