Schweiz
Das Beste 2019

Dokumente zeigen: So gross ist der Ärger in der EU über die Schweiz

Jean-Claude Juncker und seine Kommission sind gar nicht zufrieden mit der Schweiz.
Jean-Claude Juncker und seine Kommission sind gar nicht zufrieden mit der Schweiz.bild: watson/keystone

Dokumente zeigen: So gross ist der Ärger in der EU über die Schweiz

Ein Brief und eine E-Mail zeigen, wie sehr die EU-Kommission über das Zeitspiel der Schweiz beim Rahmenabkommen enttäuscht ist. Die Verweigerung der Börsenanerkennung betrachtet sie als Warnschuss.
02.07.2019, 16:0017.12.2019, 15:40
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Die Sprache der Diplomatie ist verklausuliert und darauf angelegt, harte Kritik in weiche Formulierungen zu verpacken. Wenn in offiziellen Statements von einer «offenen» Diskussion die Rede ist, bedeutet dies, dass man heftig gestritten hat und sich überhaupt nicht einig war. Ein Beispiel für einen solchen Sprachgebrauch konnte man letzte Woche in Brüssel erleben.

Die EU-Kommission habe einen «Mangel an Fortschritt» beim institutionellen Rahmenabkommen mit der Schweiz festgestellt, sagte ihr Vizepräsident Maros Sefcovic vor den Medien. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie Erweiterungskommissar Johannes Hahn hätten alles getan, um ein Resultat zu erreichen: «Wir haben unser Bestes gegeben.»

epa07469577 European Commissioner for Neighborhood Policy and Enlargement Negotiations Johannes Hahn during a meeting with Serbian President Aleksandar Vucic in Belgrade, Serbia, 28 March 2019. EU com ...
Johannes Hahn geht mit der Schweiz hart ins Gericht.Bild: EPA/EPA

Wie man in Brüssel wirklich über die Schweiz denkt, zeigt ein internes Schreiben von Hahn an Juncker. Er habe allein 2018 ein Dutzend politische Kontakte mit seinem Schweizer Gegenüber, Bundesrat Ignazio Cassis, gehabt, hält der Österreicher fest. Ende November habe man sich auf einen «endgültigen Textentwurf» für das Rahmenabkommen geeinigt.

Die Schweiz gehöre zu den «grössten Profiteuren» des EU-Binnenmarktes, hält Johannes Hahn in dem Brief fest, den die Tamedia-Redaktion publik machte. Dann schreibt er Klartext:

«Leider habe ich den klaren Eindruck, dass die Schweizer Regierung seit unserer politischen Einigung im letzten Jahr nur auf Zeit gespielt hat. Sie will sich vor den nationalen Wahlen im Oktober 2019 zu nichts verpflichten.»

Trotz einer «ziemlich konstruktiven» internen Konsultation im Frühjahr verlange der Bundesrat weitere «Klarstellungen», schreibt Hahn weiter. Diese seien nicht «harmlos», sondern würden auf eine erneute Öffnung des Abkommens in zentralen Punkten (staatliche Beihilfen, freier Personenverkehr, «diskriminierende» flankierende Massnahmen) hinauslaufen.

Weiter wirft Hahn der Schweizer Regierung vor, sich trotz Junckers Bereitschaft zu raschen und schriftlichen Klarstellungen nicht ernsthaft zu engagieren:

«Sie hat im Gegenteil weitere unspezifische interne ‹Konsultationen› angesetzt und arbeitet nicht hart genug an ihrer internen Landezone.»

Der Österreicher unterstreicht, dass man von der Schweiz eine Unterzeichnung des Abkommens vor Ablauf des Mandats der Juncker-Kommission Ende Oktober erwartet. Die Schritte der Schweiz in diese Richtung in den letzten Monaten seien «eindeutig ungenügend»:

«Der politische Wille, den wir gerne sehen würden, ist nicht vorhanden.»

Der Brief von Johannes Hahn an Jean-Claude Juncker ist echt. Dies bestätigt ein Vertreter der EU-Kommission, der mit dem Schweiz-Dossier vertraut ist, in einer E-Mail, die watson vorliegt. Er unterstreicht darin noch einmal die Enttäuschung in Brüssel über die Haltung der Schweiz:

«Lassen Sie mich aber festhalten, dass wir seit über fünf Jahren mit der Schweizer Seite verhandelt haben und ein aus unserer Sicht für beide (!) Seiten zufriedenstellendes Ergebnis erreicht haben, das entscheidend für die erfolgreiche Fortsetzung des bilateralen Weges ist.»

Man warte seit November letzten Jahres auf «eine klare und uneingeschränkte Unterstützungserklärung» des Schweizer Bundesrates. Der Text des Institutionellen Rahmenabkommens sei «ausverhandelt» und könne «nicht wieder geöffnet werden», schreibt der EU-Vertreter. Präsident Juncker habe sich aber bereit erklärt, Erklärungen abzugeben, um allfällige Bedenken aus dem Weg zu schaffen und einen positiven Abschluss dieses Dossiers bis Ende Oktober zu erleichtern.

«Leider haben wir dazu keine Reaktionen aus Bern bekommen …»

Damit dürfte der EU-Vertreter auf die Reise des Schweizer Chefunterhändlers Roberto Balzaretti am 12. Juni nach Brüssel anspielen, als dieser erhofften Zusagen nur die Bitte um noch mehr Zeit vortrug. Gleichzeitig betont er, dass die Bereitschaft zu einer Einigung weiterhin vorhanden sei:

«Wir haben immer wieder erklärt, dass unsere Türen weiter offen sind, und hoffen, dass die Schweiz die verbleibende Zeit nutzen wird.»

Auf den Goodwill der Schweiz allein will sich die EU aber nicht verlassen. Sie hat am Sonntag die befristete Anerkennung der Schweizer Börsenregulierung auslaufen lassen. Johannes Hahn hält im Brief an Jean-Claude Juncker fest, wie diese Massnahme an die Adresse der Schweiz zu beurteilen ist:

«Ein Auslaufen der ‹Äquivalenz› könnte genau der Warnschuss vor den Bug sein, den sie brauchen.»

Damit ist klar, dass es nicht um eine Bestrafung der Schweiz geht, sondern um eine Warnung: Wir können auch anders. Zumal sich der Schaden für beide Seiten in Grenzen halten dürfte. Das Verbot des Handels mit Schweizer Aktien in der EU, das die Schweiz als Gegenmassnahme beschlossen hat, trifft laut SRF vor allem London und damit jenes Land, das die EU verlassen will.

Die «entscheidende Phase» des Brexit ist ohnehin ein wesentliches Motiv für die harte Haltung der EU gegenüber der Schweiz, wie Johannes Hahn schreibt:

«Wir haben keine andere Wahl, als die kristallklare Botschaft zu übermitteln, dass das vorliegende Rahmenabkommen das bestmögliche ist und wir ein gemeinsames Interesse haben, auf dieser Basis voranzuschreiten.»

Dies lässt es zumindest zweifelhaft erscheinen, ob die Schweiz bei einem Scheitern des vorliegenden Entwurfs wirklich ein besseres Abkommen herausholen kann, wie gewisse Politiker und Kommentatoren meinen. Denn die EU hat durchaus Pfeile im Köcher, die der Schweiz wirklich weh tun können. Die nächsten Monate werden in jedem Fall sehr interessant.

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223 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kronrod
02.07.2019 16:13registriert März 2015
Das Grundproblem ist, dass die EU und die Schweiz unterschiedliche Ziele haben. Die Schweiz möchte wirtschaftlich integriert sein (freier Personen- und Dienstleistungsverkehr), aber die EU möchte uns wirtschaftlich und politisch integrieren (inkl. Personenfreizügigkeit). Wenn die EU rational wäre, würde sie sich mit ersterem begnügen, denn davon profitieren beide. Stattdessen möchte sie aber unsere wirtschaftliche Abhängigkeit dazu ausnützen, uns auch in eine tiefere politische Beziehung zu drücken. Das ist mir zutiefst unsympathisch. Eine gute Beziehung kann man nicht erzwingen.
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Scaros_2
02.07.2019 16:31registriert Juni 2015
Hand aufs Herz. Das Teil wird man an der Urne versenken wenn nicht glaubhaft erklärt kann werden wie man den Lohn schützen will.

Ist das der EU klar?
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fabsli
02.07.2019 16:06registriert November 2016
Wenn sie sich da bloss nicht ins eigene Tofu schneiden.
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