Die SRF-«Arena» zur Abstimmung über das Transplantationsgesetz war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Für einmal
waren sich nämlich alle geladenen Studiogäste einig: Organspenden sind wichtig und richtig. Sie retten Leben. Ebenfalls aussergewöhnlich war, dass nicht entlang parteipolitischen Linien diskutiert wurde. Vielmehr standen ethische, moralische, gar philosophische Fragen im Vordergrund.
Das Wort, das immer wieder genannt wurde und an dem sich die Studiogäste abarbeiteten, lautete: Widerspruchslösung. Bisher ist eine Organspende nur möglich, wenn dafür eine Zustimmung vorliegt. Künftig soll das Umgekehrte gelten: Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies festhalten müssen. Ohne Widerspruch dürfen nach dem Tod Organe und Gewebe entnommen werden. Natürlich nicht automatisch. Auch bei der neuen Regelung werden Angehörige zur Beratung beigezogen.
Und genau hier begann die Diskussion über Ethik, Moral und Philosophie. Darf man einer verstorbenen Person ein Organ entnehmen, wenn diese zu Lebzeiten nicht explizit ihr Einverständnis dazu gegeben hat? Ist mit dem Einbezug der Angehörigen das Selbstbestimmungsrecht wirklich gewahrt?
Etwas lustlos wirkte der Auftritt von SP-Bundesrat Alain Berset. Im Eins-zu-eins mit SRF-Moderator Sandro Brotz verpasste er es, sich pointiert für die Gesetzesänderung auszusprechen. Stattdessen drosch er Phrasen, wiederholte sich, blieb vage. Eigentlich, so Berset, sei die Widerspruchslösung nur eine kleine Anpassung. In der Praxis ändere sich nicht viel. Es werde allein dadurch nicht zu mehr Organspenden kommen. Was es brauche, seien flankierende Massnahmen, einen Aktionsplan, um die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren.
Eine kleine Anpassung? Das sah Peter G. Kirchschläger ganz anders. Der Professor für theologische Ethik an der Universität Luzern hat gemeinsam mit Mitstreiterinnen das Referendum gegen das neue Gesetz ergriffen. Für ihn werde hier an Pfeilern des liberalen Rechtsstaates gerüttelt. «Plötzlich muss ich zu etwas ‹Nein› sagen, das eigentlich grundrechtlich garantiert ist. In der Verfassung ist garantiert, dass der Staat nicht in meinen Körper eingreifen darf.» Insbesondere, wenn die Anpassung effektiv gar nichts bringe, verstehe er nicht, warum man so «etwas Problematisches» mache.
FDP-Nationalrätin Regine Sauter performte insgesamt solid, doch auch sie vermochte Kirchschlägers emotionalen Voten nichts anhaben zu können. Immerhin den Vorwurf des liberalen Rechtsstaates, an dem gerüttelt werde, liess sie als Freisinnige nicht auf sich sitzen: «Die Widerspruchslösung ist eine liberale Lösung. Weil ich jederzeit sagen kann, ob ich ein Organ spenden will oder nicht.»
Selbst wenn sich eine Person zu Lebzeiten nie dazu geäussert hat, ob sie ihre Organe spenden will oder nicht, wird sie nicht automatisch zur Spenderin. In diesem Fall werden die Angehörigen befragt. Sie können einer Entnahme von Organen widersprechen, wenn dies dem mutmasslichen Willen der verstorbenen Person entspricht. Den Befürwortern des neuen Gesetzes ist dieser Punkt insofern wichtig, als die Angehörigen nach wie vor eine zentrale Rolle bei der Entscheidung spielen.
Doch damit helfe man den Angehörigen nicht, im Gegenteil, man bringe sie noch viel mehr unter Druck, sagte SVP-Nationalrätin Verena Herzog. «Die Regel ist dann, dass man zustimmt. Schweigen heisst Zustimmung», sagte sie. Die Angehörigen hätten dann schnell Angst, als unsolidarisch abgestempelt zu werden, wenn sie sich gegen eine Organspende entscheiden wollten.
Zu ihrem Glück erhielt Herzog in ihrer eher lauwarmen Argumentation Schützenhilfe von Thomas Gächter, Professor für Staatsrecht an der Universität Zürich. Als Rechtswissenschaftler sei er dafür, möglichst häufig herauszufinden, was die Leute wirklich wollten. Und zwar dann, wenn sie sich noch dazu äussern können, nicht erst, wenn sie tot sind. Doch genau das mache die Vorlage nicht. Sie stütze sich auf die Angehörigen ab, die entscheiden müssen, was die sterbende Person wohl gewollt hätte.
Ein Steilpass für Ethiker Kirchschläger. Er schien sich bereits ausführlich Gedanken gemacht zu haben, wie der Wille der Personen festgestellt werden kann. Etwas gar lehrmeisterlich tadelte er: «Ich habe schon vor drei Jahren öffentlich Vorschläge platziert.» Man könne zum Beispiel im Pflichtschulbereich dafür sorgen, dass man sich mit der Frage der Organspende auseinandersetze. Oder in Hausarztpraxen könnten Beratungen angeboten werden.
Eine weitere Idee hatte die SVPlerin Herzog. Man solle doch die Bevölkerung regelmässig zur Organspende befragen. Zum Beispiel in einem Schreiben, das die Krankenkasse verschicke: «Man könnte doch ganz einfach drei Felder einführen, ein ‹Ja›, ein ‹Nein› oder ein ‹Ich kann mich noch nicht entscheiden›.»
Diese sogenannte «Erklärungslösung» wurde zwar vom Parlament längst abgelehnt, trotzdem hielt Herzog an dem Vorschlag fest. Im Eins-zu-eins mit Moderator Brotz doppelte sie nach. Anstatt über die Krankenkasse könne die Befragung auch zusammen mit der Steuererklärung verschickt werden, sagte sie. Eine Aussage, die das Publikum mit leisem Kichern quittierte. Etwas verlegen schob Herzog nach: «Ja, mit der Steuererklärung ist vielleicht nicht so sexy. Aber es ist eine Möglichkeit, eine ethische Lösung zu finden.»
Knallhart konterte Brotz: «Sehen Sie ihren eigenen Widerspruch? Sie sagen, der Staat soll sich nicht einmischen, aber Sie wollen mir die Steuererklärung heimschicken. Und dann soll ich auch noch ankreuzen, ob ich für Organspenden bin oder nicht?» Mit Verzweiflung im Gesicht antwortete Herzog, es gehe doch darum, dass man allen die Möglichkeit gebe, sich zu äussern.
FDP-Nationalrätin Sauter entgegnete, mit dieser Erklärungslösung würde ein Bürokratie-Apparat aufgebaut, den niemand wolle. «Die Leute wollen nicht permanent befragt werden, ob sie ihre Organe spenden wollen.» Sie punktete mit ihrer sachlichen Art und konnte sogleich ihr wichtigstes Argument abliefern: «Wir alle gehen selbstverständlich davon aus, im Krankheitsfall Anrecht auf eine Organspende zu haben. Aber warum ist es dann für uns nicht auch selbstverständlich, dass wir bei unserem Tod unsere Organe spenden würden?»
Herzog holte zu einer letzten Verzweiflungstat aus: «Sogar die Justizministerin Karin Keller-Sutter ist gegen das Gesetz. Und auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga.» Worauf dem Gesundheitsminister Berset ein lautes «Oje!» entfuhr. Sogleich intervenierte er und schickte Herzog zum Politik-Nachhilfeunterricht: «Frau Herzog, der Bundesrat ist ein Gremium, der kollegial diskutiert, entscheidet und eine gemeinsame Position vertritt. Und es ist für mich ein absolutes Novum, dass man jetzt plötzlich behauptet, wer wie was denkt.»
Somit wird gar nichts gegen einen Willen oder mit Zwang gemacht. Damit ist der Diskussion eigentlich die ganze Grundlage entzogen und man kann gut Ja sagen.
Das bestätigt u.a. auch das Unispital Zürich in den FAQ auf seiner Website.