Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny liegt nach einer möglichen Vergiftung in einem Krankenhaus im Koma. Das teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch in der sibirischen Grossstadt Omsk am Donnerstag mit.
Er soll in Berlin behandelt werden: «Wir versuchen, das zu ermöglichen», sagte der Filmproduzent Jaka Bizilj der dpa in Berlin. Nawalny solle in der Charité behandelt werden. Von der Klinik gebe es bereits eine Zusage. Aktuell würden noch die notwendigen Fluggenehmigungen eingeholt.
Nawalny solle mit einer in Deutschland gecharterten Spezialmaschine aus Omsk geholt werden, wo er sich derzeit im Krankenhaus befindet. Zuvor hatte die «Bild» über die Pläne berichtet.
Der Wunsch nach einer Behandlung in Berlin sei von der Familie an ihn herangetragen worden, sagte Bizilj.
Nawalnys persönliche Ärztin Anastassija Wassiljewa hatte zuvor schon einen möglichen Transport des 44-Jährigen ins Ausland angedeutet. Er solle zu einem führenden Toxikologiezentrum in Europa geflogen werden.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat von Moskau eine rasche Aufklärung der Hintergründe einer möglichen Vergiftung des russischen Regimekritikers Alexey Nawalny verlangt. «Was jetzt ganz, ganz wichtig ist, ist, dass dringend aufgeklärt wird: Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Darauf werden wir bestehen», sagte Merkel am Donnerstag beim Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Sie fügte hinzu: «Das, was man bis jetzt hört, sind sehr ungünstige Umstände. Und das muss sehr, sehr transparent gemacht werden.»Merkel äusserte sich sehr bestürzt über die Nachrichten um Nawalny. «Ich hoffe und wünsche natürlich, dass er baldmöglichst genesen kann.» Merkel und Macron boten Nawalny gesundheitliche Hilfe an.
Der Präsident sagte: «Wir sind bereit, Alexej Nawalny und seinen Angehörigen jede notwendige Unterstützung in Bezug auf Gesundheit, Asyl und Schutz zu gewähren.» Man sei extrem besorgt über die Situation. «Wir werden in der Folge und bei den Untersuchungen, die durchgeführt werden, äusserst wachsam sein.»
Nawalny sei an ein Beatmungsgerät angeschlossen worden und nicht bei Bewusstsein. «Ich bin sicher, dass er absichtlich vergiftet wurde», sagte Jarmysch. Nawalnys engster Kreis geht davon aus, dass Informationen über eine mögliche Vergiftung zurückgehalten werden. Seine Ehefrau Julia sei zunächst nicht über den genauen Gesundheitszustand des Oppositionellen informiert worden.
«Er befindet sich in einem ernsten, aber stabilen Zustand», bestätigte zunächst ein behandelnder Arzt. Zur Diagnose nannte er keine Details. «Vergiftung ist eine Möglichkeit.» Die Lage habe sich seit der Ankunft im Krankenhaus deutlich stabilisiert, hiess es. «Was wir bislang geschafft haben, ist für den Moment ein vorsichtiges gutes Zeichen», sagte der stellvertretende Chefarzt Anatoli Kalinitschenko. Die Klinik sei im Kontakt mit Spezialisten in Moskau.
Der 44 Jahre alte Oppositionelle war gerade zu Recherchen in Sibirien unterwegs. Vor der Abreise sei es ihm noch gut gegangen, sagte seine Vetraute Jarmysch. Am Flughafen in Tomsk habe er noch eine Tasse schwarzen Tee getrunken. Während des Fluges habe er sich dann unwohl gefühlt. Jarmysch habe versucht, sich um ihn zu kümmern und ihn zu beruhigen. Er habe noch an Bord das Bewusstsein verloren.
Das Flugzeug auf dem Weg nach Moskau landete dann wegen des Notfalls in Omsk, dann wurde Nawalny ins Krankenhaus gebracht. Dort habe das Team auch die Polizei alarmiert, sagte Jarmysch. Die Ärzte seien sehr verschlossen und gäben keine Auskunft. Nawalnys Frau Julia und seine Vertrauensärztin seien sofort nach Omsk geflogen. Erst nach Stunden sei Julia zu ihrem Ehemann gelassen worden, sagte Jarmysch.
Der Kreml betonte, dass es eine Untersuchung durch die Polizei geben werde, sollte sich der Verdacht auf eine Vergiftung bestätigen. «Wie jeden Bürger unseres Landes wünschen wir ihm baldige Genesung», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. «Die Behörden haben viele Kritiker. (...) Wenn aber das Leben eines russischen Staatsbürgers bedroht ist, dann ist das eine ernste Situation, die sowohl Ärzte als auch Ermittler sehr ernst nehmen.»
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell wünschte Nawalny eine schnelle und vollständige Erholung nach der möglichen Vergiftung. «Sollte sich das bestätigen, müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden», twittere Borrell.
«Es besteht kein Zweifel, dass Nawalny wegen seiner politischen Position und seiner Tätigkeit vergiftet wurde», sagte Wjatscheslaw Gimadi, der Anwalt von Nawalnys Fonds zur Bekämpfung von Korruption. Er wolle eine Untersuchung durch das Ermittlungskomitee beantragen.
Nawalny ist der führende Kopf der liberalen Opposition. Er hat auch viele Feinde im Machtapparat. Der studierte Jurist wirft mit seinem Team der Regierung und Oligarchen regelmässig Korruption und Machtmissbrauch vor. Zuletzt hatte ihm auch der umstrittene Staatschef von Belarus (Weissrussland), Alexander Lukaschenko, vorgeworfen, hinter den Massenprotesten in seinem Land zu stehen.
Jarmysch bringt den Vorfall besonders mit anstehenden Kommunalwahlen in Russland im September in Verbindung. «Offensichtlich haben die Behörden irgendwelche Vorstellungen, dass die Situation gefährlich werden könnte und man, wenn es nötig ist, auch Alexej neutralisieren muss», sagte Jarmysch dem Radiosender Echo Moskwy.
Auf den prominenten Kämpfer gegenn Korruption hatte es in der Vergangenheit immer wieder Anschläge gegeben. «Dieser Zwischenfall ist der schwerste bisher», sagte Jarmysch der Deutschen Presse-Agentur. Es sei der inzwischen vierte Fall. Zweimal habe es Farbanschläge gegeben - einmal mit Problemen für sein Auge mit Erblindungsgefahr. Im vorigen Jahr sei er vergiftet worden, in Haft und dann in ein Krankenhaus gekommen.
Dass er von den Behörden an seiner Arbeit regelmässig gehindert werde, betonte Nawalny öfter. Immer wieder gibt es Razzien in seinen Büros, er wurde auch oft festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt.
Vor einem Jahr musste er während seiner Haftstrafe in einem Krankenhaus angeblich wegen eines Allergieschocks behandelt werden. Nawalny betonte damals, dass er vergiftet worden sein könnte.
In Russland waren mutmassliche Vergiftungen im politischen Milieu in der Vergangenheit immer wieder ein Thema. Auch der Aktivist Pjotr Wersilow, Mitglied der russischen Polit-Punk-Gruppe Pussy Riot, verdächtigte den russischen Geheimdienst, ihn 2018 in Moskau vergiftet zu haben. Er wurde in Berlin behandelt. Pussy Riot ist mit Aktionen gegen Justizwillkür und Korruption weltweit bekannt. (aeg/sda/dpa)
Und was sendet das für eine Botschaft in die Welt und zu all den möchtegern Diktatoren die momentan überall schalten und walten in sogenannten Demokratien!?