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Das «heisse» Erbe der Sowjetunion – wo Putins Imperium zurückschlägt

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Krim und andere Krisen

Das «heisse» Erbe der Sowjetunion – wo Putins Imperium zurückschlägt

Nach dem Untergang der Sowjetunion sind auf dem Gebiet der einstigen Supermacht zahlreiche Konflikte ausgebrochen. Überall hat Russland seine Finger im Spiel.
04.03.2014, 06:3804.03.2014, 15:27
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Adscharien, Südossetien, Transnistrien – was sich anhört wie eine Ansammlung von Operetten-Staaten, ist blutiger Ernst auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Willkürliche Grenzziehungen und ethnisch-religiöse Gegensätze haben nach dem Zerfall der einstigen Supermacht vor 23 Jahren zu Abspaltungen und veritablen Kriegen geführt. 

Bis heute ist kaum einer dieser Konflikte wirklich gelöst. Die Eskalation auf der Krim ist nur das jüngste Beispiel – und stets ist Russland involviert. Ein Überblick:

Abchasien

Josef Stalin «vereinigte» die zuvor eigenständige Sowjetrepublik Abchasien 1931 mit seiner Heimat Georgien. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte sich Abchasien 1992 für unabhängig. Georgien versuchte vergeblich, die abtrünnige Region militärisch zurückzuerobern.

1994 kam es zu einem Waffenstillstand, der von einer russischen «Friedenstruppe» überwacht wird. Nach dem Krieg gegen Georgien 2008 anerkannte Russland offiziell die Unabhängigkeit Abchasiens. Faktisch ist die Region am Schwarzen Meer heute ein Teil von Russland, 90 Prozent der rund 250'000 Einwohner besitzen einen russischen Pass.

Abchasier feiern 2008 die «Unabhängigkeit» ihrer Region in der Hauptstadt Suchumi.Bild: AP

Südossetien

Die von iranischsprachigen Osseten bewohnte Region im Kaukasus wurde in den 1920er Jahren aufgeteilt: Der Norden wurde ein Teil von Russland, der Süden ging an Georgien. 1990 erklärte sich Südossetien für unabhängig. Georgien reagierte wie im Fall von Abchasien mit einem Einmarsch, doch Russland kam den Osseten zu Hilfe. 1992 kam es zu einem Waffenstillstand, der in der Folge immer wieder gebrochen wurde. 

Im August 2008 versuchte der georgische Präsident Michail Saakaschwili ein weiteres Mal, Südossetien militärisch zurückzuerobern. Erneut griff die russische Armee ein, es kam zu einem mehrtägigen Krieg, der mit der Niederlage Georgiens endete. Russland anerkannte danach die Unabhängigkeit Südossetiens, wo nur einige zehntausend Menschen leben. 95 Prozent besitzen heute die russische Staatsbürgerschaft.

Im Krieg von 2008 zerstörte georgische Panzer in Südossetien.Bild: EPA

Adscharien

Der dritte Konflikt in Georgien ist verbunden mit Aslan Abaschidse, der ab 1991 in der autonomen Region Adscharien ein autokratisches Regime errichtete. Dabei erhielt er Unterstützung von Russland, das Truppen in Adscharien stationiert. Die Region sagte sich faktisch los von Georgien, ohne sich je für unabhängig zu erklären. 

Als der Unmut über Abaschidse wuchs, gelang es dem georgischen Präsidenten Saakaschwili 2004, seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin zu überzeugen, dem adscharischen Herrscher die Unterstützung zu entziehen. Abaschidse wurde gestürzt und ging nach Moskau ins Exil. Heute ist Adscharien wieder unter georgischer Kontrolle.

Aslan Abaschidse, der autokratische Herrscher von Adscharien, nach seinem Sturz 2004.Bild: AP

Transnistrien

In der Sowjetzeit wurde die überwiegend von Russen und Ukrainern bewohnte Region östlich des Flusses Dnjestr mit dem ehemals rumänischen Bessarabien zur Sowjetrepublik Moldawien vereinigt. Nach dem Ende der Sowjetunion liebäugelten moldawische Nationalisten mit einer Vereinigung mit Rumänien, worauf sich Transnistrien 1990 für unabhängig erklärte. 

1992 kam es zu einem Krieg, der durch die Stationierung einer russischen «Friedenstruppe» beendet wurde. Seither kam es zu einer gewissen Annäherung zwischen Moldawien und Transnistrien, doch der Konflikt ist ungelöst. Russland benutzt ihn als Druckmittel, um Moldawien – das ärmste Land Europas – von einer stärkeren Anbindung an den Westen und vor allem an die Nato abzuhalten.

In Transnistrien haben sich die Symbole der Sowjetunion bis heute erhalten.Bild: AP

Berg-Karabach

Der Konflikt um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Enklave in Aserbaidschan eskalierte in der Endphase der Sowjetunion und weitete sich ab 1992 zu einem blutigen Krieg mit bis zu 50'000 Toten aus, in dem Armenien die Kontrolle über die Region erlangte. 1994 erzwang Russland einen Waffenstillstand, doch der Konflikt bleibt ungelöst. Mehrere Vermittlungsversuche der OSZE blieben erfolglos. 

Die «unabhängige» Republik Berg-Karabach wird von keinem Land der Welt anerkannt. Längerfristig könnte das ölreiche Aserbaidschan die besseren Karten haben als das relativ arme Armenien. Auf russischen Druck hat sich Armenien von der Annäherung an Europa verabschiedet und ist der Eurasischen Union beigetreten, die Wladimir Putin als Gegengewicht zur EU aufbauen will.

Der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew versuchte 2008, zwischen dem aserbaidschanischen Staatschef Ilham Aliew (l.) und dem armenischen Präsidenten Sersch Sarkisian zu vermitteln.Bild: AP POOL EPA

Krim

Die von Tataren bewohnte Halbinsel im Schwarzen Meer wurde 1783 von Zarin Katharina der Grossen annektiert und «für alle Zeiten» Russland zugeschlagen. 1954 wurde sie vom damaligen Sowjetführer Nikita Chrustschow seiner ukrainischen Heimat angegliedert. 

Der Zusammenbruch der Sowjetunion führte zu Spannungen zwischen der mehrheitlich von Russen bewohnten Krim und der nun unabhängigen Ukraine. Sie wurden verschärft durch die Tatsache, dass die russische Schwarzmeerflotte im Hafen von Sewastopol stationiert ist. Durch einen Pachtvertrag konnte der Konflikt entschärft werden, doch die Umwälzungen in der Ukraine haben nun zur Eskalation geführt. 

Stein des Anstosses auf der Krim: Die russische Schwarzmeerflotte im Hafen von Sewastopol.Bild: KEYSTONE

Tschetschenien

Das Ende der Sowjetunion führte auch auf russischem Staatsgebiet zu Konflikten, besonders im ethnisch und religiös durchmischten Kaukasus. 1991 erklärte sich die Autonome Sowjetrepublik Tschetschenien für unabhängig. In zwei blutigen Kriegen erlangte Moskau die Kontrolle zurück, doch das brutale Vorgehen führte zu einer Radikalisierung unter der muslimischen Bevölkerung. 

Heute gilt Tschetschenien als weitgehend «befriedet», dafür hat sich der Konflikt in die Nachbarregion Dagestan am Kaspischen Meer verlagert. Dort werden die meisten Gewaltakte im Kaukasus registriert. Islamistische Terroristen schlagen auch regelmässig in anderen Landesteilen zu, so in Moskau oder zuletzt in der Stadt Wolgograd.

Trauriger Alltag im Kaukasus: Terroranschlag mit einer Autobombe in Dagestan.Bild: AP NewsTeam

Die Liste liesse sich fortsetzen. So gibt es auch in den ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken diverse Krisenherde, die sich sporadisch entzünden. 1992 griff Russland aktiv in den Bürgerkrieg in Tadschikistan ein und unterstützte die Regierung bei der Niederschlagung der islamistischen Opposition. 

Ein Zankapfel bleibt auch der Status der russischstämmigen Bevölkerung in den baltischen Republiken, vor allem in Lettland. Durch ihren Beitritt zur Europäischen Union konnten sie sich dem Einfluss Russlands weitgehend entziehen. Umso mehr bemüht sich Wladimir Putin, andere Krisengebiete unter seiner Kontrolle zu halten. Das betrifft Armenien, Moldawien – und nicht zuletzt die Ukraine.

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