International
Schweiz

Ukraine: In der Schweiz regt sich Widerstand gegen den Schutzstatus S

«Missbrauchspotenzial vorhanden» – in der Schweiz regt sich Widerstand gegen den Status S

15.05.2022, 08:5115.05.2022, 10:09
Mehr «International»

Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sind zahlreiche Bewohner des osteuropäischen Landes auf der Flucht. Mehr als zwölf Millionen Menschen sollen laut der UNO ihre Heimat bereits verlassen haben – auch in Richtung Schweiz. So sollen sich derzeit rund 50'000 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer im Land befinden.

>> Alle aktuellen Entwicklungen zum Ukraine-Krieg im Liveticker

Zu Beginn der Krise war die Solidarität in der Schweiz mit den den vielen Flüchtlingen gross. Im März beschloss der Bundesrat, Ukrainerinnen und Ukrainern den Schutzstatus S zu gewahren. Dieser erlaubt ihnen, dass sie ohne Asylverfahren vorerst ein Jahr in der Schweiz bleiben, arbeiten und zur Schule gehen können. Der Schutzstatus S war davor seit seiner Einführung in den 90er-Jahren noch nie benutzt worden.

epa09826456 Women from Ukraine wait during the registration at the reception center for refugees, following Russia's invasion of Ukraine, in Zurich, Switzerland, 15 March 2022. According to figur ...
Rund 50'000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind bisher in die Schweiz geflüchtet.Bild: keystone

«Können nicht ewig weitermachen wie bisher»

Nun regt sich in der Schweiz allerdings Widerstand gegen diese Aufnahme mit Schutzstatus S. Im bürgerlichen Lager gibt es laut einem Bericht der «SonntagsZeitung» immer mehr Leute, die mit der Politik des Bundesrats unzufrieden sind – vor allem bei der SVP.

Zu diesen Leuten gehört auch Martina Bircher. Die SVP-Nationalrätin sagt gegenüber der «SonntagsZeitung», sie sei auch der Meinung, dass Menschen aus der Ukraine Anrecht auf Schutz hätten. Dennoch sagt sie: «Wir können aber nicht ewig weitermachen wie bisher.» Sonst würde die Schweiz an ihre Grenzen stossen.

Martina Bircher, SVP-AG, spricht waehrend der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 16. Dezember 2020, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Martina Bircher will, dass der Bund den Schutzstatus S überdenkt.Bild: keystone

Um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, hat Bircher nun einen Vorstoss eingereicht. Ihr Ziel: die Verschärfung der Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen. Als Möglichkeit dafür bringt sie etwa eine regionale Einschränkung ins Spiel, da der Krieg vor allem im Osten der Ukraine ein grosses Problem sein soll. «Sollte sich das bestätigen, müssen wir darüber nachdenken, den Status S nur noch Leuten aus der Ostukraine zu gewähren», sagt sie.

Nicht nur Ukrainer haben Status S

Als weiteren Kritikpunkt sieht die SVP auch, dass derzeit nicht nur Ukrainerinnen und Ukraine aufgenommen werden. So hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) kommuniziert, dass in der Schweiz 1000 Leute den Schutzstatus S erhalten haben, obwohl sie nicht aus der Ukraine kommen. Dazu gehören etwa Menschen aus Afghanistan, aus dem Irak oder aus Nigeria, aber auch aus Ländern wie Deutschland, Italien oder den USA.

«Ich verstehe nicht, warum wir Leute, die keinen ukrainischen Pass haben, bei uns aufnehmen», kritisiert Bircher deshalb. Man könne diese wieder in ihr Heimatland zurückschicken, sagt sie. «Da müssen wir kein schlechtes Gewissen haben.» Das SEM hält sich zu diesen Personen bedeckt. Gegenüber der «SonntagsZeitung» teilte es mit, man wolle sich nicht zu Einzelfällen nicht äussern. Gesuche aus EU- oder EFTA-Ländern würden «in der Regel abgelehnt» werden, heisst es. Zudem ergänzte man, dass es Fälle gebe, in denen die Kinder einen anderen Pass hätten als ihre Eltern. Bircher fordert genauere Prüfungen auf Seiten des Bundes: «Das Missbrauchspotenzial ist vorhanden.»

FDP sieht ebenfalls Handlungsbedarf

Nicht nur bei der SVP steht man der momentanen Situation derzeit kritisch gegenüber. Auch FDP-Vizepräsident Andrea Caroni fordert gegenüber der «SonntagsZeitung» Veränderungen. Schliesslich habe die Schweiz auch nur beschränkte Kapazitäten. Wie Bircher nennt auch er eine regionale Beschränkung als mögliche Option. «Der Schutzstatus S sollte dynamisch ausgestaltet werden», fordert er. «Es muss periodisch überprüft werden, welche Personengruppen aus der Ukraine Anspruch haben.»

Staenderat Andrea Caroni, FDP-AR, spricht waehrend der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 15. Dezember 2021 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Auch Andrea Caroni und seine FDP sehen Handlungsbedarf.Bild: keystone

Hohe Kosten für Bund und Kantone

Wenn Caroni von beschränkten Kapazitäten spricht, meint er damit auch die Finanzen. Jeder Flüchtling kostet der Schweiz Geld – und zwar rund 20'000 Franken pro Jahr, wie ein Bericht der «NZZ am Sonntag» zeigt. Rechnet man alle Kosten zusammen, ist ein Jahresbetrag von 1,25 bis 2,25 Milliarden Franken zu erwarten. Dieser wäre damit höher als derjenige für Corona-Tests im Jahr 2021 (1,2 Milliarden Franken).

Zudem ist unklar, wie lange die Krise noch andauern wird. «Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Menschen länger als ein Jahr bei uns bleiben könnten», wird etwa Gaby Szöllösy von der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren zitiert. Zusätzliche Kosten dürften zudem entstehen, wenn die Geflüchteten ihre Gastfamilie verlassen werden. Derzeit wohnt rund die Hälfte bei Privaten, was die Kantone finanziell entlastet. Dies dürfte auf Dauer nicht mehr zu bleiben. (dab)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So leidet die russische Bevölkerung unter dem Ukraine-Krieg
1 / 13
So leidet die russische Bevölkerung unter dem Ukraine-Krieg
1. Rationierte Nahrungsmittel
Viele Russen decken sich aufgrund der unsicheren Lage mit größeren Mengen an Lebensmitteln ein. Zudem erklärt der Kreml, hätten einzelne Personen tonnenweise Nahrungsmittel erstanden ...
quelle: keystone / anatoly maltsev
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Russischer Panzer explodiert in der Ukraine
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
169 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
James McNew
15.05.2022 09:04registriert Februar 2014
War von kurzer Dauer, diese Solidarität. Und schon profilieren sich die üblichen Verdächtigen mit Fremdenfeindlichkeit – ganz so, wie Putin das einkalkuliert hat.

Er musste nur etwas länger warten, als vielleicht gedacht, bekommt aber von der europäischen und schweizerisches Rechten zuverlässig doch noch, was er will.
24256
Melden
Zum Kommentar
avatar
ELMatador
15.05.2022 09:11registriert Februar 2020
Ich habe immer mehr das Gefühl das vernetztes Denken nicht wirklich ein menschliches Talent ist.

Die finanziellen und wirtschaftlichen Konsequenzen einer auf Jahren nicht funktionierenden Ukraine sind für uns viel grösser als 5-10 Jahre Unterstützung zu finanzieren.

Zudem stellen viele Ukrainer einen Mehrwert für unsere Gesellschaft dar. Viele von ihnen, haben Ausbildungen di mit unseren equivalent sind und würden gerne arbeiten. Dass sind zukünftige Netzwerke!

Jeder der jemals behauptet wir hätten zu viele Ausländer darf das Wort Fachkräftemangel nie mehr in den Mund nehmen !
20752
Melden
Zum Kommentar
avatar
RicoH
15.05.2022 09:35registriert Mai 2019
"Liebe" Frau Bircher
Ein Missbrauchspotential ist immer vorhanden. Es liegt an den Schweizer Behörden, das aufzudecken und zu verhindern.
Für sie mag es wie ein geschickter Schachzug aussehen, das im Zusammenhang mit den ukrainischen Flüchtlingen darzustellen. Im Grunde genommen nutzen sie aber nur eine abgelutschte Plattform (Flüchtlinge sind böse), um sich wieder mal profilieren zu wollen. Das gelingt ihnen bei mir nicht und ich hoffe, dass es bei vielen Menschen in der Schweiz auch so ist.
4812
Melden
Zum Kommentar
169
Wo die 800'000 Auslandschweizer wohnen – und in welchen 5 Ländern KEIN EINZIGER
Die Schweiz ist eine Nation von Auswanderinnen und Auswanderern. Diesen Schluss legt die Auslandschweizerstatistik nahe. Die Schweizer Gemeinde im Ausland wuchs 2023 um 1,7 Prozent. Nahezu zwei Drittel davon leben in Europa.

Am 31. Dezember 2023 waren 813'400 Schweizerinnen und Schweizer bei einer Vertretung im Ausland angemeldet, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) am Donnerstag mitteilte. 2022 war die Auslandschweizer-Bevölkerung noch um 1,5 Prozent gewachsen.

Zur Story