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6 Gründe, warum du von der Fashion-App Shein besser die Finger lässt

Die Fashion-App Shein erobert den Markt im Sturm – und bringt etablierte Fast-Fashion-Brands in Bedrängnis.
Die Fashion-App Shein erobert den Markt im Sturm – und bringt etablierte Fast-Fashion-Brands in Bedrängnis.bild: © panos pictures / public eye
Analyse

Warum du von der Fashion-App Shein besser die Finger lässt

Die chinesische Fashion-App Shein ist eine Kreuzung aus Amazon und Tiktok. Potent, schnell und unglaublich erfolgreich. Doch die glitzernde Shein-Welt sollte man mit Vorsicht geniessen.
03.02.2022, 11:47
Helene Obrist
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Shein ist Fashion in Realtime. 2008 wurde das Unternehmen von CEO Xu Yangtian gegründet. Heute ist Shein das am schnellsten wachsende E-Commerce-Unternehmen der Welt. Mitte 2021 war die Shein-App die am häufigsten heruntergeladene Shopping-App im Westen. Shein ist Zara auf Steroiden. «Das Tiktok des E-Commerce», wie US-Investor Pack McCormick schreibt.

In der Shein-App können Kleidungsstücke nicht nur für sehr wenig Geld gekauft, sondern auch bewertet werden. Wer Bilder von sich in Shein-Pullis und Shirts hochlädt, kriegt Extrapunkte. Mit denen werden die sonst schon spottbilligen Modeteile noch günstiger.

T-Shirt für 13 Franken, Hosen für 6 und Jumpsuits für 21 Franken. Shein lockt mit Tiefstpreisen.
T-Shirt für 13 Franken, Hosen für 6 und Jumpsuits für 21 Franken. Shein lockt mit Tiefstpreisen. bild: screenshot/shein.com

In den sozialen Medien ist Shein unglaublich populär. Auf Tiktok zählt der chinesische Brand 3,2 Millionen Follower. Auf Instagram sind es 22,5 Millionen. In kurzen Videos, genannt «Shein-Hauls», schütten Influencerinnen und Social-Media-Sternchen Kartonkisten mit Shein-Kleidern auf den Boden, bevor sie sich in ihren neuen Outfits vor der Kamera um die eigene Achse drehen.

Wer hinter Shein steckt
2008 wurde Shein (ausgesprochen «Schie - Inn») vom ehemaligen Suchmaschinenoptimierer Xu Yangtian gegründet.

Yangtian begann früh, von China aus Hochzeitskleider für den Westen zu verkaufen. 2012 kaufte er die Domain sheinside.com. 2015 wurde daraus Shein. Das chinesische Unternehmen mit Sitz in Guangzhou befindet sich in privater Hand und verkauft in über 150 Länder. Der Umsatz von Shein wird auf 10 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Den grössten Teil seiner Verkäufe macht Shein über die mobile App. Mit Rabatten, Spielen, Preisen und bis zu 8000 neuen Produkten pro Tag versucht der chinesische Konzern, seine Userschaft bei Laune und engagiert zu halten.

Innerhalb eines Jahres ist Sheins Popularität explodiert. Menschen aus den USA, Europa, Australien und dem Mittleren Osten shoppen hemmungslos. Doch die glitzernde Shein-Welt hat auch ihre Schattenseiten.

75-Stunden Wochen

«Schuften für Shein»: Unter diesem Titel publizierte die Schweizer NGO Public Eye Anfang November eine Reportage zu Shein. Mit der Hilfe einer Organisation vor Ort, die sich für die Rechte von Arbeiterinnen einsetzt, versuchte Public Eye herauszufinden, unter welchen Bedingungen die Shein-Kleider produziert werden. 17 Betriebe konnten in Nancun Village, einem Stadtteil in der 15-Millionenmetropole Guangzhou, lokalisiert werden.

Die Arbeiterinnen, mit denen die chinesische Organisation sprach, berichteten von 75-stündigen Arbeitswochen. An einem einzigen Tag pro Woche wird nach dem Abendessen Feierabend gemacht. An den sechs restlichen Tagen wird auch nach Feierabend weitergeschuftet. Pro Monat gibt es einen freien Tag. Arbeitsverträge haben alle Befragten keine.

75 Stunden in der Woche arbeiten chinesische Näherinnen und Näher für Shein. Einen Tag pro Monat haben sie frei.
75 Stunden in der Woche arbeiten chinesische Näherinnen und Näher für Shein. Einen Tag pro Monat haben sie frei. bild: © Panos Pictures / Public Eye

Dies alles ist in China eigentlich illegal. Gemäss dem chinesischen Arbeitsgesetz darf pro Arbeitswoche maximal 40 Stunden gearbeitet werden, die Überzeit pro Monat darf nicht mehr als 36 Stunden betragen. Auch ein freier Tag pro Woche ist gesetzlich vorgeschrieben.

Wer für Shein näht, wird pro Stück bezahlt. Je komplizierter das Kleidungsstück, desto höher der Ansatz. Damit können die Arbeiterinnen, die zum grossen Teil aus chinesischen Provinzen stammen, zwar ein recht hohes Einkommen generieren. Gearbeitet wird dafür aber bis tief in die Nacht.

Produziert, um wegzuwerfen

Die Modebranche ist einer der grössten Klimasünder der Welt. Die Industrie stösst mehr CO₂ aus als die internationale Luft- und Schifffahrt zusammen. Der Hype um Shein macht das nicht besser.

In ehemaligen Wohnhäusern in Nancun Village arbeiten Näherinnen und Näher bis tief in die Nacht.
In ehemaligen Wohnhäusern in Nancun Village arbeiten Näherinnen und Näher bis tief in die Nacht. bild: © panos pictures / public eye

Die enorm günstigen Preise verführen dazu, mehr Kleidungsstücke zu kaufen und schneller Dinge wegzuwerfen. Kommt hinzu, dass durch das Tempo der Produktion die Qualität beeinträchtigt wird. Die Stoffe müssen billig, die Nähte schnell gemacht sein. Anstatt dass man als Konsumentin ein T-Shirt flickt, wirft man es weg und kauft ein neues. Kostet bei Shein lediglich fünf Franken.

Plastik überall

Fast-Fashion – und damit auch Shein – bringt ein weiteres Problem mit sich: Der grösste Anteil der Kleidung besteht aus Polyester, einer künstlich hergestellten Chemiefaser aus Polyethylenterephthalat. Das Material knittert nicht, ist reissfest, trocknet schnell und lässt sich günstig herstellen. Doch es schadet auch der Umwelt. Denn durch das Waschen lösen sich Mikropartikel von den Kunststofffasern im Polyester. Die kleinen Mikroplastikpartikel landen in Böden und Gewässern.

Ein grosser Teil der Shein-Kleider ist aus Polyester.
Ein grosser Teil der Shein-Kleider ist aus Polyester. bild: © panos pictures / public eye

Die schweizerische Materialprüfungsanstalt Empa hat errechnet, dass rund 600 Tonnen Mikroplastik jährlich in oder auf den Böden der Schweiz enden. Knapp 15 Tonnen gelangen in die Gewässer.

Gemäss Greenpeace steckt in 60 Prozent unserer Kleidung Polyester. Und auch bei Shein zeigt eine kurze Recherche im Online-Shop: Knapp 56 Prozent aller aktuellen Bekleidungsstücke sind aus Polyester. 10 Prozent sind aus Baumwolle. Stücke aus Bio-Baumwolle gibt es genau 134. Das ist im Vergleich zu den insgesamt 247'266 aufgelisteten Produkten nicht der Rede wert. Der grosse Rest ist aus vielen anderen Materialien, die mehrheitlich ebenfalls aus Kunstfasern bestehen.

Copycat

Für die 7000 bis 8000 Kleidungsstücke und Accessoires, die täglich in den Shop kommen, braucht Shein einiges an Inspiration. Doch diese kommt vielfach nicht von hausinternen Designern, sondern wird eiskalt kopiert. Geklaut wird nicht nur von Luxusbrands, sondern auch von kleinen, unabhängigen Indie-Designerinnen.

Immer wieder versuchten diese sich in den sozialen Medien gegen Copycat Shein zu wehren. Im Juli schrieb die nigerianische Designerin des Brands «Elexiay» auf Twitter: «Ich habe Stunden damit verbracht, dieses Design zu entwerfen und es dauert Tage, bis dieser Pullover gehäkelt ist. Es ist entmutigend, meine harte Arbeit auf eine maschinell hergestellten Kopie reduziert zu sehen.» Auch ein Accessoire-Brand aus Kanada blieb nicht verschont: Shein bediente sich schamlos an deren Ohrring-Designs.

Greenwashing par excellence

Auf Shein.com findet man eine Unterseite zum Thema soziale Verantwortung. Dort liest man Sätze wie: «Wir legen Wert auf eine sichere, faire und glückliche Arbeitsumgebung für alle» oder «Indem wir nachhaltige Methoden und Materialien verwenden, tun wir unseren Anteil daran, den Planeten so gut wie möglich aussehen zu lassen».

Wie man konkret faire Arbeitsbedingungen schaffen und der Umwelt Sorge tragen will, darüber gibt Shein keine Auskünfte. Im September hat Shein auf seiner US-Webseite erstmals einen Verhaltenskodex für Zulieferbetriebe aufgeschaltet. Darin heisst es, dass die lokale Gesetzgebung vollumfänglich einzuhalten sei. Was gemäss dem Bericht des NGO Public Eye aber alles andere als der Fall ist (siehe erster Punkt).

Public Eye konfrontierte das chinesische Unternehmen mit den Recherchen, erhielt zuerst aber nur computergenerierte Nachrichten, wonach man den «Vorschlägen und Rückmeldungen so schnell wie möglich nachgehen werde».

Täglich gibt es 4000 bis 8000 Neuheiten zu shoppen.
Täglich gibt es 4000 bis 8000 Neuheiten zu shoppen. bild: screenshot/shein

Gegenüber der «Financial Times», die Anfang Dezember ebenfalls über Shein berichtete, nahm erstmals ein US-Vertreter Stellung zu den Vorwürfen. Man überprüfe die Subunternehmen und ergreife Disziplinarmassnahmen, wenn Probleme festgestellt werden, lässt sich George Chiao als Leiter der Shein-Geschäfte in den USA zitieren.

Zu den Kopier-Vorwürfen sagt Chiao, dass man umgehend auf die Vorwürfe des Diebstahls von geistigem Eigentum reagiert habe und dass man unterdessen unabhängige Modedesigner unterstütze.

Und auch die Vorwürfe zur Umweltbelastung versucht Chiao zu beschwichtigen. «Shein versucht seine Umweltauswirkungen durch sein Beschaffungsmodell mit kleinen Chargen aktiv klein zu halten. So wird verhindert, dass grosse Mengen unverkaufter Ware im Müll landen.» Und dennoch: Klare Bestrebungen für mehr Transparenz sind nicht ersichtlich. Weder im Gespräch, das die FT mit Chiao führt, noch auf der Firmenwebsite von Shein. Nach Hinweisen, woher die Baumwolle stammt, sucht man auf der Webseite vergeblich.

Die Nachahmer warten schon

Der massive Erfolg von Shein blieb nicht unbemerkt. Die grösste chinesische Handelsplattform Alibaba hat bereits reagiert und ist ebenfalls ins Fast-Fashion-Business eingestiegen. In Windeseile stellte Alibaba «Allylikes» ins Netz. Zu kaufen gibt es das gleiche wie bei Shein: Kleidungsstücke und Accessoires zu Billigpreisen.

Und auch Zara, H&M, Asos und Co. geraten wegen Shein zunehmend unter Druck, Kleidung noch schneller und noch günstiger zu produzieren.

Fazit

Shein unterscheidet sich nur in einem Punkt von allen anderen Fast-Fashion-Produzenten: Das Unternehmen treibt das Ganze auf die Spitze. Es produziert noch schneller und billiger und vermittelt mithilfe von Influencerinnen und Social Media den Drang, jeden Tag ein neues Outfit tragen zu müssen. Leidtragende sind wie immer die Arbeiterinnen und Arbeiter, die unter unwürdigen Arbeitsbedingungen schuften. Ganz zu schweigen von der enormen Belastung für die Umwelt.

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Kleider(fails) machen Leute – unüberlegte Designs
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Kleider(fails) machen Leute – unüberlegte Designs
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quelle: reddit
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FashionTech: Wenn Gedanken Kleider steuern
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84 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bassman
19.12.2021 08:23registriert November 2020
Schon bedenklich , wie sehr doch die Shopping-süchtigen unsere Welt kaputt machen. So krass hätte ich es nicht erwartet.
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Klarname
19.12.2021 08:01registriert Februar 2020
Grad wenn man dachte schlimmer geht nimmer wird mal mit einer schallenden Ohrfeige eines Besseren belehrt. Dass es zu den Zalando-Zombies noch eine dermassen perverse Steigerungsform gibt, hätte ich nicht gedacht.
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Ruby Soho
19.12.2021 08:38registriert Februar 2021
Unglaublich. Ich habe Kleidungsstücke die über 15 Jahre alt sind. Es lohnt sich etwas mehr zu zahlen, dafür hat man Qualität. Ich muss nicht jedem Trend hinterher jagen.
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