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Insiderin packt aus – so läuft es in Putins Troll-Fabrik wirklich

Ljudmilla Sawtschuk outet sich: «Unser Job bestand darin, Putin und seine Politik zu loben und seine Gegner niederzumachen.»
Ljudmilla Sawtschuk outet sich: «Unser Job bestand darin, Putin und seine Politik zu loben und seine Gegner niederzumachen.»Bild: AFP

Insiderin packt aus – so läuft es in Putins Troll-Fabrik wirklich

Die 34-jährige Ljudmilla Sawtschuk arbeitete zwei Monate lang für die russische Troll-Fabrik. Jetzt outet sie sich – und bestätigt Berichte von bizarren Arbeitsbedingungen, einem Klima der Angst und systematischen Propaganda-Attacken.
09.04.2015, 10:5310.04.2015, 07:36
Roman Rey
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Wer am Bürogebäude am Stadtrand von St.Petersburg vorbeigeht, würdigt es keines zweiten Blicks. Doch im Innern des unauffälligen Hauses mit den blickdichten Vorhängen führt eine Armee von Online-Söldnern im Internet einen Propagandakrieg für Russland – rund um die Uhr.

Lange war nicht viel über die «Agentur zur Analyse des Internets» bekannt. In den letzten Wochen – zuletzt die 34-jährige Russin Ljudmilla Sawtschuk Anfang Woche – haben sich aber gleich mehrere Ex-Mitarbeiter öffentlich geäussert und geben einen einmaligen Einblick in die Troll-Fabrik.

Das YouTube-Video soll Aufnahmen vom Innern der Agentur zeigen.Video: Youtube/Andrey Soshnikov

Der Alltag

Rund 400 Angestellte arbeiten rund um die Uhr in der Agentur, aufgeteilt in Räume mit jeweils 20 Mitarbeitern. Eine Schicht dauert jeweils 12 Stunden, um 9 Uhr morgens und abends ist Schichtwechsel, wie ein anonymer Ex-Mitarbeiter dem britischen Guardian sagt.

In einer 12-Stunden-Schicht muss jeder 135 Kommentare in Foren und Sozialen Netzwerken schreiben, wer weniger hinbekommt, erhält einen Lohnabzug, sagt der Blogger mit dem Pseudonym Marat Burkhard in einem Interview mit dem kremlkritischen Medium Radio Free Europe.

Gemäss Ljudmilla Sawtschuk, die sich am Dienstag in einem Bericht der Agentur AFP als Ex-Trollin outete, beträgt das monatliche Salär zwischen 40'000 und 50'000 Rubel (700 bis 900 Franken) – das ist mehr, als ein Journalist in Russland verdient.

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Wer ist Marat Burkhard?
Über den 40-jährigen Marat Burkhard, der in einem Interview mit «Radio Free Europe» die bislang tiefsten Einblicke in die Propagandafabrik Putins gewährte, ist nicht viel bekannt. Der 40-Jährige äusserte sich unter einem Pseudonym – und es ist kein Zufall, dass es sich um einen Schweizer Namen handelt. Gemäss Recherchen des Tages-Anzeigers studierte Burkhard 2006 in Bern Literatur und arbeitete 2007 als Rezeptionist in Davos. Jetzt lebt er in Sankt Petersburg. (rey)

Das Klima

In der Agentur herrscht eine bedrückende Stimmung der Angst und Überwachung. «Überall gibt es Kameras», sagt Sawtschuk, Gespräche fänden kaum statt. «Wer eine Minute zu spät kommt, muss eine Busse von 500 Rubel bezahlen», sagt Burkhard. Sogar fürs Lachen könne man gefeuert werden.

Die Tätigkeit sei sehr hart, so Sawtschuk, pausenlos müssten die Mitarbeiter grosse Mengen an Kommentaren im Internet veröffentlichen. Viele würden entlassen, weil sie die geforderten Ansichten nicht in die richtigen Worte kleiden könnten.

Hinter diesen Vorhängen arbeiten Tag und Nacht 400 Online-Söldner im Auftrag von Wladimir Putin.
Hinter diesen Vorhängen arbeiten Tag und Nacht 400 Online-Söldner im Auftrag von Wladimir Putin.Screenshot: Youtube

Die Arbeitsteilung

Gemäss Marat Burkhard lief die Arbeit in seiner Abteilung immer nach einem bestimmten Schema ab. Ein Dreierteam von Trollen knöpft sich ein Forum vor und schlüpft dafür in bestimmte Rollen:

  • Der Bösewicht: Er vertritt die antirussische Perspektive.
  • Der Link-Troll: Er widerspricht dem Bösewicht und widerlegt dessen Aussage mit einem Link zu einem prorussischen Artikel.
  • Der Bild-Troll: Auch er widerspricht dem Bösewicht und postet dazu einen Cartoon. Meist einer, der politische Gegner ins Lächerliche zieht. Er kann sich auf Webseiten mit Hunderten solcher Bilder bedienen.
Ein Cartoon zu Obama. Das sagen die Sprechblasen: «Hmm, ich brauche ein neues Passwort ... Ich wähle ‹mein Penis› ... Klicke OK ... Was? ‹Fehler: zu kurz›?!»
Ein Cartoon zu Obama. Das sagen die Sprechblasen: «Hmm, ich brauche ein neues Passwort ... Ich wähle ‹mein Penis› ... Klicke OK ... Was? ‹Fehler: zu kurz›?!»

Barack Obama ist ein beliebtes Ziel der Propagandamaschine. Marat Burkhalter erinnert sich an einen der absurdesten Aufträge. Nachdem der US-Präsident in Indien einen Kaugummi ausgespuckt hatte, mussten ihn die Trolle fertigmachen, mit dem Fazit: Obama ist ein schwarzer Affe, der von Kultur keine Ahnung hat.

Ein typischer Auftrag

Die Trolle erhalten einen auf dem Handy gespeicherten Tagesbefehl, zu dem sie 135 Kommentare schreiben müssen. Zum Beispiel: NATO-Truppen unterstützen die ukrainischen Soldaten.

Zuerst eröffnet ein Troll aus einer anderen Abteilung die Diskussion mit einem Post: Er behauptet, ausländische Söldner würden Seite an Seite mit ukrainischen Soldaten kämpfen. Und er verlinkt auf ein Video, das angeblich zwei US-Armeeangehörige in der südukrainischen Stadt Mariupol zeigt.

  • Der Bösewicht antwortet: «Was meinst du mit NATO-Söldnern? Sie haben dort ein paar Amerikaner gefilmt, na und? Es ist nicht klar, was sie dort machen.»
  • Dann schaltet sich der Link-Troll ein: «Hast du den Text überhaupt gelesen? [...] Sie haben Dinge gefunden, die westlichen Soldaten gehören, und jetzt haben sie die Soldaten selber gefunden.»
  • Der Bild-Troll legt nach: «Der Westen ist so scheinheilig. In jeder Diskussion gibt er Russland die Schuld, sogar wenn sie die ukrainische Armee mit NATO-Soldaten unterstützen.» Dazu ein Bild, dass den Doppelstandard des Westens veranschaulichen soll.
Die Trolle können sich bei einem ganzen Fundus antiwestlicher und antiukrainischer Cartoons bedienen.
Die Trolle können sich bei einem ganzen Fundus antiwestlicher und antiukrainischer Cartoons bedienen.Screenshot: Diese Bild-Website

Die Angestellten

In der Troll-Fabrik arbeiten überwiegend junge Leute, viele Studierende. «Politik war ihnen vollkommen gleichgültig, sie nahmen nichts ernst. Für sie war es bloss eine Art, Geld zu verdienen», sagt Sawtschuk.

Daneben gebe es aber auch einige ältere Fanatiker, die völlig in ihrer Aufgabe aufgegangen seien. Burkhards Aussagen bestätigen das: «Einige regten sich sogar in der Mittagspause über die Dinge auf, über die sie den ganzen Tag schrieben.»

Die Vorgesetzten verdienen doppelt so viel wie die Schreiber. Sie überwachen die Veröffentlichungen ständig und rügen ideologische Fehlgriffe. Wer den Erwartungen nicht entspricht, wird gefeuert.

Trolle in der Schweiz
In den Kommentarspalten mehrerer Schweizer Medien wurden die Aussagen von Marat Burkhard angezweifelt. Auf einer Website mit Verschwörungstheorien hiess es gar, das Interview sei ein Hoax, eine Erfindung eines Kunst-Aktivisten. Burkhards Aussagen decken sich jedoch mit denen anderer Aussteiger und gelten bei Russland-Experten als authentisch. Die Geschichte zeigt: Auch in der Schweiz sind prorussische Trolle aktiv. Gemäss dem Journalisten Jürg Vollmer, der auch für watson schreibt, sind es rund ein Dutzend. Die meisten von ihnen ohne Bezahlung – es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der eine oder andere für Geld trollt, so Vollmer. (rey)

Die Rekrutierung

Die ominöse Agentur zur Erforschung des Internets ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Einzig Jobanzeigen im Internet, in denen «Redakteure» und «Content Manager» gesucht werden, deuten auf ihre Existenz hin. Kandidaten können sich über eine Internetseite bewerben.

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Gemäss Burkhard müssen Neulinge erst Probe-Kommentare zu einem neutralen Thema verfassen, um ihr Können unter Beweis zu stellen. Nach dieser ersten Hürde werden Kommentare zum Thema verlangt. Etwa: Was denken Sie über humanitäre Konvois in Donetsk?

Zum Einstellungsverfahren gehört auch ein Test mit rund 20 Fragen. Zum Beispiel: «Was will Russland in der Republik Donetsk erreichen?» Wer zu viele Fehler macht, fliegt, wer wenige Fehler macht, muss ihn wiederholen. 

Wer Kommentare auf Englisch verfassen kann, erhält einen höheren Lohn (bis 1100 Franken im Monat). Burkhard sei dafür in Frage gekommen. Er vermutet jedoch, er habe den Posten als Englisch-Troll nicht bekommen, weil er sich als «apolitisch» bezeichnet hat. Für eine solche Stelle kommen offenbar nur Überzeugungstäter in Frage.

Getötete Oppositionelle in Russland

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Getötete Oppositionelle in Russland
Die Journalistin Anna Politkowskaja wurde 2006 in Moskau erschossen. Sie hatte über Menschenrechtsverletzungen durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte berichtet.
quelle: getty images north america / mark wilson
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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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zombie woof
09.04.2015 13:06registriert März 2015
Was waren das doch für herrliche Zeiten als es noch einigermassen guten Journalismus gab und man die Leserbriefe noch von Hand schreiben und dann per Post einschicken musste! Was da heute zum Teil in den Leserforen veröffentlicht wird, ist unter aller Sau! Es braucht nur einen Bericht über Ausländer oder Kritik an der SVP und schon kommen die Internet Nazis. Viele Beiträge erinnern mich an die Zeiten als es in Nazideutschland den "Stürmer" gab und das wirklich verabscheuende daran ist, solche Beiträge werden auch noch veröffentlicht! Diese Schreiberlinge sind dank Internet anonym
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Hr. Döpfel
09.04.2015 11:48registriert November 2014
Schaut mal die Kommentare von User "rainbowsix" an. Zumindest zu einem Artikel über den russischen "Hilfs-"Konvoi in der Ukraine (http://www.watson.ch/!471681326) hat der Kommentare vom Stapel gelassen, dass ich mich frage, ob das nur ein Russlandfanatiker ist, oder ein bezahlter Troll. Wäre ja auch kein Problem, von Russland aus die Weltpresse nach Artikeln zum Ukraine-Konflikt zu filtern, sich Profile anzulegen und Artikel propagandistisch zu kommentieren. rainbowsix's harsche Kritik am Verfasser des Artikels erscheint mir zudem für die Schweiz eher unüblich.
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elivi
09.04.2015 13:18registriert Januar 2014
eine neue art wie traurig russland ihre eigenen taten rechtfertigen muss. Oder anders gesagt wieviel angst sie haben vor der meinung der eigenen bevölkerung. Ich vermute ein US wahlkampf sieht ähnlich aus mit dem unterschied dass die helfer privat finanziert werden und nicht durch steuergelder
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