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Coronavirus: Wieso die Schweiz bei der Impfung hinterherhinkt

Fabien, nurse of IMAD, vaccinates Leon T. (alias name), 80, as he becomes the first person in Geneva to receive the Pfizer/BioNtech COVID-19 vaccine at the IEPA (Building with supervision for the elde ...
In Genf erhielt dieser Herr gestern Montag als erste Person im Kanton die Corona-Impfung.Bild: keystone

Israel hat den Impfturbo gezündet – wieso die Schweiz hinterherhinkt

Israel hat in Sachen Corona-Impfung den Turbo gezündet. In der Schweiz wird voraussichtlich alles viel länger dauern. Schuld daran ist wie so oft in dieser Pandemie: der Föderalismus.
29.12.2020, 05:5930.12.2020, 06:48
Dennis Frasch
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Und plötzlich ging es schnell: Am 19. Dezember hat Swissmedic den Impfstoff von Pfizer und Biontech zugelassen. Am 23. Dezember wurde die erste Schweizerin geimpft – eine 90-Jährige aus dem Kanton Luzern. Wie Bundesrat Alain Berset am Montag beim Besuch des Impfzentrums in Basel sagte: «Wir sind früher dran als vor zwei Monaten gedacht.»

Eine ueber 90-jaehrige Frau wird als erste Person im Kanton Luzern und als eine der ersten Personen der Schweiz mit dem Impfstoff von Pfizer Biontech gegen Corona geimpft, in einem Pflegeheim im Kanto ...
Sie war die Erste: Eine 90-Jährige bekommt am 23. Dezember die erste Covid-Impfung der Schweiz. Bild: keystone

Sind wir das? Oder hat die plötzliche Zulassung des Impfstoffes die Kantone auf dem falschen Fuss erwischt? Und wieso geht es beispielsweise in Israel so viel schneller voran? Eine Übersicht im kantonal geregelten Impfdschungel Schweiz.

Israel will in einem Monat die Pandemie los sein

Um aufzuzeigen, dass es in Tat und Wahrheit doch nicht so schnell geht in der Schweiz, lohnt ein Blick in den Nahen Osten. Israel hat 8,9 Millionen Einwohner, also rund 300'000 mehr als die Schweiz. Beide Länder haben gemeinsam, dass sie letzte Woche mit dem Impfen angefangen haben.

In Israel haben rund 380'000 Menschen in dieser ersten Woche eine Anti-Corona-Spritze erhalten – das ist jedoch erst die Aufwärmphase. Ab Ende nächster Woche sollen täglich 150'000 Impfungen verabreicht werden. «Das ist Weltrekord, so etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht», sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am Samstag.

Israel und Bahrain machen keine halben Sachen.

Kann diese Geschwindigkeit eingehalten werden, so werden Ende Januar 4,5 Millionen Impfdosen verabreicht worden sein. Da jede Person zwei Injektionen benötigt, entspricht das 2,25 Millionen geimpften Menschen – oder der ganzen Risikogruppe Israels. «Sobald wir mit dieser Phase fertig sind, können wir innerhalb von 30 Tagen aus dem Coronavirus herauskommen, die Wirtschaft öffnen und Dinge tun, die kein anderes Land tun kann», sagte Netanjahu.

In der Schweiz ist man noch weit davon entfernt, sich über eine mögliche Post-Corona-Zeit Gedanken machen zu können. Das hat drei wesentliche Gründe.

Die Mühlen des Föderalismus mahlen langsam

Die Schweiz hat sowohl eine nationale Impfstrategie als auch nationale Impfempfehlungen, welche sich aus der Strategie ableiten. Die Umsetzung liegt jedoch bei den Kantonen. «Da wird es also 26 verschiedene Umsetzungen geben», sagt Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen.

Impfkalender
Wann und wie in der Schweiz geimpft wird, hängt ganz vom Kanton ab.Bild: watson/nzz

Bei solch einer komplexen Organisation sei es klar, dass man israelisches Niveau nicht werde erreichen können, meint Berger. In einigen Kantonen wird man grosse Impfzentren aufbauen, andere setzen auf Hausärzte und mobile Equipen.

Manche Kantone setzen auch auf beides. Und andere haben sich noch gar nicht entschieden, wie sie impfen werden wollen. In Israel, einem zentralistischen Staat, ist das einfacher. Seit letzter Woche stehen der Bevölkerung 280 Impfstationen im ganzen Land zur Verfügung.

Für Christoph Berger ist die Schweizer Gemächlichkeit aber nicht unbedingt ein Nachteil: «Vielleicht ist es ja gar nicht so problematisch, dass wir erst später bereit sein werden. Denn es braucht nicht nur Impfzentren, sondern auch eine willige Bevölkerung», sagt er. Herr und Frau Schweizer seien bei der Impffrage noch zurückhaltend «sie brauchen eine sehr individuelle Beratung und wollen sehr viele Informationen, bevor sie sich impfen lassen».

Das Gesundheitssystem ist nicht auf Massen-Impfungen ausgerichtet

Der zweite Grund für den langsamen Impfprozess ist laut Berger unser Gesundheitssystem. Es sei nicht darauf ausgerichtet, Massenimpfungen durchzuführen.

«In der Schweiz läuft fast alles über den Hausarzt oder die Hausärztin. Viele Kantone müssen also das gesamte Impfprogramm mit grossen Zentren komplett aus dem Boden stampfen», sagt der Kinderarzt und Infektiologe. Die aktuell notwendigen parallel laufenden Aufbauarbeiten bis geimpft werden kann, seien dementsprechend ein Spiegel unseres Gesundheitssystems.

Prioritäre Gruppen bei der Impfung
So sieht der Impfplan der Schweiz aus.Bild: watson

Der Impfstoff ist nicht da

Zu guter Letzt verfügt die Schweiz noch gar nicht über die nötigen Impfdosen. Bisher sind rund 107'000 Dosen von Biontech und Pfizer eingetroffen. Dieses Vakzin hat bis jetzt auch als einziges eine Zulassung in der Schweiz. Im Januar werden 250'000 weitere Dosen erwartet – eine immer noch bescheidene Menge der total 3 Millionen reservierten Spritzen.

Die Schweiz hat eigentlich auf andere Pferde gesetzt. Von Moderna wurden 7,5 Millionen Dosen reserviert, von AstraZeneca 5,3 Millionen Dosen.

Impfstoff Herkunft
Bild: watson

Wann genau die Zulassung für diese beiden Impfstoffe kommen wird, weiss man nicht. «Der Impfstoff von Moderna ist in den USA und Kanada bereits zugelassen», sagt Christoph Berger. In Europa erwarte man eine Zulassung voraussichtlich für Mitte Januar, «für die Schweiz dürfte es etwa ähnlich sein».

Bei dem AstraZeneca-Vakzin dürfte es indes länger gehen. «Die Studien sind noch nicht beendet, die Datenlage noch zu mager», sagt Berger. Es sei nicht klar, ob das Vakzin gleich wirksam ist wie jene von Pfizer und Biontech oder Moderna. Beim Impfstoff von AstraZeneca handelt es sich um ein vektorbasiertes DNA-Vakzin, nicht um einen mRNA-Impfstoff.

«Ich rechne nicht mit einer Zulassung im ersten Quartal 2021», so Berger. Auch der Ankündigung des Bundesamtes für Gesundheit, ab Januar 70'000 Leute pro Tag zu impfen, steht er skeptisch gegenüber. Er erwarte ein solches Volumen erst für Ende März oder Anfang April.

«Wir sind also klar langsamer. Aber ist das schlecht? Wenn der Plan funktioniert, dann wird die Bevölkerung – oder zumindest der Teil, der sich impfen lassen will – zufrieden sein.»

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So wird in Luzern geimpft
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So wird in Luzern geimpft
Eine über 90-jährige Frau wird als erste Person im Kanton Luzern und als eine der ersten Personen der Schweiz mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech gegen Corona geimpft, in einem Pflegeheim im Kanton Luzern, am Mittwoch, 23. Dezember 2020. (KEYSTONE/Urs Flüeler)
quelle: keystone / urs flueeler
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153 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Special K
29.12.2020 07:05registriert August 2016
Nein, es ist schlecht, dass wir so langsam sind. Denn das bedeutet, dass wir die Beschränkungs-Massnahmen noch bis in den Frühsommer weiterziehen müssen. Ganz besonders, wenn hier die UK-Variante zirkuliert. Dafür haben die wenigsten Leute den Nerv.

Es stimmt auch nicht, dass die ganze Bevölkerung impfskeptisch ist und speziell abgeholt werden muss. Viele, zuviele vielleicht, aber ein grosser Teil würde lieber heute als morgen den Arm hinhalten.

Typisch Schweiz, mittelmässige bis schlechte Leistung einfach als Win schönreden.
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Jake Peralta
29.12.2020 07:06registriert Dezember 2014
"Viele Kantone müssen also das gesamte Impfprogramm mit grossen Zentren komplett aus dem Boden stampfen"

Ah, das kam ja sooo überraschend...
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Unbearable
29.12.2020 06:54registriert April 2017
"Wir sind also klar langsamer. Aber ist das schlecht?"

Ja.....
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