Keijo Weibel ist zwar kein Langnauer. Er ist in Riggisberg am sonnigen Längenberg rund 15 Kilometer Luftlinie südlich von Bern aufgewachsen. Seine Mutter kommt aus Finnland und sein Vater ist Berner, aber nicht Emmentaler. Trotzdem geht der finnisch-schweizerische Doppelbürger hockeytechnisch als Langnauer durch. Auch das Emmental ist globaler und das Einzugsgebiet der SCL Tigers etwas grösser geworden.
Wenn die Langnauer in den letzten Jahren murrten, weil «die Jungen» nicht eingesetzt worden sind, dann meinten sie Spieler wie Keijo Weibel. In seiner besten Junioren-Saison (2018/19) hat er in 42 Partien 57 Punkte gebucht. Aber bei Heinz Ehlers fand er nie Gnade. Der grantige Chefcoach gewährte ihm während der letzten drei Jahre 5 Minuten und 7 Sekunden Eiszeit.
Tauwetter unter dem neuen Trainer Rikard Franzén. Der Schwede fördert und fordert die jungen Spieler. Er hat ihre Qualitäten in den letzten zwei Jahren als Assistent von Heinz Ehlers kennen gelernt. Nun hat Keijo Weibel diese Saison in zwei Partien schon 32 Minuten und 19 Sekunden gespielt. Allein 17 Minuten und 38 Sekunden gegen Biel. Spät, aber nicht zu spät bekommt der 19-jährige Junioreninternationale seine Chance. Der kräftige Floh (174 cm) gilt als Langnaus Antwort auf Lars Leuenberger. Der aktuelle Biel-Trainer (172 cm) brachte es einst als Stürmer u.a. beim SCB und bei Gottéron zu Kultstatus.
Keijo Weibel gelingt beim ersten Heimspiel der Saison bereits nach 25 Sekunden das 1:0 gegen Biel. Sein erster NL-Treffer in der Qualifikation. Der bissige Energieflügel und Forechecker darf neben Ben Maxwell, Langnaus einzigem einsatzfähigen Ausländer in der ersten Linie fräsen. Auch im Powerplay. Und sogar in der Verlängerung bei drei gegen drei kommt er neben dem kanadischen Leitwolf zum Zuge. Schon fast ein Ritterschlag.
Nach der Partie wird er für Interviews verlangt. Der freundliche, noch ein bisschen schüchterne Junior, der nun hockeytechnisch zum Manne gereift ist, trägt sein gesundes Selbstvertrauen nicht wie ein Plakat vor sich her. Er hebt nicht ab. Zu lange hat er auf seine Chance warten müssen. Er wird gefragt, ob er frustriert gewesen sei, dass ihn Heinz Ehlers nie eingesetzt habe. «Nein, es war bloss schade.» Umso mehr sei er dankbar dafür, dass er letzte Saison bei Olten in der Swiss League erste intensive Erfahrungen im Männerhockey sammeln durfte. Ob denn Heinz Ehlers nicht mit ihm gesprochen habe. Er scheint zu ahnen, dass diese Frage nur der Polemik willen gestellt wird und sagt diplomatisch: «Ich habe vor allem mit dem Sportchef gesprochen.»
Keijo Weibel ist also der Mann des Abends. Julian und Flavio Schmutz bilden mit Jules Sturny den zweiten Sturm. Tim Grossniklaus (25), ein SCB-Junior, der letzte Saison zeitweise in Kloten verteidigte, weil ihn Heinz Ehlers ignorierte, hat mit 19 Minuten und 5 Sekunden Eiszeit und dem Ausgleich 70 Sekunden vor Schluss (zum 4:4) das Amt des Verteidigungsministers übernommen. So viel Hockey-Romantik war im Gotthelf-Land in diesem Jahrhundert noch nie. Heinz Ehlers hätte sich über solche Zustände entsetzt und von Anarchie gesprochen.
Der Punktgewinn ist wahrlich eine Sensation. Torhüter Gianluca Zeaetta (20) pariert bloss 82,76 Prozent der Torschüsse. Wer Polemik mag, taxiert alle fünf Treffer als haltbar. Wer ein sachliches Urteil vorzieht, bezeichnet keinen der fünf Treffer als gänzlich unhaltbar. Wie ist es möglich, dass die Bieler mit vier Ausländern und Nationaltorhüter Joren van Pottelberghe einen Punkt liegen lassen? Sie können sich auf die bissigen, aufsässigen, tapferen, mutigen Langnauer nie richtig einstellen. Es gelingt ihnen wegen der aufsässigen Störarbeit (Forechecking) des Gegners nur ansatzweise, die viel grössere spielerische Klasse zu entfalten.
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— Fanszene Langnau (@fanszenelangnau) October 10, 2020
Wer diese 4:5-Verlängerungsniederlage nicht gesehen hat, wird in Langnau vielleicht nie mehr so viel Romantik erleben. Beim nächsten Spiel am Donnerstag in Genf kommt mit Verteidiger Erik Brännström (21) bereits ein zweiter Ausländer neben Ben Maxwell zum Zuge. Der Schwede hätte eigentlich gegen Biel eingesetzt werden können. «Aber das negative Ergebnis des Corona-Testes kam so spät, dass er noch nicht mit uns trainieren konnte. Das Verletzungsrisiko wäre zu gross gewesen, wenn wir ihn ohne ein Training gegen Biel gleich eingesetzt hätten» sagt Sportchef Marc Eichmann. Er arbeitet nach wie vor an der Verpflichtung eines weiteren ausländischen Spielers. Aber ein ausländischer Torhüter sei kein Thema. «Wir hoffen, dass Ivars Punnenovs am Donnerstag in Genf oder am Freitag gegen Ambri wieder spielen kann.»
Eigentlich sollte Marc Eichmann mit dem SCB einen Goalie-Deal anstreben. Nach folgendem Muster: Sobald Ivars Punnenovs (26) fit ist, wechselt er leihweise bis zum Ablauf seines Vertrages nach Bern. Dann weiss der SCB bereits Ende Saison, ob er ein grosser Torhüter ist, der in die Fussstapfen von René Kiener, Jürg Jäggi, Renato Tosio oder Marco Bührer zu treten vermag und kann ihn auf nächste Saison definitiv übernehmen. Im Gegenzug wechselt Philip Wüthrich (22) ins Emmental. Dann wissen wir Ende Saison, ob Langenthals Meistergoalie zur Nummer 1 in der NL taugt und kann in Langnau Ivars Punnenovs’ Nachfolger werden. Bleibt Philip Wüthrich in Bern, dann verliert er hinter Tomi Karhunen diese Saison ein weiteres Jahr. Ab und zu eine Partie bestreiten zu können und nicht die Verantwortung einer Nummer 1 zu tragen (wie er das in Langnau sofort könnte) bringt ihn in Bern und in seiner Karriere nicht mehr weiter.
Wenn nicht in dieser Saison ohne Absteiger, wann ist dann Zeit, mit weitblickenden Tauschgeschäften die Zukunft vorzubereiten? Und so ein Deal wäre dann so etwas wie Transfer-Romantik. Damit wir auch ohne Abstiegsdramen Gesprächsstoff haben.
LOTTERGOALIE!
Als neutraler Beobachter freue ich mich, dass Langnau wieder vermehrt auf junge Spieler setzt.
Aber Undank ist der Welten Lohn und Charakter wird immer seltener.