Unsere nördlichen Nachbarn sind 1997 bei den Männern das Mass aller Dinge beim Ironman auf Hawaii. Als erster deutscher Triathlet gewinnt Thomas Hellriegel und das gleich vor zwei Landsleuten, Jürgen Zäck und Lothar Leder stehen mit ihm auf dem Podest.
Für mindestens so viele Schlagzeilen sorgt das Frauenrennen – und das nicht wegen der Siegerin Heather Fuhr aus Kanada. Sondern weil das Wort «Zieleinlauf» den Kampf um Platz 4 nur halbwegs richtig erklärt. Denn Wendy Ingraham und Sian Welch erreichen den Zielstrich nicht laufend, sondern krabbelnd.
Die beiden Kalifornierinnen sind keine Nobodys. Ingraham hatte zwei Jahre zuvor in Australien ihren ersten Ironman-Wettkampf gewonnen und war in Hawaii schon Vierte. Und Welch, die eben erst von der Kurz- auf die Langdistanz gewechselt hatte, durfte sich auf Tipps ihres Ehemanns verlassen: Greg Welch, Hawaii-Sieger von 1994 aus Australien.
Doch im Backofen auf Big Island nützen nach rund zehn Stunden Wettkampf die besten Ratschläge nichts mehr. Mit dem Ziel vor Augen brechen Wendy Ingraham und Sian Welch auf dem Ali'i Drive zusammen, sie können einfach nicht mehr.
Ingraham muss zwei Kilometer vor der Ziellinie erstmals wegen Krämpfen anhalten, an dritter Position liegend wird sie von Welch überholt. Doch auch sie hat grosse Schwierigkeiten. Kein Tropfen Benzin mehr ist im Tank der beiden Frauen. Die Brasilianerin Fernanda Keller rauscht heran und schnappt sich am Ende Rang 3. Die Schweizer Mitfavoritin Natascha Badmann hat das Rennen längst aufgegeben, auch die achtfache Hawaii-Siegerin Paula Newby-Fraser zollt den Temperaturen von über 40 Grad und heftigem Gegenwind auf dem Velo Tribut und steigt vorzeitig aus.
Als Welch sich zu Ingraham umschaut, gerät sie ins Stolpern und fällt auf den heissen Asphalt. Ingraham kann aufschliessen, die beiden torkeln, stürzen, taumeln, stürzen. Bis sie beide – das Ziel vor Augen – einsehen, dass laufen mit Pudding in den Beinen unmöglich ist. Also kriechen sie. Die Formulierung «Kämpfen bis zum Umfallen» hat an diesem Tag als Definition dafür, nie aufzugeben, ausgedient: Gekämpft wird auch nach dem Umfallen noch.
Ihr Geist sei noch frisch gewesen, sagt Ingraham später, doch der Körper habe nicht mehr auf die Signale des Kopfes gehört. «Es ist, wie wenn dein Kopf abgetrennt ist und dein Körper da drüber liegen und nicht reagiert. Als ich das endlich kapiert hatte, wurde ich wieder zum Kleinkind und begann zu krabbeln.»
Welch geht es genau gleich. Auch sie fühlt sich im Kopf noch in der Lage, zu finishen, «aber mein Körper wollte einfach nicht das tun, was ich ihm sagte». Dennoch meint sie danach: «Irgendwie war's sogar cool.» Nun, den beiden geht es auch besser als Chris Legh. Der ist nur kurze Zeit vor den beiden Frauen 50 Meter (!) vor dem Ziel kollabiert und muss das Rennen aufgeben.
Welchs Krabbelduell mit Ingraham geht als «The Crawl» in die Geschichte des Triathlons ein. Einige Stunden und einige Infusionen später sind die zwei Gestrauchelten wieder auf den Beinen.
Nur ein halbes Jahr später steht Sian Welch ganz oben: Sie gewinnt im April 1998 den Ironman Australien. Auch Wendy Ingraham kehrt zum Siegen zurück, zwischen 1998 bis 2001 gewinnt sie drei Mal in Folge den Ironman Österreich sowie jenen in Brasilien. «Wer heute kriecht, der morgen siegt».