Der zweite Winter dieser Pandemie rückt näher. Die Zahl der Covid-Neuinfektionen ist zuletzt deutlich angestiegen. Das Wetter zeigt sich in weiten Teilen des Landes von seiner nebligen und kalten Seite. Anders die politische Stimmungslage: Sie heizt sich auf. Eine Woche vor der Abstimmung über das Covid-Gesetz vom 28. November scheint sich in der Schweiz fiebrige Unruhe breitzumachen.
Eigentlich gebe es dafür wenig Anlass. Die jüngste SRG-Umfrage ergab eine im Vergleich zur ersten Umfrage unveränderte Zustimmung von 61 Prozent zum Gesetz.
Wie reagieren die Gegner des Gesetzes, wenn sich die Umfragen am Abstimmungssonntag bestätigen? Nicht alle dürften das Resultat akzeptieren. Nicolas A. Rimoldi von der Gruppe «Mass-Voll» forderte jene Kantone zum Austritt aus der Eidgenossenschaft auf, die das Covid-Gesetz ablehnen.
Schon länger kursiert in wichtigen Telegram-Kanälen der Massnahmengegner zudem die haltlose Behauptung, wonach das Abstimmungsergebnis manipuliert werden könnte. Diese Woche wurde eine Website lanciert, auf der dazu aufgerufen wird, sich unter Einsendung eines Fotos seines Stimmzettel sowie eines amtlichen Ausweises zu registrieren. Das solle dabei helfen, die «zu erwartende Manipulation» der Abstimmung vom 28. November zu verhindern. Wie genau, das bleibt fraglich.
Doch auch die befürwortende Seite ist nervös. Das zeigt sich nicht zuletzt beim Bundesrat, der zögert, trotz der sich zuspitzenden epidemiologischen Lage neue Massnahmen zu ergreifen. Bei einem gemeinsamen Treffen am Donnerstag konnte sich Gesundheitsminister Alain Berset (SP) zur Konsternation vieler kantonaler Gesundheitsdirektoren nicht einmal dazu durchringen, Szenarien für die nächsten Wochen vorzulegen.
In ihrer Analyse diagnostizieren die Umfrageforscher des GFS Bern «eine hohe Dynamik im Abstimmungskampf», begünstigt durch emotionale Diskussionen über Corona, Impfungen und Zertifikat. Auch wenn ein Ja «klar wahrscheinlicher» sei, könne es eine Ablehnung nicht ganz ausgeschlossen werden. Lukas Golder, Co-Leiter des GFS Bern, beobachtet eine «heftiger werdende Wellenbewegung» während des Abstimmungskampfs. «Im Vergleich zur ersten Abstimmung über das Covid-Gesetz im Juni hat die Emotionalisierung und Polarisierung nochmals deutlich zugenommen.»
Diese Entwicklung betrachtet Marko Ković mit Sorge. Der Politik- und Kommunikationsforscher beobachtet die Szene der Massnahmengegner schon lange intensiv. «Demokratie ist zerbrechlich», gibt er zu bedenken. Die gegenwärtigen Entwicklungen strahlten über den 28. November hinaus. Ković sagt:
Die Bewegung habe sich im laufenden Abstimmungskampf noch einmal deutlich radikalisiert. Die Verschwörungstheorie einer manipulierten Abstimmung etwa sei «brandgefährlich», weil sie das Vertrauen in die Demokratie untergrabe.
Josef Ender, Mediensprecher des Nein-Komitees, distanziert sich von dieser Theorie: «Wir haben keine Hinweise darauf, dass die Stimmabgabe und Auszählung manipuliert wird.» Man sei grundsätzlich für eine sachliche und faire Diskussion. Wie immer in gesellschaftlichen Konflikten könne es auf beiden Seiten zu einem «unerwünschten Verhalten» kommen. Die Ursache dafür sei aber die durch Zwangsmassnahmen und Diskriminierung getriebene gesellschaftliche Spaltung. Bestes Mittel dagegen sei ein Nein zum Covid-Gesetz.
Der dänische Politikwissenschafter Michael Bang Petersen untersuchte in einer gross angelegten Studie Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren bei der Pandemiebewältigung. Auch er sieht die Spaltung der Gesellschaft als Herausforderung. Das Dilemma: Treffen Einschränkungen die geimpfte Mehrheit, wachse deren Unverständnis für die Ungeimpften. Drängt man Letztere mit gezielten Einschränkungen zu einer Impfung, so verstärke sich bei ihnen das Misstrauen, das am Anfang ihrer Entscheidung gegen den Piks stand.
Der prominente Covid-Gesetz-Gegner Michael Bubendorf von den «Freunden der Verfassung» brachte dieses Dilemma bei einem Demoauftritt letzen Samstag in Bern unfreiwillig auf den Punkt: «Es ist egal, wie viel Druck ihr uns noch gebt. Wir nehmen eure Scheiss-Impfung nicht.» (aargauerzeitung.ch)
Darum: bitte geht abstimmen!