Was ist am Samstag in Nepal passiert? Eine Lawine am Mount Everest, in der Bergsteiger ums Leben kamen – diesen Schluss legt ein Blick in die Medienberichterstattung der vergangenen drei Tage nahe.
Eine Suchanfrage mit dem Schlüsselwort «Everest» in der Schweizerischen Mediendatenbank (SMD), wo sämtliche Medienartikel aus der Schweiz abgelegt sind, ergibt 881 Treffer für die vergangenen drei Tage (Stand Montag, 11.00 Uhr).
Das Epizentrum des Erdbebens befand sich nicht beim Mount Everest, sondern unweit der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Dennoch ergibt das Schlüsselwort «Kathmandu» im gleichen Zeitraum nur 405 Treffer, weniger als die Hälfte im Vergleich zu «Everest».
Die Schweizer Medienberichterstattung zum Erdbeben in Nepal steht in keinem Verhältnis zu den Opferzahlen: Am Mount Everest starben in der Lawine 18 Menschen, im Rest des Landes nach Angaben von Montagabend rund 3900, die meisten davon in der Millionenstadt Kathmandu.
Anders ausgedrückt:
Woher rührt dieses Missverhältnis? Warum erhält ein Nebenereignis doppelt soviel Medienaufmerksamkeit wie die eigentliche Tragödie? Zwei Thesen inklusive Selbstkritik:
Der deutsche Bersteiger Jost Kobusch filmte, wie die Lawine auf das Everest Basecamp niederging. Das Video ist in 24 Stunden über vier Millionen Mal auf Youtube angeklickt worden.
AFP-Fotograf Roberto Schmidt gelang diese Aufnahme, wie eine gigantische weisse Wand auf die Bergsteiger am Everest Base Camp zurast.
AFP's @robertoindelhi was at Everest Base Camp when the avalanche struck: http://t.co/LXLekd5cGc pic.twitter.com/WVlGsPqGTg
— Andrew Katz (@katz) 26. April 2015
Über der Todesfalle Kathmandu war zur gleichen Zeit hingegen nur etwas Staub zu sehen.
Nicht einmal Videos sind in der Lage, den Horror einzufangen, wenn die Erde unter einem bebt. Der Unterschied zum spektakulären Lawinenvideo könnte nicht grösser sein.
Auch die Bilder von den Folgen des Erdbebens könnten am Everst und in Kathmandu unterschiedlicher nicht sein. Diesmal allerdings umgekehrt.
Am höchsten Berg der Welt einige umgeknickte Zelte:
In der Hauptstadt grenzenlose Zerstörung:
Trotzdem scheint das Schicksal der Bergsteiger mehr zu berühren. Wer schon in Nepal war, dann vermutlich zum Bergsteigen. Wer nicht, hat vielleicht von Landsleuten oder Promis gehört, die dort waren. Unzählige Normalsterbliche dürften mit dem Land zumindest die romantische Vorstellung verbinden, irgendwann den höchsten Gipfel der Erde zu erklimmen. Die emotionale Assoziation Nepal-Everest ist ungleich stärker als Nepal-Kathmandu.
Der Fokus auf den Everest ist nachvollziehbar, weil der Berg eine fast magische Anziehungskraft ausübt. Die Risiken sind bekannt: Erst 2014 kamen bei einer Lawine 16 nepalesische Bergführer ums Leben. Auch sonst lauern genügend Gefahren, 2013 starben acht Personen und 2012 elf.
Trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack: In Kathmandu begrub das Erdbeben Tausende, als sie ihrem Alltag nachgingen, darunter viele Kinder. Eine Tragödie in einem ohnehin bitterarmen Land. Hierher gehört der Fokus, nicht auf den Everest.
Dieser Meinung ist auch Reinhold Messner:«Es ist zynisch, dass man um die Bergsteiger am Mount Everest, die sich für 80'000 bis 100'000 Dollar diese Besteigung kaufen können, einen solchen Hype macht», sagte die Bergsteiger-Ikone dem Radiosender hr-Info.
Am Mount Everest gebe es genügend Ärzte und Essen, ausserdem könne man die Betroffenen mit dem Hubschrauber ausfliegen. Die grösseren Probleme sieht Messner anderswo: «Im Kathmandutal und in den Schluchten drum herum ist eine viel grössere Katastrophe passiert.»
ich sehe es daher eher so: tote im everest? kann passieren...
über 3'000 tote in kathmandu? KATASTROFE