«Sind an einem Wendepunkt»: Nahost-Experte sagt, was Trumps Gaza-Plan wirklich wert ist
Donald Trump hat seinen Friedensplan vorgestellt, Israels Regierungschef Netanyahu hat zugestimmt. Wie realistisch ist dessen Umsetzung?
Solange wir den Plan als einen Plan von Trump interpretieren, sind die Erfolgsaussichten nicht so gross, weil dann automatisch die Lösung mit Trump verbunden wäre. Trumps Ansehen in der arabischen Welt ist nicht besonders gross. Das stünde der Umsetzung im Weg. Wichtiger wäre es, herauszustellen, dass es nicht Trumps Plan ist, sondern Trump im Grunde nur einen Plan moderiert, der von sehr vielen Akteuren entworfen worden ist, unter anderem auch von Ländern wie Saudi-Arabien und Frankreich. Es ist ein Plan der Weltgemeinschaft. Was die Akzeptanz in der arabischen Welt, in Israel und natürlich auch in Europa sehr viel grösser macht.
Offenbar brauchte es aber jemanden wie Trump, der Netanyahu dazu bringt, zuzustimmen.
Dass Trump eine gewisse Autorität gegenüber Netanyahu ausüben kann, könnte sicherlich eine Rolle gespielt haben. Entscheidend ist, dass ein solcher Plan ohne Unterstützung der USA keine wirkliche Chance hat.
Was sind die grössten Knackpunkte? Woran könnte er scheitern?
Die Hamas ist so isoliert, dass sie im Grunde der einzige Widerpart dieses Plans ist. Das freie Geleit, das Hamas-Anhängern in Aussicht gestellt wird, könnte sie vielleicht noch akzeptieren. Die Entwaffnung aber ist wahrscheinlich für die Hamas ein Punkt, der nicht ohne weiteres durchgesetzt werden kann.
Wenn die Hamas an diesem zentralen Punkt nicht mitmacht, wäre der Plan zum Scheitern verurteilt.
Die ersten Reaktionen der Hamas waren skeptisch, aber es könnte durchaus sein, dass der Druck so gross wird, dass sie am Ende zustimmt. Dass die Hamas entwaffnet wird, steht aber ausser Frage.
Wie meinen Sie das?
Die einzige Frage ist, ob die Entwaffnung militärisch oder politisch geschieht. Das ist auch für die palästinensische Bevölkerung der entscheidende Punkt, denn die möchte natürlich nicht schutzlos dastehen. Für die Palästinenser müssen Sicherheitseinrichtungen geschaffen werden, die der Bevölkerung in Gaza irgendeine Form von Schutz bieten.
Lässt sich überhaupt kontrollieren, ob die Hamas tatsächlich alle ihre Waffen abgibt oder muss man davon ausgehen, dass sie in ihren Tunneln unter der Erde so viel Material versteckt hält, dass sie den bewaffneten Kampf jederzeit wieder aufnehmen kann?
Die Hamas ist im Grunde bereits auf eine überschaubare Grösse reduziert, die sich bald nicht mehr von den terroristischen Organisationen unterscheidet, die in den 70er und 80er Jahren in Europa existierten und die ebenfalls lange Zeit noch Waffendepots irgendwo hatten. Das wird sich auch in Gaza nicht verhindern lassen.
Wie viele aktive Kämpfer hat die Hamas in Gaza noch?
Es gibt keine verlässlichen Zahlen, aber man darf davon ausgehen, dass es noch etwa 3000 bis 4000 sind. Sie sind nur noch in einzelnen Kampfgruppen organisiert. Ob sie im Falle einer militärischen Offensive Israels in Gaza-Stadt, sollte der Plan scheitern, reagieren kann, das ist eine andere Frage.
Sollte die Hamas tatsächlich die Waffen abgeben, soll es eine technokratische Übergangsverwaltung mit internationalen Experten geben und zwar so lange, bis sich die Palästinensische Autonomiebehörde PA reformiert hat. Kann das funktionieren?
Einen solchen Plan kennen wir bereits aus dem Kosovo. Die Struktur ist sehr ähnlich, die Aufgaben dort wurden von verschiedenen Institutionen wie der EU, Nato und der UNO übernommen. Auch die Doppelstruktur, die für Gaza jetzt vorgesehen ist, erinnert an den Kosovo: Es soll einen Friedensrat als einen Aufsichtsrat geben sowie eine Art Verwaltungsrat, der die exekutive Macht innehat. Die Weltgemeinschaft ist darauf vorbereitet, eine solche Rolle zu übernehmen. Ein gutes Zeichen ist auch, dass einheimische Akteure an dem Prozess beteiligt werden. Er könnte tatsächlich erfolgreich sein, selbst dann, wenn noch irgendwelche Hardliner meinen, dass sie den Endsieg zu erringen haben.
Den Friedensrat will Donald Trump persönlich präsidieren. Was halten Sie davon?
Das ist eine lächerliche Inszenierung. Viel besser wäre eine Person, die auch das Vertrauen der lokalen Bevölkerung und aller beteiligter Akteure geniesst. Und da hat sich Trump als autoritärer Politiker nicht gerade einen Namen gemacht. Es ist sicherlich eher ein Zugeständnis an sein Ego und an seine narzisstische Grundstimmung.
Die arabischen Staaten haben den Plan positiv aufgenommen. Wie wichtig ist das?
Sehr wichtig. Es wird deutlich, dass die arabische Welt diesen Prozess positiv einschätzt, weil er zu einer Befriedung der gesamten Region führen könnte, wenn er richtig angegangen wird. Gaza könnte tatsächlich ausschlaggebend sein für eine neue Gestaltung des Nahen Ostens insgesamt. Diese Perspektive ist für viele arabische Staaten, gerade für Länder, die sich im Umbruch befinden wie Syrien, Libanon, Irak, entscheidend.
Gibt es noch ernsthafte Störfaktoren, die das verhindern könnten? Vielleicht der Iran?
Regionale Akteure werden da wahrscheinlich nicht mehr dazwischenfunken können. Iran ist mit den eigenen Problemen beschäftigt, die Huthis im Jemen sind isoliert, die Hisbollah im Libanon hat sich politisch neu orientiert. Das bedeutet, dass es auch für Israel keine Bedrohungslage gibt, die eine Nichtumsetzung des Plans rechtfertigen würde.
Nicht im Plan steht eine Garantie für einen eigenen Palästinenserstaat, wenngleich die Tür dafür offenbleibt. Ist diese vage Aussicht genug Anreiz für jene, die einen Staat Palästina fordern?
Ein Staat Palästina ist nach wie vor möglich. Der Plan unterscheidet sehr schön zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen. Zu letzteren zählt die Frage nach der Schaffung Palästinas als mehr oder weniger einheitlicher Staat. Das Gute an dem Projekt ist, dass diesmal nicht vom Grossen aufs Kleine gedacht wird, sondern vom Kleinen hin zum Grossen. Zunächst einmal geht es darum, die Situation in Gaza zu verbessern. Gaza würde später auch in einem Konstrukt Palästina eine gewisse Autonomie erhalten. Danach könnten Gaza und das Westjordanland zu einem neuen Palästina zusammenwachsen. Die entscheidende Klausel im Text ist, dass Israel keine Annexionspolitik mehr betreiben dürfe. Das ist letztendlich eine Aussage, die den Weg zur Zweistaatenlösung öffnet, die auch Israel irgendwann akzeptieren muss.
Das werden die Hardliner in der Regierung Netanyahu kaum mitmachen. Ist ein Bruch vorprogrammiert?
So sieht es wohl aus, wenn die Regierung Netanyahu seinen rechtsextremen Koalitionspartnern nicht irgendwie eine Entschädigung anbieten kann. Wenn sie die Koalition aufkündigen, dann braucht Israel eine andere politische Mehrheit, um diesen Plan umzusetzen.
Kann Netanyahu eine andere Mehrheit finden?
Da es in der israelischen Gesellschaft einen Konsens gibt, dass dieser Krieg endlich beendet werden muss, weil er für Israel schädigender ist als er in irgendeiner Form noch Vorteile bringt, und mit dem Ende des Krieges auch die verbliebenen lebenden Geiseln zurückkommen, stünden seine Chancen dafür nicht schlecht.
Wie nah sind wir denn jetzt tatsächlich an einem Frieden in Gaza?
Wenn wir nicht nur eine kurzfristige Lösung des Konfliktes in Gaza selbst, sondern tatsächlich auch eine Art Wegleitung zu einer langfristigen Friedenssituation voraussetzen, dann sind wir auf einem relativ guten Weg. Wenn wir uns aber die realpolitische Situation anschauen, die in Israel und in der palästinensischen Öffentlichkeit existiert, kommen noch immer Zweifel auf. Die palästinensische Unterstützerszene in Europa und in Amerika stellt zudem die Deradikalisierung in Gaza als eine Art von kulturellem Imperialismus dar. Wenn nicht diese Dinge, sondern stattdessen der friedenspolitische Aspekt in den Vordergrund tritt, dann würde ich sagen, das Glas ist halb voll. Andererseits hat die Vergangenheit gezeigt, dass es im Grunde keine wirkliche Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts geben kann, solange kein kompletter politischer Umbruch im Nahen Osten stattfindet.
Was wäre die unmittelbare Konsequenz, wenn der Plan scheitert?
Israel würde den Krieg fortsetzen und Gaza-Stadt erobern. Israel würde dann sagen, der Plan war eine Chance für die palästinensische Gesellschaft, diese ist nun vertan. Die Idee der Annexion würde dann wieder in den Vordergrund gerückt. Israel würde sich im Nahen Osten komplett isolieren. Das ist auch für Israel keine optimale Perspektive.
Wir sind also an einem absoluten Wendepunkt im Nahen Osten.
Ja, der hat sich schon länger abgezeichnet, denn der Plan, den wir jetzt haben, ist im Grunde schon vor fast 2 Jahren von der Biden-Regierung und Saudi-Arabien entworfen worden. Trump hat das jetzt dramatisiert und aufgepeppt, aber im Grunde ist es ein älterer Plan und da hat man schon gemerkt, dass es in diese Richtung gehen wird. Es gibt gar keine Alternative dazu. Damit ist klar, wir befinden uns an einem Wendepunkt, und dieser wird hoffentlich in die richtige Richtung gehen. (aargauerzeitung.ch)
