
Thomas Süssli, Chef der Armee, prüft eine Anpassung des Militärgesetzes.Bild: keystone
Die Schweizer Armee will im Kriegsfall auf zivile Güter zugreifen können. Im Fokus stehen Lastwagen, Busse und Baumaschinen. Doch genügt das aktuelle Militärgesetz den Anforderungen? Das will der Armeechef nun wissen.
Cet article est également disponible en français. Lisez-le maintenant! 21.06.2022, 11:2121.06.2022, 12:15
Antoine Menusier / watson.ch/fr
Er will es genau wissen: Armeechef Thomas Süssli lässt überprüfen, ob das Militärgesetz revidiert werden muss, damit die Armee im Kriegsfall zivile Materialrequisitionen durchführen kann. Einen entsprechendem Auftrag hat er dem Chef des Armeestabes, Divisionär Jean-Paul Theler, am 13. Juni erteilt. Armeesprecher Daniel Reist bestätigt den Vorgang auf Anfrage gegenüber watson.ch/fr und begründet diese Initiative mit «der Rückkehr des Krieges nach Europa»:
«Man hat uns gesagt – oder wir haben 30 Jahre lang geglaubt –, dass ein Krieg auf europäischem Boden nicht mehr möglich sein wird. Der Konflikt in der Ukraine zeigt uns das Gegenteil.»
Der Antrag bezieht sich auf Artikel 81 des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung. Dieser Artikel bezieht sich auf den Aktivdienst, sprich den Einsatz der Armee im Falle eines Konflikts oder eines drohenden Krieges. Diese gesetzliche Bestimmung ermöglicht es der Armee, für gewisse Firmen «den militärischen Betrieb anzuordnen». Genannt werden:
- «die mit öffentlichen Aufgaben betrauten privaten Unternehmen, mit Ausnahme der vom Bund konzessionierten Transportunternehmen»,
- «die militärischen Anstalten und Betriebe».
Armeechef Süssli will wissen, was das Gesetz genau erlaubt. Kann die Armee die Dinge, die sie für ihren Kriegseinsatz benötigt, von Amts wegen requirieren?
Im Fokus stehen dabei Lastwagen, Baumaschinen und Busse. Im Grunde alles, was mit Logistik und Versorgung zu tun hat – das Rückgrat einer Armee im Kriegsfall.
Mit Bussen aus Lausanne an die Front in St.Gallen
Hintergrund dieser Überlegungen ist, die Armee von einem Teil der logistischen Aufgaben zu entlasten, so dass sie sich ihrer eigentlichen Aufgabe widmen kann.
Julien Grand, stellvertretender Chefredakteur der «Schweizer Militärzeitschrift», skizziert gegenüber watson ein mögliches Szenario:
«Die militärische Front befindet sich in St.Gallen, im Osten der Schweiz. Anstatt Militärtransporte zu verwenden, um Material und Truppen von Genf und Lausanne an die Front zu bringen, würden zivile Transportmittel requiriert und Fahrer eingesetzt werden, die ebenfalls Zivilisten sein könnten.»
Julien Grand
Und: Es müssten noch weitere Aspekte geklärt werden. So unter anderem der Rechtsstatus von Zivilisten, die zur Zusammenarbeit verpflichtet sind oder sich freiwillig melden, sagt Julien Grand:
«Bei Gefangennahme durch den Feind geniessen Zivilisten nicht den Schutz, den die Genfer Konventionen Soldaten gewähren.»
Grand verweist auf die prorussischen Regionen in der Ukraine, wo Todesurteile gegen zivile Freiwillige ausgesprochen werden, die beim ukrainischen Militär mitgearbeitet haben. «Es wäre daher angebracht, den Zivilisten, die als Stellvertreter in einem Konflikt angeheuert werden, den Rechtsschutz zu garantieren, den die Soldaten geniessen.»
Die Zusammenarbeit zwischen Militär und Zivilisten ist eine der Grundprinzipien der Milizarmee. «Bei der Covid-19-Pandemie haben die Armee, der Zivildienst und die Rega vollumfänglich zusammengearbeitet», erinnert sich Armeesprecher Daniel Reist. Aber im Moment sei rechtlich nicht alles klar geregelt und entspreche den aktuellen Herausforderungen. Es gehe darum, den Krieg wieder als eine mögliche Perspektive für die Schweiz zu betrachten.
Muss dafür das Militärgesetz angepasst oder kann der politisch einfachere Weg über eine Verordnung beschritten werden? Dies soll die Analyse von Jean-Paul Theler zeigen.
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Blick in eine grössere Zivilschutzanlage in Berneck: Schlafraum. (bild: wikimedia/kecko) quelle: wikimedia/kecko
Inmitten des Ukraine-Krieges rettet ein Helfer Kängurus aus dem Zoo
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Das Seco registrierte seit Beginn des Ukrainekriegs knapp 700 Verdachtsfälle zu Verstössen gegen die Russland-Sanktionen und der Bund will Schweizer Detailhändler für nachhaltigeren Konsum in die Pflicht nehmen. Das und mehr findet sich in den Sonntagszeitungen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat laut «SonntagsZeitung» seit Beginn des Ukrainekriegs 2022 knapp 700 Verdachtsfälle zu möglichen Sanktionsverstössen registriert. Bisher seien 77 Verfahren eröffnet und 65 abgeschlossen worden, teilte das Amt auf Anfrage der Zeitung mit. In 26 Fällen seien Bussen ausgesprochen worden, meist wegen fahrlässigem Verhalten, oft aufgedeckt vom Zoll. Die Fälle reichten von dem Versuch, eine Luxusuhr im Wert von 300’000 Franken nach Russland auszuführen, über den Import einer Sauna aus Belarus bis hin zu Lieferungen von Industriegütern wie Werkzeugmaschinen-Ersatzteilen, deren Export nach Russland verboten ist. Auch ein Mann, der Waffenteile in Russland bestellt habe, sei gebüsst worden. Die Strafen reichten von 300 bis 5000 Franken. Rund zwei Drittel der gemeldeten Fälle beträfen Importe, ein Drittel Exporte. Zwei grössere Verfahren seien an die Bundesanwaltschaft übergeben worden.