Wie lange dauert eine lebenslängliche Freiheitsstrafe? Es gibt eine einfache und eine schwierige Antwort. Grundsätzlich sitzt man bis zum Tod hinter Gittern. Doch es gibt Ausnahmen. In speziellen Fällen, zum Beispiel bei einer schweren Krankheit des Verurteilten, kann er schon nach zehn Jahren freigelassen werden. Regelmässig geprüft wird eine Entlassung auf Bewährung nach 15 Jahren. Der Täter kommt frei, wenn er nicht mehr als gefährlich eingestuft wird. Soweit die juristische Antwort.
Das Bundesamt für Statistik hat auf Anfrage der «Schweiz am Wochenende» eine mathematische Antwort ermittelt und für den Zeitraum von 2000 bis 2016 berechnet, wie lange der Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe durchschnittlich gedauert hat. Das Resultat: In der Schweiz verbringt ein lebenslänglich Verurteilter im Durchschnitt 18 Jahre im Gefängnis bis zur bedingten Entlassung. Von 1984 bis 1999 hingegen kam ein zur gleichen Strafe Verurteilter im Schnitt schon nach 15 Jahren frei.
Der Zeitpunkt der Entlassung ist eine juristische Ermessensfrage. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Forderungen nach härteren Strafen lauter. Die Statistik legt nahe, dass Richter und Justizvollzugsbeamte darauf reagiert haben.
Der Fall Rupperswil hat die Debatte über die Länge von lebenslänglich neu entfacht. Einer wie Thomas N. darf nie mehr freikommen, lautete der Tenor nach dem Urteil. Die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli reichte ein Postulat ein, das eine Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe für besonders schwere Straftaten fordert. Sie startete damit einen zweiten Anlauf mit einem gescheiterten Vorstoss.
Doch diesmal stehen die Chancen besser. Der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni reichte parallel ein Postulat mit dem gleichen Wortlaut in seiner Kammer ein. Als Mitunterzeichner konnte er den Zürcher SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch engagieren. Der Bundesrat empfiehlt den Vorstoss zur Annahme. Das Geschäft steht am Mittwoch auf der Traktandenliste des Ständerats.
Konkret wollen die Politiker das Strafgesetz wie folgt ändern: Die Gerichte sollen die Möglichkeit erhalten, bei besonders schwerem Verschulden eine frühe Entlassung auszuschliessen. Zum Beispiel sollen sie festlegen können, dass erst nach 25 oder 30Jahren erstmals überprüft wird, ob der Täter noch gefährlich ist. Zudem sollen sie in ganz krassen Fällen sogar jegliche Entlassung ausschliessen können. Lebenslang wäre dann zwingend lebenslang.
Nun äussert sich zu diesen Reformvorschlägen erstmals die Schweizer Vereinigung der Richterinnen und Richter. Patrick Guidon, Präsident des Gremiums sowie des St.Galler Kantonsgerichts, hat bei seinen Vorstandskollegen eine Vernehmlassung durchgeführt. Er sagt, die Richterinnen und Richter würden die Ansätze für prüfenswert halten. Denn damit würden die Gerichte bei besonders schweren Straftaten ein differenzierteres Instrumentarium und damit einen grösseren Spielraum bei der Festlegung der schuldangemessenen Strafe erhalten.
Die Richtervereinigung befürworte auch die Idee, dass das Gericht die bedingte Entlassung einschränken könne. Denn damit könne besonders grosser Schuld Rechnung getragen werden.
Die Reformvorschläge stossen allerdings auch auf Widerstand. Der ehemalige Bundesrichter Hans Wiprächtiger sagt auf Anfrage, er halte jede Erhöhung der Strafrahmen für überflüssig. Das Kriminalitätsniveau sei nicht hoch; in den vergangenen Jahren sei es sogar gesunken. Er mahnt: «Von einigen schweren Delikten wie Tötungen und Vergewaltigungen dürfen wir uns nicht blenden lassen.» Er teilt die Einschätzung der Richtervereinigung nicht, dass das Gericht einen grösseren Spielraum erhielte. Da festgelegt würde, wann welcher Strafrahmen zur Anwendung käme, werde das Ermessen der Richter eingeschränkt. Das wäre verheerend, warnt er.
Der Basler Strafrechtsprofessor Niklaus Ruckstuhl wird noch deutlicher. Zur Möglichkeit, eine Entlassung für immer auszuschliessen, sagt er: «Dies kommt der Todesstrafe gleich, anstatt vom Staat herbeigeführt, einfach aufgeschoben, bis der Tod natürlicherweise eintritt.» Der Vorstoss stelle das Vergeltungsbedürfnis in den Vordergrund. «Das Wegsperren auf Lebenszeit aus Vergeltungsgründen ist meines Erachtens menschenrechtlich nicht zu rechtfertigen», sagt er.
Wer die Resozialisierung in den Vordergrund stelle, müsse den Vorstoss ablehnen, sagt Ruckstuhl. Wenn die Strafe ihren Zweck – Besserung und Verhinderung eines Rückfalls – erreicht habe, sei sie nicht mehr nötig.
Ruckstuhl geht nicht davon aus, dass seine Bedenken im Bundeshaus auf Gehör stossen werden. Alle Vorstösse auf Bundesebene für eine Ausweitung von Strafhöhe und -dauer hätten aus zwei Gründen jeweils gute Chancen, sagt er. Weil sie einem populistischen Trend entsprächen. Und weil sie einzig auf Kosten der Kantone gingen, da diese die zusätzlichen Plätze in den Gefängnissen finanzieren müssten. (aargauerzeitung.ch)