International
Deutschland

Nach AFD-Hetze im Bundestag: Hier lupft es Cem Özdemir den Deckel

Nach AfD-Hetze im Bundestag: Hier lupft es Cem Özdemir den Deckel – aber so richtig

23.02.2018, 07:5624.02.2018, 05:54
Mehr «International»

Es war ein seltsamer Antrag, über den der deutsche Bundestag gestern Abend zu befinden hatte: Die Rechtspartei AfD wollte, dass der Bundestag die Bundesregierung auffordere, einen Text des deutsch-türkischen Journalisten zu missbilligen.

Der Antrag wurde klar abgeschmettert. Nur 77 Abgeordnete nahmen ihn an, 552 stimmten dagegen.

Animiertes GIFGIF abspielen

Die Debatte verlief äusserst emotional. Kein Wunder, denn mit ihrem Antrag griff die AfD die Pressefreiheit frontal an.

Konkret ging es im Antrag der Rechtspartei um zwei Texte Yücels. Der eine war satirisch gemeint, im zweiten hatte er SPD-Politiker Thilo Sarrazin beleidigt, wofür er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Yücel hatte sich dafür bei Sarrazin entschuldigt.

Yücel war erst vergangene Woche nach über einem Jahr in türkischer Gefangenschaft freigekommen.

Politiker aller Parteien kritisierten den Antrag der AfD scharf. Die emotionalste Rede hielt Cem Özdemir von den Grünen.

«Wir reden über die Arbeit und den Artikel eines deutschen Journalisten. So etwas kennen wir sonst nur aus autoritären Staaten.»
Cem Özdemir

Und weil die AfD-Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nach Yücels Freilassung gesagt hatte, dieser sei weder Deutscher noch Journalist, konterte Özdemir im Bundestag:

«Sie wollen bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht. Wie kann jemand, der Deutschland, unsere gemeinsame Heimat, so verachtet, bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht?»
Cem Özdemir

Hier findest du die Rede von Özdemir in voller Länge

Man muss sich vergegenwärtigen, worüber wir heute tatsächlich reden. Wir reden über die Arbeit und die Artikel eines deutschen Journalisten. So etwas kennen wir sonst nur aus autoritären Ländern. Der Deutsche Bundestag hingegen benotet nicht die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ist das Parlament keine oberste Zensurbehörde. So etwas gibt es nur in den Ländern, die Sie bewundern. Deutschland gehört nicht dazu.
In unserem Land, der Bundesrepublik Deutschland, gibt es nicht die Gleichschaltung, von der Sie nachts träumen. Bei uns gibt es Pressefreiheit, ein Wort, das in Ihrem Wortschatz ganz offensichtlich nicht vorhanden ist.
Die Pressefreiheit werden wir Ihnen gegenüber genauso verteidigen wie gegenüber Ihren Genossen in der Türkei, die Deniz Yücel ein Jahr seines Lebens geklaut haben.
Wir sind froh, dass Deniz Yücel frei ist. Damit kein Missverständnis entsteht: Genauso froh wären wir, wenn er Gustav Müller oder sonst wie heissen würde; denn jeder Bürger dieses Landes hat es verdient, dass sich dieses Land für ihn einsetzt; das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Jeder weiss es, ausser Ihnen.
Wir alle, der demokratische Teil dieses Hauses, setzen uns dafür ein, dass die anderen Journalisten, die ebenfalls in Haft sind, aber keinen deutschen Pass haben, freigelassen werden – sie haben es genauso verdient; denn Journalismus ist kein Verbrechen.
Aber zur Wahrheit gehört leider auch: Das Land hat sich in dem einen Jahr, in dem Deniz Yücel im Gefängnis war, dramatisch verändert, und davon zeugt diese Debatte. Denn mittlerweile sitzen Abgeordnete in diesem Haus, die ich nicht anders als als Rassisten bezeichnen kann. Wer sich so gebiert, ist ein Rassist.
Ich meine diese Damen und Herren hier ganz rechts. Ich stehe am Mikrofon und Gott sei Dank können Sie es mir nicht abstellen. Ich weiß, in dem Regime, von dem Sie träumen, könnte man das Mikrofon abstellen; aber das kann man hier Gott sei Dank nicht. Sie werden es nicht schaffen, das zu ändern. Glauben Sie es mir!
Sie wollen bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht. Wie kann jemand, der Deutschland, der unsere gemeinsame Heimat, so verachtet, wie Sie es tun, darüber bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht Deutscher ist?
Ich sage Ihnen mal eins: Wenn Sie darüber bestimmen würden, wer Deutscher ist und wer nicht Deutscher ist, dann wäre das ungefähr so, als wenn man Rassisten an das Ausstiegstelefon für Neonazis setzen würde. Übrigens, wenn Sie die Nummer des Ausstiegstelefons für Neonazis brauchen: Ich habe sie. Ich kann sie Ihnen gern zur Verfügung stellen.
Sie alle von der AfD, wie Sie da sitzen, würden, wenn Sie ehrlich wären, zugeben, dass Sie dieses Land verachten. Sie verachten alles, wofür dieses Land in der ganzen Welt geachtet und respektiert wird. Dazu gehört beispielsweise unsere Erinnerungskultur, auf die ich als Bürger dieses Landes stolz bin.
Dazu gehört die Vielfalt in diesem Land, auf die ich genauso stolz bin. Dazu gehören Bayern, Schwaben, dazu gehören aber auch Menschen, deren Vorfahren aus Russland kommen, und dazu gehören Menschen, deren Vorfahren aus Anatolien kommen und die jetzt genauso stolz darauf sind, Bürger dieses Landes zu sein.
Dazu gehört – das muss ich schon einmal sagen; da fühle ich mich auch als Fußballfan persönlich angesprochen – unsere grossartige Nationalmannschaft. Wenn Sie ehrlich sind: Sie drücken doch den Russen die Daumen und nicht unserer deutschen Nationalmannschaft. Geben Sie es doch zu!
Dieses Hohe Haus verachten sie genauso, wie sie die Werte der Aufklärung verachten. Sie sind aus demselben faulen Holz geschnitzt wie diejenigen, die Deniz Yücel verhaften liessen. Sie sind aus demselben faulen Holz geschnitzt wie Erdogan, der Deniz Yücel für ein Jahr seines Lebens verhaftet liess. Ich sage es einmal in einem Satz: Die AKP hat einen Ableger in Deutschland. Er heisst AfD, und er sitzt hier.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Sie hatten ja vor kurzem einen politischen Aschermittwoch. Mich hat das eher an eine Rede im Sportpalast erinnert. Ich will Ihnen zurufen: Unser Deutschland, dieses Deutschland, ist stärker, als es Ihr Hass jemals sein wird.
Ihr tobender Mob wollte am Aschermittwoch, dass ich abgeschoben werde. Das geht leichter, als sie sich das vorstellen. Am kommenden Samstag bin ich wieder in meiner Heimat. Ich fliege nach Stuttgart. Dort nehme ich die S-Bahn und ich steige am Endbahnhof Bad Urach aus. Da ist meine schwäbische Heimat und die lasse ich mir von Ihnen nicht kaputtmachen.

(mlu)

Bei Anruf Erdogan – Bizarres Vorgehen in der Türkei

Video: srf
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
173 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Globalteamrider
23.02.2018 09:04registriert Februar 2016
Solch klare Worte fehlen in der schweizer Politik, sie wären ebenso angebracht. Vielleicht getraut sich hier gar niemand mehr die stärkste Partei dieser Kritik auszusetzen.
30
Melden
Zum Kommentar
avatar
sowhat
23.02.2018 13:40registriert Dezember 2014
Mich beängstigen die vielen Afd Fans auf diesem Schweizer Newsportal. Nicht nur die die schreiben, v.a. die die herzen. Das lässt nichts Gutes ahnen.
20
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kuno 3
23.02.2018 11:23registriert März 2014
Wow, endlich mal eine Rede von Helmut-Schmidt-Format im Deutschen Bundestag, die auf den Punkt bringt, welche Werte der Aufklärung zu verteidigen sind. Auch in der Schweiz. Bundeskanzler-würdig!
10
Melden
Zum Kommentar
173
Millionen Menschen haben laut WHO Genitalherpes

Von den Menschen zwischen 15 bis 49 Jahren lebt nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit mehr als jeder fünfte mit einer Genitalherpes-Infektion. Das sind insgesamt 846 Millionen Menschen.

Zur Story