An der Südwestflanke der kriegsgeplagten Ukraine spitzt sich die Lage durch rätselhafte Anschläge in der moldauischen Separatistenregion Transnistrien zu. In dem schmalen, von vielen Russen bewohnten Landstreifen am Fluss Dnister haben Unbekannte die zwei stärksten Radioantennen Europas gesprengt. Nun schieben sich die Ukraine und Russland gegenseitig die Schuld für den Angriff zu.
Gemäss des Investigativjournalisten Christo Grozev sollen die Antennen bis vor Kriegsbeginn noch von einem evangelikalen Netzwerk genutzt worden sein. Dann seien sie von Russland übernommen worden, um in der Ukraine Propaganda zu verbreiten.
Explosionen gab es angeblich auch in einer Kaserne nahe dem Militärflugplatz von Tiraspol. Der Präsident Transnistriens, Wadim Krasnoselski, sprach am Dienstag von Terroranschlägen. Verletzt wurde den Angaben nach niemand.
Bereits gestern ist es zu einem Angriff gekommen. Dabei ist das Ministerium für Staatssicherheit beschossen worden. Demnach wurde das Gebäude in der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol durch Explosionen beschädigt. Auf Fotos, deren Echtheit nicht überprüft werden konnte, waren eingeschlagene Scheiben und ein zertrümmerter Eingang zu sehen. Die Behörden teilten am Montag mit, dass das Gebäude mit Panzerabwehrmunition beschossen worden sei. Es sei wegen eines arbeitsfreien Tages niemand zu Schaden gekommen. Russland hat in der von der Republik Moldau abtrünnigen Region Soldaten stationiert.
Auch hier ist gemäss den moldauischen Behörden in der Hauptstadt Chisinau nicht klar, wer geschossen hat. Es handele sich aber offenkundig um eine Provokation mit dem Ziel, die Lage in der Konfliktregion zu destabilisieren. Die Ukraine gab Moskau die Schuld an dem Beschuss.
Der ukrainische Militärgeheimdienst in Kiew warf Russland vor, mit dieser Provokation Panik schüren zu wollen. Demnach könnten die in Transnistrien stationierten Truppen versuchen, von dort aus die Ukraine in Richtung der Stadt Odessa am Schwarzen Meer anzugreifen. In einer in Kiew veröffentlichten Mitteilung erinnerte der Geheimdienst an eine Äusserung eines russischen Befehlshabers, der am vergangenen Freitag offen davon gesprochen hatte, dass Moskau die gesamte Südukraine bis nach Transnistrien unter seine Kontrolle bringen wolle.
#BREAKING Moldova president urges citizens to 'keep calm', boosts security after series of explosions in Moscow-backed Transnistria pic.twitter.com/UmRM75TUU2
— AFP News Agency (@AFP) April 26, 2022
Ob es sich bei dem Angriff tatsächlich um einen russischen Angriff unter falscher Flagge handle, sei schwer zu beurteilen, so Moldawien-Experte Bob Deen gegenüber «The Guardian». Ebenso könnte es sich um tatsächliche Sabotage-Akte von anti-russichen Gruppen handeln.
Dennoch habe die russische Rhetorik in letzter Zeit darauf hingedeutet, dass Russland längerfristige Pläne mit Transnistrien haben könnte, so Deen weiter. Auch sei es eher unwahrscheinlich, dass russische Streitkräfte in der Lage wären, eine Offensive an der moldawischen Grenze zu inszenieren, da sie bereits im Donbass in heftige Kämpfe involviert seien.
Das ukrainische Militär hat vor einer Aktivierung russischer Truppen in Transnistrien gewarnt. «Die Einheiten der russischen Streitkräfte sind in volle Gefechtsbereitschaft versetzt worden», hiess es in einem am Dienstagabend auf Facebook veröffentlichten Bericht des ukrainischen Generalstabs. Zudem seien auch die Sicherheitskräfte der moldauischen Separatisten in erhöhte Bereitschaft versetzt worden.
Gemäss Aussenminister Nicu Popescu haben seit Beginn des Krieges über 400'000 Menschen die Grenze zu Moldawien überquert. Man habe Einreise und Visa-Bestimmungen angepasst, um alle Flüchtenden aufzunehmen. Doch diese Entwicklung gefährdet Moldawiens Stabilität und wirtschaftliches Wachstum.
«Wir sind der angreifbarste Nachbar der Ukraine, weil wir das am meisten betroffene Land sind und am wenigsten Ressourcen haben, um mit der Situation und den Auswirkungen des Kriegs umzugehen», gibt Popescu zu bedenken.
Besonders problematisch ist dabei die Tatsache, dass Moldawien 100 Prozent seines Gases von Russland bezieht. Zudem wird 80 Prozent aller Elektrizität aus Transnistrien bezogen.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Poldoljak zeigt sich auf Telegram beunruhigt über die Lage: «Russland will die Region Transnistrien destabilisieren». Er traut Russland auch ein weiteres Vorrücken zu: «Die schlechte Nachricht: Wenn die Ukraine fällt, werden russische Truppen morgen vor Chisinau stehen.»
Diese Nachricht ist auch bei der Bevölkerung angekommen: Auf Twitter-Bildern ist zu sehen, wie sich an den transnistrischen Grenzen Staus bilden.
Additionally there is no huge clamour from Transnistrian people to get involved in the war. The lack of public support for Putin’s invasion is conspicuous by its absence. And today, queues at the border with Moldova - Transnistrian people are trying to flee. pic.twitter.com/4hiswEtUay
— Peter A Smith (@PeterAdamSmith) April 26, 2022
Aus Furcht vor einem Ausweiten des Krieges ergreifen viele Menschen die Flucht.
Local media reporting lines of cars at the Transnistria border - people trying to flee into Moldova after 24 hours of escalation and fears the war in Ukraine is about to reach them. pic.twitter.com/bXvsjODGyE
— Peter A Smith (@PeterAdamSmith) April 26, 2022
Die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, deutete die Unruhe als Ausdruck innerer Konflikte in dem seit 1992 abgespalteten Separatistengebiet. «Wir sind daran interessiert, dass an den Ufern des Dnister Frieden und Ruhe herrschen», sagte sie in Chisinau nach Beratungen ihres Sicherheitsrates. Die arme Ex-Sowjetrepublik Moldau orientiert sich unter Sandus Führung in Richtung EU und bemüht sich um eine Mitgliedschaft.
Chisinau hat Kiew humanitäre, aber keine militärische Hilfe gegen Russland gewährt. In dem Konflikt selbst erklärte sich die Republik Moldau neutral und hat sich auch nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt.
In Transnistrien wurden derweil bereits neue Sicherheitsmassnahmen getroffen, da weitere Eskalationen befürchtet werden. So wurden an den Zufahrten in die Städte militärische Checkpoints eingeführt, sowie die jährliche Siegesparade am 9. Mai gestrichen. (saw)
Mit Material der Nachrichtenagentur sda und dpa.
Die Parallelen zum Krieg in der Ukraine sind Augenscheinlich. Ich hoffe ich liege falsch.
In jedem Fall finde ich die Zuspitzung der Situation beunruhigend.