Auf dem Podest des Grand Prix automobile de France 1974 stehen lauter grosse Namen der Formel 1. Der Schwede Ronnie Peterson, zweifacher Vize-Weltmeister, gewinnt das Rennen. Auf dem Podest wird er vom dreifachen Weltmeister Niki Lauda aus Österreich und vom fünffachen GP-Sieger Clay Regazzoni aus dem Tessin flankiert.
Doch in dieser Geschichte soll es um einen gehen, der gar nicht am Start stand. Er war im Qualifying für die 22 Startplätze zu langsam. Sein Name: Frederick «Rikky» von Opel. Der einzige Formel-1-Rennfahrer der Geschichte, der für das Fürstentum Liechtenstein antrat.
Von Opel. Klar, da klingelt etwas, dazu man muss gar kein Autonarr sein. Rikky von Opel war ein Sprössling der Autohersteller-Familie. Opel-Gründer Adam Opel war sein Urgrossvater, sein Vater war der als «Raketen-Fritz» bekannte Fritz von Opel.
Viel mehr als sein Pass verband Rikky von Opel wohl nicht mit dem Fürstentum Liechtenstein, er schien dem Land nicht besonders nahezustehen. «Wenn ich gewinne, will ich die deutsche Nationalhymne hören», ordnete er an. Kein Veranstalter eines Grand Prix kam jemals in die Zwickmühle, dafür war er ein zu schlechter Rennfahrer.
Als Angehöriger des Jetsets war von Opel ein Weltenbürger. Der Sohn eines Deutschen und einer Kolumbianerin kam in New York auf die Welt. Er wuchs in St.Moritz auf, wo er sich auch mal heimlich nachts auf die Bobbahn wagte. Mit an Bord sein Cousin, der legendäre Playboy Gunter Sachs, und ihr gemeinsamer Freund Alexander Onassis, Erbe des berühmten griechischen Reeders. «Nicht bremsen, nicht bremsen!», rief von Opel gemäss der Mitarbeiterzeitung «Opel Post» vor jeder Kurve.
Es ist ein ziemlich weiter Weg von Champagner und Kaviar zum bescheidenen Leben als Mönch in Thailand. Von Opel ging ihn nicht direkt. Wessen Vater schon 1928 ein Auto dank Raketenantrieb auf sagenhafte 238 km/h beschleunigte, der hat Benzin im Blut. Also versuchte sich Rikky von Opel als Rennfahrer – unter dem Pseudonym Antonio Bronco. Er wollte einerseits nicht vom berühmten Namen profitieren und er wollte andererseits nicht als von Opel am Steuer einer anderen Marke sitzen.
Über verschiedene Rennserien gelangte er in die britische Formel 3. Dort trat von Opel 1972 erstmals unter richtigem Namen an, und er wurde Meister der Lombard North Formel 3. Dass dies durchaus Aussagekraft hat, zeigt ein Blick in die Siegerlisten. Einige Jahre vor ihm gewann der Brasilianer Emerson Fittipaldi die Serie, etwas nach ihm dessen Landsmann Nelson Piquet. Beide wurden später Formel-1-Weltmeister.
Ganz so erfolgreich wie diese beiden war Rikky von Opel nicht. Aber er schaffte es, sich den grossen Traum von der Königsklasse des Automobilsports zu verwirklichen. Dass er aus wohlhabendem Haus stammte, war nebst gewissem Talent die zweite Voraussetzung. Der 26-Jährige plünderte seine Konten und investierte sein Vermögen in den Rennstall Ensign, für den er in der Formel 3 fuhr.
Dank von Opels Geld entwickelte Teamchef Mo Nunn einen Rennwagen für die Formel 1. Mitten in der Saison 1973 stieg die Equipe ein, Rang 15 belegte Rikky von Opel im Grossen Preis von Frankreich in Le Castellet. Bis Ende Jahr bestritt er sechs weitere Rennen, besser als 13. war er nie.
Er musste erst noch lernen, auf dem schmalen Grat zu wandeln, den Formel-1-Rennfahrer begehen: «Ich weiss genau: Dumme Fahrer rasen zu sehr, intelligente sind zu vorsichtig», sagte er. «Für mich kommt es darauf an, die Synthese zwischen Verstand und Draufgängertum zu finden.» In den 1970er-Jahren starb fast in jeder Saison ein Pilot, 1971 der Schweizer Jo Siffert.
Von Opels Ensign war dank Lackierung in British Racing Green zwar schick, aber offensichtlich wenig konkurrenzfähig. Mal blieb er wegen eines überhitzten Motors stehen, dann wegen Problemen mit dem Kraftstoffsystem, ein anderes Mal wegen eines gebrochenen Gaspedals. Als der Pilot vor dem ersten Grand Prix 1974 auch Probleme am Nachfolgewagen, dem Ensign N174, feststellte, reichte es ihm.
Von Opel trennte sich vom Team und wechselte zu Brabham. Zahlungskräftige Fahrer waren schon immer gerne gesehen und so überliess ihm der Teambesitzer ein Cockpit. Der Teambesitzer? Bernie Ecclestone, später als Geschäftsführer der Formel 1 der mächtigste Mann im Zirkus.
Damit verfügte Rikky von Opel über ein gutes Auto, schliesslich holte Brabham im Vorjahr immerhin zwei Podestplätze. Herausgefahren hatte sie Carlos Reutemann. Der Argentinier war 1974 auch sein Teamkollege. Als von Opel – damals in Walchwil am Zugersee lebend, wie nach ihm für einige Jahre Sebastian Vettel – zu seinem neuen Team stiess, hatte Reutemann soeben in Südafrika einen GP-Sieg erringen können.
Während Reutemann Ende Saison zwei weitere Rennen gewann, kam von Opel nie auch nur in die Nähe des Podests. Er fiel in Spanien und in Belgien aus, verpasste in Monaco die Qualifikation fürs Rennen, wurde dann immerhin in Schweden Neunter und belegte den gleichen Platz beim Grossen Preis der Niederlande in Zandvoort.
Rang 9 blieb sein Bestresultat in der Königsklasse. Denn als Rikky von Opel beim darauffolgenden Grossen Preis von Frankreich erneut die Teilnahme am Rennen verpasste, zog er einen Schlussstrich unter seine Formel-1-Karriere. Der Brasilianer Carlos Pace ersetzte ihn für den Rest der Saison – und schaffte es zwei Mal als Zweiter aufs Podest. Das Auto schien also nicht so schlecht gewesen zu sein. Die NZZ kritisierte Ecclestone dafür, auf Pay-Driver zu setzen: «Die Leute um den Brabham-Boss sollten in sich gehen und auf den Unsinn verzichten, Fahrer in ihre Autos zu setzen, die zwar viel Geld, aber keinen Leistungsausweis aus andern Einsitzer-Formeln mitbringen. Sie sind es nämlich, die während des Rennens für die Konkurrenten einen Gefahrenherd bilden.»
Aufs Gaspedal drückte von Opel künftig nur noch als Privatmann. Bekannt war seine Liaison mit der Hollywood-Schauspielerin Marisa Berenson. Weniger gut hatte er es mit seiner Schwester Marie Christine, «Putzi» genannt, oder viel mehr mit deren Freunden. Die fühlten sich in der Familienvilla in St.Tropez für seinen Geschmack zu wohl, sie waren ständig laut, häufig bekifft, und nachts immer irgendwie zu beschäftigt. Rikky von Opel stellte seiner Schwester ein Ultimatum: Würden ihre dubiosen Freunde nicht verschwinden, hole er die Polizei.
Das Resultat: «Putzi» und sechs Freunde kamen wegen Drogenschmuggel ins Gefängnis. An mehreren Orten wurden rund 1,8 Tonnen Haschisch sichergestellt. Von Opels Schwester kassierte fünf Jahre, da sie aber Mutter war, kam sie nach drei Jahren wieder frei. Sie habe «keinen Bruder mehr», hiess es seitens der Familie gegenüber dem «Spiegel». Nach ihrer Ausweisung lebte Marie Christine von Opel zunächst in der Schweiz und dann in Spanien, wo sie 2006 tragisch umkam: Bei einem plötzlichen Unwetter wurde sie in ihrem Auto von einer Flutwelle mitgerissen.
Zum Zeitpunkt des Schuldspruchs 1980 lebte Rikky von Opel bereits nicht mehr in Europa. Er habe sich nach Thailand abgesetzt, berichtete das Nachrichtenmagazin. Als ihm die Website «motorsport.com» 2017 zum 70. Geburtstag gratulierte, schrieb sie, er lebe immer noch dort: zurückgezogen als Mönch «in der Abgeschiedenheit eines buddhistischen Klosters irgendwo in Thailand, fernab aller irdischen Einflüsse».
Mit dem schnellen und aufregenden Leben von früher hat der einstige Jetsetter und Formel-1-Rennfahrer demnach längst abgeschlossen. Dazu befragen kann man ihn nicht, er möchte nicht ausfindig gemacht werden. Nur ganz wenige seiner Bekannten würden die Adresse des Postfachs kennen, das sein Kontakt zur Welt ausserhalb des Klosters sei, heisst es.
Im Februar 2022 berichtete das französische Portal «Classic Courses», Rikky von Opel lebe nach wie vor in diesem Kloster. Falls dies stimmt, ist der einzige Formel-1-Fahrer des Fürstentums Liechtenstein heute 75 Jahre alt.