Im Oktober 2021 wurde Thierry Burkart zum Präsidenten der FDP gewählt. Im Februar 2022 fragten sich viele Freisinnige, ob das ein Fehler gewesen sei. Und nun, drei Monate später, sind seine Kritiker verstummt.
Was ist passiert? Eine der ersten Forderungen, die nach Burkarts Einsetzung aus der FDP kam, lautete: AKW der neuen Generation sollen zugelassen werden. Das stiess in der Partei auf heftigen Widerstand. Umgehend wurden Streichungs- und Änderungsanträge an der Energie-Resolution vorbereitet.
Ein neues AKW helfe nicht gegen die Stromlücke, die sich möglicherweise bald öffne. Zu den sachlichen Bedenken kam ein grundsätzlicher Einwand: Wenn Burkart die Prioritäten in dieser Weise setze, mache er die FDP zum Beiboot der SVP. Vor allem der linksliberale Flügel der Partei sah seine finstere Ahnung bereits bestätigt.
Die drei freisinnigen Ständeräte in der Energiekommission stimmten alle Nein zum Antrag eines SVP-Kollegen, wonach der Bau von Atomkraftwerken möglich werden soll. Burkart ermahnte derweil die Skeptiker, sie möchten ihre Kritik doch parteiintern anbringen und nicht in den Medien ausbreiten.
Manch ein FDP-Politiker stutzte: Hatte Burkart seine Kritik am europapolitischen Kurs der vormaligen Parteipräsidentin Petra Gössi nicht in die Öffentlichkeit getragen? Hatte er nicht seine Ablehnung des CO2-Gesetzes kundgetan, das die Partei befürwortete? Kann der Präsident einer Organisation etwas einfordern, an das er sich selbst nicht hielt, als er nicht in der Führungsposition war?
Es wurde hektisch in der FDP. Hätte die Delegiertenversammlung im Februar den umstrittenen Passus über die AKW gestrichen – Burkart hätte das Gesicht verloren. Er rettete die Lage, indem er eine abgeschwächte Formulierung durchbrachte.
Dann befiehlt Wladimir Putin den Angriffskrieg auf die Ukraine. Burkart verlangt mehr Geld für die Schweizer Armee – und wiederholt damit eine Forderung, die er schon vor Jahren vorgebracht hat. Im bürgerlichen Lager herrscht schnell Einigkeit darüber, dass das Land mehr Mittel für seine Verteidigung aufbringen muss.
In einem NZZ-Gastbeitrag plädiert Burkart für eine engere Zusammenarbeit der Schweizer Armee mit der Nato. Der FDP-Präsident ist Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, er ist Hauptmann in der Armee – und verwendet in seinem Text militärische Fachbegriffe, die man als gewöhnlicher Mensch noch nie gehört hat.
Burkart beackert ein Feld, das er kennt. Seine Argumente überzeugen viele innerhalb und ausserhalb der Partei. Er spricht sich dafür aus, dass die Schweiz die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland mitträgt. Burkart bringt sich in die Debatte ein, die einsetzt: Sie dreht sich um die Neutralität der Schweiz.
Burkart unterscheidet zwischen Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik. Ersteres gibt vor, dass sich ein neutrales Land weder mit Soldaten noch Waffen direkt an die Seite eines kriegsführenden Landes stellt. Die Neutralitätspolitik berücksichtigt die Gegebenheiten: Wenn Russland das Völkerrecht bricht und die Invasion eines Nachbarlandes startet – ist es dann als «neutral» zu bezeichnen, wenn man sich den Sanktionen gegen den Kriegstreiber nicht anschliesst?
Burkarts Positionsbezüge finden Anklang in der FDP. Der Präsident beweise Themenführerschaft, sagen freisinnige Politiker. Er leiste die politische Arbeit, die man in dieser Krise eigentlich von der Landesregierung erwarten dürfe. Aber vom Bundesrat kommt wenig.
Mitte April tritt Burkart an einem Podium des «Tages-Anzeigers» auf. Thema ist die Neutralität der Schweiz. Der FDP-Präsident sitzt neben Christoph Bocher – und widerspricht ihm höflich, aber dezidiert. Blocher definiert die Neutralität enger. Burkart formuliert geschliffen und zeigt Humor. Als SP-Altbundesrätin Micheline Calmy-Rey auf dem Podium erklärt, die Schweizer Armee solle mehr Geld bekommen, fragt Burkart: «Könnten Sie Cédric Wermuth anrufen und ihm das sagen?»
Burkart will verstärkt mit der Nato zusammenarbeiten, die SVP ist dagegen. Und Burkart legt die Neutralität anders aus als die SVP. Die Befürchtung, der Aargauer Ständerat verwandle den Freisinn in ein Anhängsel der Volkspartei, ist verflogen.
Der Solothurner Nationalrat Kurt Fluri ist dem linksliberalen Flügel der FDP zuzuordnen. Er sagt:
Vom Zürcher Ständerat Ruedi Noser sagt man, dass er bei der Wahl Burkarts nicht in Jubel ausgebrochen sei. Jetzt findet Noser es «hervorragend», wie Burkart in sicherheitspolitischen Fragen Stellung beziehe. Er führe die Partei und lasse gleichzeitig Partizipation zu. Auch die Positionierung stimme: «Die FDP wird nun wieder als klar bürgerliche Partei wahrgenommen. Nicht fremdenfeindlich, nicht EU-feindlich, weltoffen, an einer starken Wirtschaft interessiert.»
Die Frage ist nun: Kann Burkart den Abstieg der FDP stoppen? Für eine Antwort ist es zu früh. In der Waadt legte die Partei dieses Jahr zu. Und auch in der Stadt Zürich steigerte sie ihren Wähleranteil. Das Image der Verliererpartei scheint sich vom Freisinn zu lösen. Es wechselt zur SP.
In der FDP hält man dem Parteipräsidenten zugute, dass er ein hohes Tempo anschlägt. Das zeigt sich auch in der Personalpolitik: Das Präsidium ist neu zusammengestellt, die FDP hat einen neuen Generalsekretär und einen neuen Fraktionschef. In der Partei heisst es: Die Organisation stehe Bundesrätin Keller-Sutter nahe und Bundesrat Cassis eher fern. Unter Petra Gössi sei es umgekehrt gewesen.
Burkart scheint aber zu wissen, dass er als Parteipräsident Cassis stützen muss – auch wenn sich der in die Nesseln setzt. Ein Aussenminister, der in der Kritik steht, nützt der FDP nicht. Die Partei will 2023 ein Wahlresultat vorlegen, dass ihre beiden Bundesräte vor einer Abwahl schützt. In der FDP wächst die Zuversicht, dass Burkart das schafft. Nach einem holprigen Start ist er in sein Amt hineingewachsen.