Shein ist Fashion in Realtime. 2008 wurde das Unternehmen von CEO Xu Yangtian gegründet. Heute ist Shein das am schnellsten wachsende E-Commerce-Unternehmen der Welt. Mitte 2021 war die Shein-App die am häufigsten heruntergeladene Shopping-App im Westen. Shein ist Zara auf Steroiden. «Das Tiktok des E-Commerce», wie US-Investor Pack McCormick schreibt.
In der Shein-App können Kleidungsstücke nicht nur für sehr wenig Geld gekauft, sondern auch bewertet werden. Wer Bilder von sich in Shein-Pullis und Shirts hochlädt, kriegt Extrapunkte. Mit denen werden die sonst schon spottbilligen Modeteile noch günstiger.
In den sozialen Medien ist Shein unglaublich populär. Auf Tiktok zählt der chinesische Brand 3,2 Millionen Follower. Auf Instagram sind es 22,5 Millionen. In kurzen Videos, genannt «Shein-Hauls», schütten Influencerinnen und Social-Media-Sternchen Kartonkisten mit Shein-Kleidern auf den Boden, bevor sie sich in ihren neuen Outfits vor der Kamera um die eigene Achse drehen.
Innerhalb eines Jahres ist Sheins Popularität explodiert. Menschen aus den USA, Europa, Australien und dem Mittleren Osten shoppen hemmungslos. Doch die glitzernde Shein-Welt hat auch ihre Schattenseiten.
«Schuften für Shein»: Unter diesem Titel publizierte die Schweizer NGO Public Eye Anfang November eine Reportage zu Shein. Mit der Hilfe einer Organisation vor Ort, die sich für die Rechte von Arbeiterinnen einsetzt, versuchte Public Eye herauszufinden, unter welchen Bedingungen die Shein-Kleider produziert werden. 17 Betriebe konnten in Nancun Village, einem Stadtteil in der 15-Millionenmetropole Guangzhou, lokalisiert werden.
Die Arbeiterinnen, mit denen die chinesische Organisation sprach, berichteten von 75-stündigen Arbeitswochen. An einem einzigen Tag pro Woche wird nach dem Abendessen Feierabend gemacht. An den sechs restlichen Tagen wird auch nach Feierabend weitergeschuftet. Pro Monat gibt es einen freien Tag. Arbeitsverträge haben alle Befragten keine.
Dies alles ist in China eigentlich illegal. Gemäss dem chinesischen Arbeitsgesetz darf pro Arbeitswoche maximal 40 Stunden gearbeitet werden, die Überzeit pro Monat darf nicht mehr als 36 Stunden betragen. Auch ein freier Tag pro Woche ist gesetzlich vorgeschrieben.
Wer für Shein näht, wird pro Stück bezahlt. Je komplizierter das Kleidungsstück, desto höher der Ansatz. Damit können die Arbeiterinnen, die zum grossen Teil aus chinesischen Provinzen stammen, zwar ein recht hohes Einkommen generieren. Gearbeitet wird dafür aber bis tief in die Nacht.
Die Modebranche ist einer der grössten Klimasünder der Welt. Die Industrie stösst mehr CO₂ aus als die internationale Luft- und Schifffahrt zusammen. Der Hype um Shein macht das nicht besser.
Die enorm günstigen Preise verführen dazu, mehr Kleidungsstücke zu kaufen und schneller Dinge wegzuwerfen. Kommt hinzu, dass durch das Tempo der Produktion die Qualität beeinträchtigt wird. Die Stoffe müssen billig, die Nähte schnell gemacht sein. Anstatt dass man als Konsumentin ein T-Shirt flickt, wirft man es weg und kauft ein neues. Kostet bei Shein lediglich fünf Franken.
Fast-Fashion – und damit auch Shein – bringt ein weiteres Problem mit sich: Der grösste Anteil der Kleidung besteht aus Polyester, einer künstlich hergestellten Chemiefaser aus Polyethylenterephthalat. Das Material knittert nicht, ist reissfest, trocknet schnell und lässt sich günstig herstellen. Doch es schadet auch der Umwelt. Denn durch das Waschen lösen sich Mikropartikel von den Kunststofffasern im Polyester. Die kleinen Mikroplastikpartikel landen in Böden und Gewässern.
Die schweizerische Materialprüfungsanstalt Empa hat errechnet, dass rund 600 Tonnen Mikroplastik jährlich in oder auf den Böden der Schweiz enden. Knapp 15 Tonnen gelangen in die Gewässer.
Gemäss Greenpeace steckt in 60 Prozent unserer Kleidung Polyester. Und auch bei Shein zeigt eine kurze Recherche im Online-Shop: Knapp 56 Prozent aller aktuellen Bekleidungsstücke sind aus Polyester. 10 Prozent sind aus Baumwolle. Stücke aus Bio-Baumwolle gibt es genau 134. Das ist im Vergleich zu den insgesamt 247'266 aufgelisteten Produkten nicht der Rede wert. Der grosse Rest ist aus vielen anderen Materialien, die mehrheitlich ebenfalls aus Kunstfasern bestehen.
Für die 7000 bis 8000 Kleidungsstücke und Accessoires, die täglich in den Shop kommen, braucht Shein einiges an Inspiration. Doch diese kommt vielfach nicht von hausinternen Designern, sondern wird eiskalt kopiert. Geklaut wird nicht nur von Luxusbrands, sondern auch von kleinen, unabhängigen Indie-Designerinnen.
Im SO over these major brands stealing from black designers. @SHEIN_official STOLE my @sincerelyriaxo designs to a T. They couldn’t even change ONE thing and it’s now one of their highest selling items. They even stole the brands aesthetic. Like Come on pic.twitter.com/ose8DiM9hK
— Mariama Diallo ✨ (@MariamaDiallo__) June 11, 2021
Lets talk about how SHEIN steals from artists. It was brought to our attention today that @SHEIN_official stole and is profiting off of one of our earring designs. Not only did they steal from us but they are selling our designs for prices that cannot reflect ethical labour. pic.twitter.com/mgjixd2GK5
— KIKAY | Earrings and Accessories (@KikayEarrings) June 5, 2021
Immer wieder versuchten diese sich in den sozialen Medien gegen Copycat Shein zu wehren. Im Juli schrieb die nigerianische Designerin des Brands «Elexiay» auf Twitter: «Ich habe Stunden damit verbracht, dieses Design zu entwerfen und es dauert Tage, bis dieser Pullover gehäkelt ist. Es ist entmutigend, meine harte Arbeit auf eine maschinell hergestellten Kopie reduziert zu sehen.» Auch ein Accessoire-Brand aus Kanada blieb nicht verschont: Shein bediente sich schamlos an deren Ohrring-Designs.
Tonight I feel crushed, @SHEIN_official has stolen my Amelia sweater design.
— _ (@TheElleyy) July 16, 2021
Spent hours designing and brainstorming this design and it takes days to crochet each sweater. It’s quite disheartening to see my hard work reduced to a machine made copy. 💔 pic.twitter.com/vLagM3WiKq
Auf Shein.com findet man eine Unterseite zum Thema soziale Verantwortung. Dort liest man Sätze wie: «Wir legen Wert auf eine sichere, faire und glückliche Arbeitsumgebung für alle» oder «Indem wir nachhaltige Methoden und Materialien verwenden, tun wir unseren Anteil daran, den Planeten so gut wie möglich aussehen zu lassen».
Wie man konkret faire Arbeitsbedingungen schaffen und der Umwelt Sorge tragen will, darüber gibt Shein keine Auskünfte. Im September hat Shein auf seiner US-Webseite erstmals einen Verhaltenskodex für Zulieferbetriebe aufgeschaltet. Darin heisst es, dass die lokale Gesetzgebung vollumfänglich einzuhalten sei. Was gemäss dem Bericht des NGO Public Eye aber alles andere als der Fall ist (siehe erster Punkt).
Public Eye konfrontierte das chinesische Unternehmen mit den Recherchen, erhielt zuerst aber nur computergenerierte Nachrichten, wonach man den «Vorschlägen und Rückmeldungen so schnell wie möglich nachgehen werde».
Gegenüber der «Financial Times», die Anfang Dezember ebenfalls über Shein berichtete, nahm erstmals ein US-Vertreter Stellung zu den Vorwürfen. Man überprüfe die Subunternehmen und ergreife Disziplinarmassnahmen, wenn Probleme festgestellt werden, lässt sich George Chiao als Leiter der Shein-Geschäfte in den USA zitieren.
Zu den Kopier-Vorwürfen sagt Chiao, dass man umgehend auf die Vorwürfe des Diebstahls von geistigem Eigentum reagiert habe und dass man unterdessen unabhängige Modedesigner unterstütze.
Und auch die Vorwürfe zur Umweltbelastung versucht Chiao zu beschwichtigen. «Shein versucht seine Umweltauswirkungen durch sein Beschaffungsmodell mit kleinen Chargen aktiv klein zu halten. So wird verhindert, dass grosse Mengen unverkaufter Ware im Müll landen.» Und dennoch: Klare Bestrebungen für mehr Transparenz sind nicht ersichtlich. Weder im Gespräch, das die FT mit Chiao führt, noch auf der Firmenwebsite von Shein. Nach Hinweisen, woher die Baumwolle stammt, sucht man auf der Webseite vergeblich.
Der massive Erfolg von Shein blieb nicht unbemerkt. Die grösste chinesische Handelsplattform Alibaba hat bereits reagiert und ist ebenfalls ins Fast-Fashion-Business eingestiegen. In Windeseile stellte Alibaba «Allylikes» ins Netz. Zu kaufen gibt es das gleiche wie bei Shein: Kleidungsstücke und Accessoires zu Billigpreisen.
Und auch Zara, H&M, Asos und Co. geraten wegen Shein zunehmend unter Druck, Kleidung noch schneller und noch günstiger zu produzieren.
Shein unterscheidet sich nur in einem Punkt von allen anderen Fast-Fashion-Produzenten: Das Unternehmen treibt das Ganze auf die Spitze. Es produziert noch schneller und billiger und vermittelt mithilfe von Influencerinnen und Social Media den Drang, jeden Tag ein neues Outfit tragen zu müssen. Leidtragende sind wie immer die Arbeiterinnen und Arbeiter, die unter unwürdigen Arbeitsbedingungen schuften. Ganz zu schweigen von der enormen Belastung für die Umwelt.