Als sie noch wenige Tage zu leben hatte, sah die 14-Jährige nur noch eine Möglichkeit: Sie schrieb einen Brief an das oberste Gericht Grossbritanniens. «Ich will länger leben und ich denke, dass es in Zukunft einen Weg gibt, meinen Krebs zu heilen und mich wieder aufzuwecken», steht darin. Deshalb bat sie den Richter Peter Jackson, dass man ihrem Wunsch nachkomme und sie nicht beerdige, sondern einfriere.
Der Fall kam vor Gericht und dem letzten Willen des Mädchens wurde Folge geleistet. Dies, obschon der Vater der 14- Jährigen, deren Name nicht bekannt ist, zuerst gegen das Einfrieren war. Das Urteil wurde diesen Oktober gesprochen, aber erst kürzlich publik. «Ich werde sterben, aber ich werde in 200 Jahren wieder zurückkommen», hat das Mädchen gemäss der britischen Zeitung «The Telegraph» gesagt.
Mittlerweile ist die 14-Jährige verstorben und lagert in einem mit flüssigem Stickstoff gefüllten Tank in den USA. Kryonik nennt sich die Kältekonservierung. Dabei wird der Körper so präpariert, dass die Zellen den Gefrierzustand unbeschadet überleben sollen. Die Methode ist umstritten, doch Fortschrittsgläubige sehen in ihr eine Möglichkeit, das Leben über den Tod hinaus zu verlängern.
Zu ihnen gehört auch Max More. Der Philosoph und Futurist ist Präsident der Life Extension Foundation Alcor. Die Stiftung friert Menschen wie das 14-jährige Mädchen ein und konserviert sie so für die Zukunft. Bereits 200 Menschen lagern in den Behältern der Organisation. Sie alle sind mit der Hoffnung gestorben, irgendwann in der Zukunft wieder zu leben. Wir haben den Kryonik-Pionier getroffen. Im Interview erzählt More, warum er überzeugt ist, dass das Aufwachen aus dem Kälteschlaf einmal gelingen wird.
Herr More, sprechen wir über Ihren
Tod. Was passiert genau, wenn Sie
sterben?
Max More: Das kommt sehr drauf an,
unter welchen Umständen ich sterbe. Ich
hoffe, dass ich Warnsignale bemerken
werde und mich auf den Tod vorbereiten
kann. Das ist ziemlich wahrscheinlich.
Ich trage ein Fitbitarmband, das meinen
Herzschlag und andere Dinge misst. Es
wird mich deshalb rasch ein Team von
Medizinern erreichen, die meinen Körper
einfrieren.
Wie wird das gemacht?
Nachdem ein Arzt meinen medizinischen
Tod diagnostiziert hat, werden
mich die Spezialisten von Alcor aus dem
Sterbebett heben und in ein Eisbad legen.
Meine Körpertemperatur wird rapide
sinken. Gleichzeitig werde ich eine
Herzmassage erhalten und künstlich beatmet
werden, damit Blut und Sauerstoff
A
in meinem Körper zirkulieren können.
Ausserdem werden mir 16 oder 17 Medikamente
verabreicht, die dafür sorgen,
dass das Gewebe möglichst keinen Schaden
erleidet.
Und dann?
Dann werde ich in den Gebäudekomplex
von Alcor transportiert. Dort öffnet mir
ein Chirurg meine Schädeldecke und legt
mein Hirn frei – denn nur dieses wird bei
mir eingefroren. Das Blut in meinem
Hirn wird nach und nach mit Frostschutzmittel
ersetzt. Dadurch wird die
Bildung von Eiskristallen, welche die Zellen
beschädigen, verhindert oder zumindest
minimiert.
Wie geht es weiter?
Dieser Prozess dauert mehrere Stunden.
Erst danach kann das Gehirn unter den
Gefrierpunkt gekühlt werden. Der Kühlungsprozess
darf nicht zu schnell verlaufen,
da sonst die Zellen kaputtgehen könnten.
Deshalb dauert es mehrere Tage, bis
mein Hirn eine Temperatur von minus
196 Grad erreicht hat. Fortan wird es in einem
mit flüssigem Stickstoff gefüllten Container
gelagert, bis die Medizin genug weit
ist und ich wiederbelebt werden kann.
Warum wird nur Ihr Hirn eingefroren?
Brauchen Sie in der Zukunft
keinen Körper?
Es gibt auch Leute, die ihren ganzen Körper
einfrieren lassen. Doch das scheint
mir nicht nötig zu sein. Wenn wir es
schaffen, 100 Milliarden Neuronen zu regenerieren
und den Alterungsprozess zu
stoppen, dann wird es vergleichbar einfach
sein, aus einer Zelle einen Körper zu
klonen. Bei Tieren geht das ja schon.
Wäre es auch möglich, Ihr Hirn in
eine Cloud zu laden und ganz ohne
menschlichen Körper zu leben?
Ja, ich persönlich sehe das als Möglichkeit.
In der Philosophie ist das aber umstritten.
Es gibt Kollegen, die das als
Scheitern bezeichnen würden. Für sie
wäre das bloss eine Kopie des Selbst in
einer neuen Form, nicht das originale
Selbst. Unsere Mitglieder halten vor dem
Tod schriftlich fest, ob sie auch einem
Hirn-Upload zustimmen oder bloss in ihrem
biologischen Körper wiederbelebt
werden wollen.
Welche medizinischen Durchbrüche
sind nötig, um die Gehirne oder die
Körper wiederbeleben zu können?
Wir müssen den Schaden reparieren
können, der dazu geführt hat, dass der
Mensch gestorben ist. Wenn also jemand
beispielsweise an Krebs gestorben ist,
müssen wir den Krebs heilen können.
Ferner müssen wir den Schaden reparieren
können, der durch das Einfrieren
entstanden ist. Und der Alterungsprozess
muss gut verstanden werden, damit
man ihn aufhalten oder stoppen kann.
Warum muss der Alterungsprozess
gestoppt werden?
Naja, das ist nicht zwingend nötig, aber
bei älteren Personen doch sehr erwünscht.
Man will doch in guter körperlicher
Verfassung wiederbelebt werden.
Ein 14-jähriges Mädchen könnte man natürlich
auch wiederbeleben, ohne den
Alterungsprozess zu stoppen.
Das klingt alles sehr utopisch.
Das würde ich nicht sagen. Wir können
derzeit gefrorene Eizellen und Spermien
auftauen, ohne dass sie beschädigt sind.
Und wir sind schon sehr nahe dran, dass
das mit einem ganzen Organ funktioniert.
Bei der Niere eines Hasen hat das
bereits geklappt – er lebte danach mehrere
Monate weiter. In zehn Jahren sollte
das bei menschlichen Spenderorganen
möglich sein.
Doch das sind keine ganzen
Organismen.
In einem Forschungsprojekt, an dem
wir beteiligt waren, ist es gelungen, einen
winzigen Wurm einzufrieren, aufzutauen
und wiederzubeleben. Mit einem
Experiment konnten wir zeigen,
dass der Wurm Erinnerungen aus seinem
früheren Leben gespeichert hat.
Der Wurm wusste aufgrund von Konditionierungen
vor der Konservierung
noch, wohin er sich bei einer Versuchsanordnung
begeben musste, um an
Nahrung zu gelangen.
Würden Sie so weit gehen und sagen:
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das
auch beim Menschen möglich ist?
Ja. Es gibt kein wissenschaftliches Argument,
das dafür sprechen würde, dass es
nicht möglich sein wird.
Dennoch klingt das mehr nach
Spinnerei als nach Wissenschaft.
Als Leonardo da Vinci seine Flugmaschinen
entwickelt hat, wurde er als Spinner
bezeichnet. Dabei sind fliegende Maschinen
technisch möglich. Leonardo sah
das, doch es fehlten ihm damals die Möglichkeiten
und die Materialien. Wir wissen,
dass Kryonik möglich ist. Es bricht
keine physikalischen Gesetze. Es ist nur
eine Frage der Zeit und der Innovation.
Und falls wir Menschen zu wenig intelligent
sein werden, um das zu schaffen,
dann wird uns künstliche Intelligenz dabei
helfen.
Wie rasch nach dem Tod muss die
Behandlung einsetzen?
Je schneller, desto besser. Es ist aber
schwierig, zu sagen, wann es zu spät ist.
Es gibt Beispiele, bei denen Menschen
über eine Stunde klinisch tot waren – ohne
Herzschlag, ohne Hirnaktivität. Und
danach wieder zurückgeholt werden
konnten. Das war deshalb möglich, weil
sie stark unterkühlt waren.
Was ist die schlechteste Todesursache
für Kryonik?
Ein Unfall wie ein Flugzeugabsturz.
Wenn mir das passieren würde, wäre ich
für immer tot.
Und was die beste?
Am besten ist Krebs, weil hier der Tod
gut getimt werden kann. Herzkrankheiten
sind sehr unberechenbar, man könnte
also sterben, ohne dass jemand dabei
ist. Noch schlimmer sind aber natürlich
Hirnkrankheiten. Hier hält das Herz länger
durch als das Hirn. Es geht aber ja
darum, ein möglichst gesundes Hirn einzufrieren.
Was würden Sie tun, wenn Sie
Alzheimer hätten?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich
würde mich wohl umbringen, solange
mein Hirn noch intakt ist, damit es konserviert
werden kann. Vielleicht würde
ich dazu in ein Land fahren wie Schweden,
in dem aktive Sterbehilfe relativ einfach
zu bekommen ist.
Wie viel kostet das Konservieren bei
Alcor eigentlich?
Unsere Mitgliedergebühr beträgt 500 Dollar
pro Jahr. Sie sorgt dafür, dass der Betrieb
von Alcor aufrechtgehalten werden
kann. Die Konservierung als solche kostet
200'000 Dollar für einen ganzen Körper
und 80'000 Dollar für ein Hirn.
Sie haben keine Ahnung, wie lange
Sie die Körper aufbewahren müssen
und wie teuer eine Wiederbelebung
sein wird – falls diese dann überhaupt
möglich ist. Was macht Sie
sicher, dass das einbezahlte Geld
reichen wird?
Wir sind nicht sicher. Wir wissen nicht,
ob es klappt. Das sagen wir unseren Mitgliedern
auch klar. Wir geben keine
Heilsversprechen ab. Es ist bloss eine
Möglichkeit.
Dennoch: Warum glauben Sie, dass
das Geld reichen wird? Falls eine
Wiederbelebung einmal tatsächlich
möglich sein soll, wäre das sicher
sehr teuer.
Von den 200'000 Dollar für einen Ganzkörperpatienten
bleiben nach dem Einfrieren
rund 115'000 Dollar übrig. Dieses
Geld legen wir in unserem «Patient Trust
Fund» sicher an, sodass es sich vermehrt.
Ungefähr alle 25 Jahre sollte sich
das Vermögen dank Zinsen und Zinseszinsen
so verdoppeln. Es ist also bloss eine
Frage der Zeit, bis das Geld reicht, um
den Körper wiederzubeleben.
Wann haben Sie für sich entschieden,
dass Sie sich einfrieren lassen, wenn
Sie sterben?
Als ich 22 Jahre alt war. Ich war damals
schon sehr interessiert an Lebensverlängerung.
Für mich machte das damals
schon absolut Sinn, also unterschrieb
ich. Und startete gleichzeitig die erste
Kryonik-Organisation in England.
Mal angenommen Kryonik funktioniert,
hätten Sie nicht Angst, in einer
Welt aufzuwachsen, in der Sie niemanden
kennen und in der Sie sich
nicht zurechtfinden?
Nein, auch meine Frau wird sich einfrieren
lassen. Und ich habe Freunde, die
das bereits getan haben oder tun werden.
Doch auch wenn ich allein wäre,
würde ich dennoch aufwachen wollen
und die Herausforderung annehmen.
Und wenn Sie die Welt, in der Sie aufwachen,
nicht mögen?
Das wird kaum der Fall sein. Es wird ein
sehr guter Ort sein. Denn wenn die Menschen
der Zukunft in einer apokalyptischen
Welt lebten, dann würden sie es
kaum schaffen, uns wiederzubeleben.
Soll der Mensch wirklich unsterblich
werden?
Nein. Und das wird er mit Kryonik auch
nicht. Unsterblich heisst, man kann nicht
sterben. Das will ich nicht. Aber ich will,
wenn irgendwie möglich, selber bestimmen,
wann ich sterben will.
Und wie alt möchten Sie werden?
Keine Ahnung, das weiss ich jetzt nicht.
Kommen Sie in 1000 Jahren zurück und
fragen Sie mich das wieder.
Wäre es nicht sehr unnatürlich,
1000 Jahre alt zu werden?
Früher wurden die Menschen im Durchschnitt
30 Jahre, heute werden viele
dank des medizinischen Fortschrittes
90 Jahre alt oder noch älter. Ist das unnatürlich?
Was ich sagen will: Der Mensch
versucht schon seit langem, sein Leben
zu verlängern, und das ist auch gut so.
Sind Sie religiös?
Nein. Aber ich habe mich mit sehr vielen
Religionen auseinandergesetzt. Kryonik
ist übrigens sehr wohl mit Religion vereinbar.
Vielleicht ist die Motivation weniger
gross, sein Leben zu verlängern,
wenn man daran glaubt, nach dem Tod
ins Paradies zu kommen. Wir haben aber
auch religiöse Mitglieder.
In Ihrer Doktorarbeit geht es um Personalität
und Tod. Wann ist jemand tot?
Die Definition des Todes ist stark von der
Zeit abhängig. Vor 50 Jahren war jemand
tot, dessen Herz nicht mehr schlug. Heute
erhalten solche Menschen eine Herzmassage
und werden beatmet. Wir erachten
sie also noch nicht als tot. Doch
was ist, wenn wir diese Menschen einfrieren
und sie später zurückholen?
Würden Sie dann sagen, Ihre
eingefrorenen Mitglieder sind gar
noch nicht tot?
Sie leben zwar nicht mehr, sind aber auch
nicht tot. Es gibt ein Zwischenstadium.
Sind Sie denn dieselbe Person, wenn
Sie aufwachen?
Ja, wenn wir es richtig machen. Wir haben
mittlerweile ein ziemlich gutes neurologisches
Verständnis von Erinnerungen.
Wenn wir die Hirnstruktur bewahren
können, werden die Menschen ihre
Erinnerungen behalten. Das heisst, sie
werden dieselbe Person bleiben.