Sie traf gerade rechtzeitig ein mit dem Dienstwagen in Frauenfeld. Keine Minute zu früh, keine Minute zu spät. Punkt 10.10 Uhr betrat Verteidigungsministerin Viola Amherd die Mehrzweckhalle der Kaserne Auenfeld.
Den Begrüssungskaffee hatte sie damit verpasst. Schon fünf Minuten später begann die Delegiertenversammlung der Schweizerischen Offiziersgesellschaft mit drei Reden. Dann trat Amherd selbst vors Mikrofon, sprach acht Minuten, erhielt einen Blumenstrauss – und verliess die Halle durch einen Seitenausgang. Um 11.10 Uhr verliess ihr Dienstwagen das Kasernenareal. Das zeigen die Daten des Fotografen.
Der Auftritt in Frauenfeld ist ein Beispiel für die Distanz zwischen Amherd und den Armeeoffizieren. Zwar war die Verteidigungsministerin anwesend – aber nur kurz. Zwanglose Gespräche waren unmöglich. Das Foto von Amherds Einmarsch verdeutlicht die Distanz: Die Bundesrätin schreitet zu ihrem Platz, inmitten von Armeeoffizieren mit starren Blicken.
Amherd führt das Departement straffer und abgeschotteter als die Verteidigungsminister der letzten Jahrzehnte. Ein halbes Dutzend Getreuer begleitet sie eng – und berät sie. In Offizierskreisen ist die Rede von der «Administration Amherd».
Wer etwas von ihr will, kommt an der «Administration» kaum vorbei. Vor allem nicht an Brigitte Hauser-Süess, ihrer langjährigen politischen Wegbegleiterin. Wer bei der Bundesrätin ein Projekt durchbringen wolle, sichere sich mit Vorteil die Unterstützung von Hauser-Süess, berichten Insider. Mit ihr im Rücken gehe vieles, ohne sie nur wenig.
Zwischen die beiden Frauen passt kein Blatt Papier. Sie kennen sich aus der Zeit, als Hauser-Süess Amherd am Kollegium Spiritus Sanctus in Brig in Stenografie und Schreibmaschinenschreiben unterrichtete. Hauser-Süess bewegte sie zudem zu einer Kandidatur in die Briger Stadtregierung.
2018 spielte Hauser-Süess eine zentrale Rolle in Amherds Team für die Bundesratswahl. Seit 2019 ist sie persönliche Beraterin der Verteidigungsministerin. Nach Eveline Widmer-Schlumpf und Doris Leuthard dient sie damit der dritten Bundesrätin.
Insider sagen, Hauser-Süess werde zunehmend zur Hypothek für Amherd. Sie schotte die Bundesrätin genauso stark ab wie einst Widmer-Schlumpf. Sei es zu Beginn noch wichtig gewesen, dass die neue Bundesrätin in die Gepflogenheiten der Verwaltung eingeweiht wurde, schade ihr nun diese Nähe.
Zum engsten Kreis zählen auch Generalsekretär Toni Eder, Pälvi Pulli als Chefin Sicherheitspolitik, Kommunikationschef Renato Kalbermatten, Divisionär Melchior Stoller als militärischer Berater und Marc Siegenthaler als Leiter Ressourcen. Erweitert man den Kreis noch ein wenig, gehört auch Alexandra Perina-Werz dazu, Fachreferentin von Air 2030.
Was auffällt: Die Hälfte dieses Kreises gehört der Partei «Die Mitte» an: Amherd, Hauser-Süess, Eder und Perina-Werz.
Auch Armeechef Thomas Süssli hat einen guten Draht zu seiner politischen Chefin. Gerüchte aus Offizierskreisen, selbst Süssli müsse sich Termine über Hauser-Süess holen, sind falsch. Sein Verhältnis zur Departementschefin bezeichnet der Armeechef als «sehr gut».
Recherchen zeigen, dass Süssli pro Woche bis zu vier bilaterale 30-Minuten-Gespräche mit Bundesrätin Amherd führt. Dazu kommen Amtsleitungssitzungen und thematische Sitzungen. Da sind bis zu zehn weitere Personen aus dem höchsten Armeekader vertreten.
Die Gerüchte verdeutlichen, dass im VBS eine Konfliktlinie existiert – und zwar zwischen der «Administration Amherd» (inklusive Armeechef Süssli), den höheren Stabsoffizieren (HSO) und den Armeeoffizieren generell. Die HSO sind die 53 höchsten Armeekader im Rang eines Brigadiers (30), Divisionärs (19) und Korpskommandanten (4).
Unterschwellig haben einige Probleme mit Armeechef Süssli. Ihm fehlt der Stallgeruch des Berufsoffiziers. Bundesrat Ueli Maurer hatte ihn 2015 aus der Bankenwelt geholt und ihn an der Hierarchie vorbei zum Brigadier und Kommandanten der Logistikbrigade befördert. Fünf Jahre später ernannte Viola Amherd den Cyberspezialisten zum Armeechef.
Insider sagen, Amherd habe hochqualifizierte Offiziere übergangen. Das gefiel nicht allen. Genannt wird etwa Korpskommandant Laurent Michaud, Chef des Kommando Operationen, der das Kommando Spezialkräfte aufbaute. «Mit ihm würde man in den Krieg ziehen», sagt ein Insider. Auch der Name von Divisionär Claude Meier fällt, der die Genfer Zentren für Friedens- und Sicherheitspolitik vertritt. Er galt 2019 als einer der Favoriten auf die Nachfolge von Philippe Rebord.
Als Quereinsteiger fehle Süssli bis heute die Hausmacht bei den höheren Stabsoffizieren, sagen Insider. Diese haben auch Vorbehalte gegenüber Amherd selbst. Sie tritt selten an HSO-Veranstaltungen auf, scheut sich aber nicht, Offiziere an Sitzungen mit kritischen Fragen zu konfrontieren. Dass das eine Zivilperson – und das ist eine Bundesrätin – wagt, kommt nicht immer gut an.
Teile des Armeekaders warteten darauf, bis Ueli Maurer als Bundesrat zurücktrete, sagt ein Insider. Damit käme – so die Spekulation – eine Departementsrochade in Gang. Viola Amherd würde das VBS verlassen, was unter Umständen selbst Armeechef Süssli gefährden könnte.
Klar ist: Die Situation unter Amherd lässt sich nicht vergleichen mit jener, die Ueli Maurer als Verteidigungsminister erlebte. Zwischen ihm und dem Armeekader kam es teilweise zum offenen Streit. Denkwürdig ist ein Apéro, an dem auf der einen Seite alle höheren Stabsoffiziere standen und auf der anderen Seite Ueli Maurer. Alleine.
In Offizierskreisen wird Amherds Sicherheitspolitik als Baustelle empfunden. Sie denken, die Verteidigungsministerin müsste offensiver auftreten, mehr Geld einfordern und mit Konzepten an die Öffentlichkeit treten. Der Ukraine-Krieg rückt die Armee so stark in den Fokus wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Das sieht auch SP-Sicherheitspolitikerin Edith Graf-Litscher so. Planloses Vorgehen helfe nicht weiter, sagt sie. «Es braucht nun einen breit abgestützten Vorschlag der VBS-Verantwortlichen.» Vielsagend hält sie fest: «Wichtig ist, dass alle Kräfte zusammenspannen.»
Damit nimmt sie die Kritik auf, die SP-Co-Präsident Cédric Wermuth im Streitgespräch mit FDP-Präsident Thierry Burkart an der Armee und am VBS geäussert hat. Bevor die Armee mehr Geld erhalte, betonte er, müsse das VBS seine Hausaufgaben machen: «Das VBS und die Armee sind in einem schlechten Zustand.» Die SP will das VBS verstärkt öffentlich zum Thema machen.
Was sagt das VBS zur Konfliktlinie mit den Armeeoffizieren? Von diesem «angeblichen Konflikt» höre er erstmals, sagt Kommunikationschef Renato Kalbermatten. «Die Zusammenarbeit zwischen dem Departement und den höheren Stabsoffizieren funktioniert sehr gut.» Dass die grössten Projekte wie die Erneuerung der Luftverteidigung, die Modernisierung der Bodentruppen und die Umsetzung der Cyberabwehr alle auf Kurs seien, «zeugt von der guten Zusammenarbeit».
Was die Fokussierung auf den engsten Stab und die Achse zwischen Amherd und Hauser-Süess betrifft, betont er: «Jedes Bundesratsmitglied hat seine Vertrauensleute – und führt mit ihnen. Zu diesem Kreis gehören auch die Amtsdirektorin und die Amtsdirektoren.»
Ob Amherd das VBS so schnell verlässt wie die DV in Frauenfeld und wie es sich gewisse Offiziere wünschen, ist fraglich. Sie hat dem Departement in Sachen Diversity und Nachhaltigkeit den Stempel aufgedrückt – und dürfte als erstes Bundesratsmitglied Kampfjets beschaffen und das Armeebudget erhöhen.
Einiges deutet darauf hin, dass Viola Amherd über 2023 hinaus im VBS bleibt. Niemand weiss besser als sie: Der Ukraine-Krieg macht das VBS zum A-Departement. (bzbasel.ch)
Ja, es gibt Edelweisdträger, welche Süssli/Amherd am liebsten auf den Mond schiessen würden. Auch unter den alten Obersten nahe am Pensionsalter findet man noch solche.
Bei den jungen Berufsmilitärs siehts eben genau anders aus. Amherd/Süssli sind in meinen Kreisen (immer noch relativ neu dabei) sehr, sehr gut angesehen. Alle Obersten, mit denen ich direkt im Kontakt bin (auch eher die jüngere Generation) sieht das genau so.
Endlich gehts vorwärts. Was ein paar alte Säcke in Bern davon halten, interessiert mich nicht.
Scheint als hat der alte Filz in der Armee keinen direkten Draht mehr zu Amherd. Auch die Aussage des „fehlenden“ Stallgeruch bezgl. Armeechef Süssli scheint in diese Richtung zu gehen.