Der Satz ist zu einem Mantra geworden: «Kinder sind nicht die Treiber dieser Pandemie.» Christoph Berger, Infektiologe am Kinderspital Zürich und Mitglied der Taskforce, wiederholte ihn an der Medienkonferenz am Dienstag, und Rudolf Hauri, Präsident der Schweizer Kantonsärzte, pflichtete ihm bei. Berger betonte, es sei für den Alltag der Kinder essenziell, insbesondere die obligatorischen Schulen offen zu halten. «Kinder, die Kinder anstecken, ergeben nie ein Problem.»
Das bestreitet niemand. Zwar kommt es auch bei infizierten Kindern in seltenen Fällen zu einem Überschiessen des Immunsystems. Doch selbst dann erholen sie sich meist schnell und vollständig. Dazu später.
Worauf Berger nicht einging, ist die Gefahr für die Eltern. Denn die Kinder tragen das Virus manchmal von der Schule nach Hause. Die Studie Ciao-Corona entdeckte nur in vier von 130 Klassen im Kanton Zürich ein Ansteckungscluster. Doch dies zeichnet den Stand bis Mitte Oktober ab.
Geschichten von Ansteckungshäufungen in Klassen sind nun öfter zu hören. Im Aargau wurde in einer 4. Klasse kurz vor Weihnachten erst die Lehrerin positiv getestet, eine Woche später drei Kinder. In zwei weiteren Familien mit Kindern in der Klasse wurden die Eltern positiv getestet, die Kinder hatten keine Symptome und konnten nicht getestet werden. Einer der Väter musste ein paar Tage auf der Intensivstation verbringen. Bei den Familien der drei positiv getesteten Kinder infizierten sich nur jene Eltern nicht, deren 9-jähriges Kind sich in Quarantäne in sein Zimmer begab und wo alle Masken trugen.
Die Schulleitung bekam in diesem Fall nicht in nützlicher Frist Hilfe von der Kantonsärztin. Nach zwei Tagen kamen die meisten Kinder wieder zur Schule. Auch die nationale Taskforce forderte in ihrem Policy-Brief vom 17. Dezember, dass Entscheide nicht Schulen und Eltern überlassen werden sollten, und plädierte vergeblich für klare Regeln bezüglich Quarantäne und Tests.
Eine betroffene Mutter sagt:
Für die Familien bedeutet das oft wochenlange Quarantäne, weil sich einer nach dem anderen ansteckt: Im Thurgau infizierte eine Handarbeitslehrerin einen Schüler, dieser seinen Bruder, die Mutter und den Vater – drei Wochen Quarantäne für die Familie. Im Aargau steckte sich ein 7-jähriger Bub bei der Lehrerin an, gab das Virus an die Mutter weiter, später erkrankten Bruder und Vater – was insgesamt vier Wochen Quarantäne für Letztere bedeutete. Die Eltern sind jetzt noch – nach der Quarantäne – erschöpft und schlafen viel.
Dass die Kinder nicht Treiber der Pandemie sind, davon ist man auch in Grossbritannien überzeugt. Dennoch schloss die Regierung die Schulen am Dienstag, an den meisten Orten bis voraussichtlich Mitte Februar. Denn im Vereinigten Königreich grassiert die neue, ansteckendere Mutation des Virus bereits heftig.
In der Schweiz ist die Mutation bislang kein Grund, die Strategie zu ändern, wie Berger am Dienstag sagte. Am Mittwoch dann forderte der Bund von den Kantonen Vorschläge für Massnahmen an obligatorischen Schulen.
Damals ordnete man sie teilweise dem Kawasaki-Syndrom zu, einem Überschiessen des Immunsystems, das verschiedene Viren auslösen können. Nun werden heftige Immunreaktionen bei Kindern, die Covid-19 hatten, oft als «Pädiatrisches multisystemisches inflammatorisches Syndrom», kurz PIMS, diagnostiziert.
Im Gegensatz zu Erwachsenen, welche in der Regel innert Tagen nach einer Infektion krank werden, verursacht Covid-19 bei Kindern fast nie akute Probleme. Hingegen kann es selten mehrere Wochen später zu einer heftigen Entzündungsreaktion kommen. Solche Fälle wurden bereits in der ersten Welle bekannt.
Laut dem Kinderspital Zürich wurden die ersten Kinder mit PIMS in der Schweiz im Mai 2020 beobachtet. Im Zuge der zweiten Welle hätten die Kinder-Intensivstationen eine Zunahme der Fälle festgestellt. Das Spital schreibt in einer Mitteilung:
Die Ärzte der Schweizer Kinderspitäler haben unter der Leitung des Uni-Kinderspitals Zürich und des Universitätsspitals Genf nun Richtlinien erlassen, wie PIMS diagnostiziert und behandelt werden soll.
Doch: Was bedeutet das für die Eltern kranker Kinder? «Eltern sollen sich verhalten wie immer, wenn ein Kind krank wird», sagt Kinder-Intensivmediziner Luregn Schlapbach vom Kinderspital Zürich. Andere Ursachen von Fieber seien viel häufiger als PIMS. «Hält das Fieber aber über mehrere Tage an und verschlechtert sich der Allgemeinzustand, dann sollten die Eltern die Kinderärztin konsultieren», so Schlapbach. Bei Verdacht auf PIMS empfiehlt er, diesen in einem interdisziplinären Team im Spital abzuklären.
Die betroffenen Kinder haben tagelang hohes Fieber, häufig begleitet von Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Ausschlägen. «Zu diesem Zeitpunkt haben die Kinder die eigentliche Infektion schon überwunden», sagt Schlapbach und fügt an:
Beim über Weihnachten verstorbenen Kleinkind in der Ostschweiz kommt PIMS als Todesursache deshalb nicht in Frage, laut Roger Lauener, Chefarzt des Kinderspitals in St.Gallen.
Für die Behandlung von PIMS werden Medikamente verabreicht, die das Immunsystem beruhigen. «Zum Glück sprechen die Kinder meist gut darauf an und die Mehrheit erholt sich komplett», sagt Schlapbach. (saw/aargauerzeitung.ch)
"!!! Meiner Meinung nach ist es vollkommen klar, dass es durch offene Schulen und Kitas vermehrt zu Ansteckungen in den Familien kommt. Letztendlich geht es doch nur darum, dass die Eltern weiterhin schön brav zur Arbeit gehen können, was ja nicht mehr möglich wäre, wenn Schulen und Kitas mal für einen Monat schliessen müssten, um die Zahlen zu senken...
Das ist bei der Grippe ja auch so. Jedes Land um uns herum schliesst die Schulen, nur wir sprechen das eingangs genannte Mantra noch gebetsmässig.