So ist der nächste Nationalrat zusammengesetzt: Die watson-Prognose für die Wahlen 2015
Ein strahlender GLP-Präsident Martin Bäumle und ein grinsender BDP-Chef Hans Grunder beglückwünschen sich als Wahlsieger. 21 Sitze besetzen die beiden Kleinparteien nach den Wahlen 2011 im Nationalrat.
Der Erfolg der GLP fusste wie bei keiner anderen Partei auf geschickten Listenverbindungen. Für Kleinparteien sind diese fast wichtiger als die Wahlkampagne selbst. Der GLP bescherten sie fast die Hälfte ihrer zwölf Sitze.
Die FDP hat gerechnet und mit ihr ist zu rechnen
Gut sechs Wochen vor den diesjährigen Wahlen sind die Listenverbindungen mittlerweile in fast allen Kantonen definitiv. Nun lässt sich berechnen, wer wie gut taktiert hat.
Wir tun dies mit einem Prognosemodell, das sich an Ansätzen aus den USA anlehnt. Wir schauen dazu vor allem die Kantonswahlen an. Ob eine Partei in einer kantonalen Parlamentswahl gewonnen oder verloren hat, sagt alleine schon gut voraus, wie sie bei den Nationalratswahlen abschneiden wird. Diese Zahlen ergänzen wir mit weiteren Angaben, etwa wie viele Parlamentarier eine Partei wegen Rücktritten ersetzen muss. Wenn Bisherige nicht mehr antreten, verliert die Partei meist Stimmen.
Die Prognose zeigt, dass in diesem Jahr nicht mehr nur Martin Bäumle gewissenhaft gerechnet hat. Lachen dürfte vor allem einer: FDP-Präsident Philipp Müller. Die Freisinnigen haben nicht nur bei den Wahlen im Frühjahr Glanzresultate eingefahren, sie scheinen auch richtig taktiert zu haben. Das Modell sagt ihnen die grössten Gewinne voraus. Dass BDP und GLP nochmals jubeln, ist dagegen praktisch ausgeschlossen.
Geht es nach unserem Modell, sieht der Nationalrat ab Dezember folgendermassen aus:
Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir nur bei der Hälfte der Parteien die korrekte Sitzzahl voraussagen – das zeigt die Erfahrung in früheren Wahlen. Relativ gut schneidet das Modell aber bei der Trendaussage ab: Wenn wir einer Partei Gewinne voraussagen, wie dieses Jahr der FDP, dann trifft dies in bis zu 90 Prozent der Fälle auch ein.
Bei diesen Parteien sind die grössten Bewegungen zu erwarten:
Die Gewinnerin
- Die FDP hat die beste Ausgangslage: Mindestens 28 Sitze dürfte sie mit sehr hoher Sicherheit gewinnen. Das sind gleich viele, wie die Freisinnigen heute in den betrachteten Kantonen besetzen. Alles weitere ist ein Ausbau der Sitzstärke. Wahrscheinlichkeit für Sitzgewinne: 90 Prozent
Die Verlierer
- Die Grünliberalen haben seit 2011 sitzmässig über ihren Verhältnissen gelebt. Auch wenn sie den Wähleranteil ungefähr halten sollten, sind die Listenverbindungen für sie nicht mehr optimal, was drei oder vier Sitze kosten dürfte. Anderswo liegen jedoch Sitzgewinne drin. Zwölf Sitze wie 2011 sind aber unerreichbar. Wahrscheinlichkeit für Sitzverluste: 85 Prozent
- Hart dürfte es die Grünen treffen: Schrumpfen werden sie, die Frage ist wie stark. Weniger die Listenverbindungen – die Grünen paktieren fast flächendeckend mit der SP –, sondern die Wählerverluste in den Kantonen führen zur schlechten Prognose. Wahrscheinlichkeit für Sitzverluste: 95 Prozent
- Verluste muss vermutlich auch die BDP hinnehmen. Ein Sitz in Zürich ist in akuter Gefahr. In der Hochburg Bern muss sie sich einigermassen halten können, sonst drohen dort ein, wenn nicht sogar zwei Sitzverluste. Wahrscheinlichkeit für Sitzverluste: 50 Prozent
Die Stagnierer
- Die SVP dürfte stabil bleiben oder leicht verlieren. Auffallend ist das grosse Potenzial: Mittlere Gewinne und etwas Proporzglück würden ihr genügen, um zusätzliche Sitze zu ergattern. Der Wahlkampf wird entscheidend sein. Prognose: Tendenz zu Sitzverlusten
- Bei der CVP könnte der Aderlass ein Ende nehmen. Dank fast flächendeckendem Support der BDP hat sie sich eine gute Ausgangslage geschaffen – trotz wiederum herben Verlusten bei den Kantonswahlen der letzten vier Jahre. Prognose: Keine klare Tendenz
- Bei der SP hängt vieles vom Abschneiden der Grünen ab, mit denen sie fast flächendeckend im gleichen Boot sitzt. Verlieren diese stark, drohen auch der SP Sitzverluste. Halten sie sich wider Erwarten, liegen sogar Gewinne drin. Prognose: Tendenz zu leichten Sitzverlusten
Die Geheimfavoriten
- Gute Chancen auf Sitzgewinne räumt das Modell mehreren Kleinparteien ein. Die AL dürfte in Zürich einen Sitz holen. Die EDU könnte sogar in Zürich und Bern wieder in den Nationalrat einziehen. Für die EVP liegt auch ein Sitzgewinn drin. In Genf tritt Linksaussen zudem geeint als «Ensemble à gauche» an – gut möglich, dass die Gruppierung der SP oder den Grünen einen Sitz wegschnappt.
- Einen Einwand gibt es allerdings: Die Wahlsimulation im Prognosemodell begünstigt Parteien, die knapp an der Schwelle zu einem Vollmandat sind. Das ist bei all den erwähnten Kleinparteien der Fall. Die Chancen dürften deshalb überschätzt sein.
Nach Blöcken betrachtet bahnen sich keine grösseren Veränderungen an. Das Modell geht von einem leichten Rutsch Richtung Mitte-Rechts aus: Links: -2, Mitte: +1, Rechts: +1.
Diese werden bereinigt: Beispielsweise werden Parteiabspaltungen und -neubildungen berücksichtigt, was aus wissenschaftlicher Sicht nicht unproblematisch ist. Aus diesen Daten wird sodann mittels linearer Regression berechnet, inwiefern ein Zusammenhang zwischen den kantonalen Wähleranteilen bei den Nationalratswahlen einerseits und den Kantonsresultaten und den Rücktritten andererseits besteht. Kantonsresultate fliessen als absolute Werte wie auch als gewichtete Trendwerte über alle kantonalen Wahlen ein. Der aus der Vergangenheit errechnete Zusammenhang wird auf die diesjährigen Wahlen übertragen, so dass die Wähleranteile für alle Parteien in allen Kantonen geschätzt werden können.
Das Modell ist nicht perfekt, das R2, ein Gütemass, liegt zwar bei über 98 Prozent. Die durchschnittliche Abweichung zum tatsächlichen Wähleranteil beträgt aber über 2 Prozentpunkte.
Um diese Unsicherheit in der Prognose abzubilden, wird die Wahl 100'000-fach simuliert (unter Berücksichtigung der Listenverbindungen). Bei jedem Durchlauf wird der Wähleranteil leicht um den geschätzten Wert variiert (normalverteilte Zufallszahl). Aus den Resultaten all dieser Durchläufe lassen sich schliesslich die Wahrscheinlichkeitsaussagen formulieren.
Wird das Modell im Nachhinein auf die vergangenen drei Nationalratswahlen angewandt, liegt es in vier von fünf Fällen (1 Fall = 1 kantonale Partei) richtig, in einem falsch.
Für die kleineren Kantone (weniger als fünf Sitze) und für den Majorzkanton Graubünden sowie für Kantone ohne Kantonswahlen in den vergangenen vier Jahren (Jura) wird ein vereinfachtes Modell mit grösserer Unsicherheit verwendet. Noch mehr Details gibt's hier.