Eigentlich hat sich Laia Ballesté bereits auf einen gemütlichen Sommer eingestellt. Bei ihrem Elternhaus in der Nähe von l'Ampolla, einem kleinen Ort zwischen Barcelona und Valencia, geniesst sie die spanische Sonne. Sie liegt am Pool, trägt Bikini. Dann erscheint auf ihrem Smartphone der Name von Pia Sundhage. Die Schweizer Nationaltrainerin. Als Ballesté das Telefon abnimmt, hüpft im Hintergrund die Mutter vor Freude. Sie weiss: Der Traum von der Heim-EM geht in Erfüllung. Die schweizerisch-spanische Doppelbürgerin wird von Sundhage wegen der Verletzung von Luana Bühler nachnominiert.
In allen drei Gruppenspielen sitzt Ballesté auf der Bank, dennoch wird für sie der EM-Viertelfinal am Freitag in Bern besonders speziell. Die Schweiz trifft ausgerechnet auf Spanien. Jenes Land, in dem sie aufgewachsen ist und sozialisiert wurde. Sie sagt zu dieser besonderen Konstellation: «Natürlich kenne ich das spanische Team gut und bin mit der Nationalspielerin Cristina Martín-Prieto befreundet. Aber mir ist es egal, ob es gegen Finnland oder Spanien geht: Ich spiele für die Schweiz und will mit dem Team gewinnen.»
Vor zwei Jahren, als die Schweizerinnen an der WM in Neuseeland im Achtelfinal auf Spanien treffen, fiebert Ballesté vor dem heimischen Fernseher für die Schweiz mit, verzierte ihr Zuhause mit Schweizer Fahnen. «Ich wollte unbedingt, dass sie erfolgreich sind», erzählt sie. Erst seit 2021 hat sie den Schweizer Pass, seither träumt sie von einem Nati-Einsatz. Nach der WM meldet sich ihr Berater beim Schweizerischen Fussballverband und teilt mit, dass Ballesté Doppelbürgerin sei und gerne für die Schweiz spielen würde.
Doch zunächst muss sie sich gedulden, obwohl sie in der höchsten spanischen Liga bei Espanyol Barcelona Stammspielerin ist. Erst in diesem Frühling wird sie von Sundhage zum ersten Mal aufgeboten, debütiert im Auswärtsspiel in Island für die Schweizer Nati. Als ihre Mutter vom Aufgebot für die Schweiz erfährt, bricht sie in Tränen aus. Ballesté selber beschreibt sich als schüchtern, ist sehr nervös bei jenem Auftritt und kann auch deshalb nicht ganz überzeugen. Nun sagt sie: «Ich kenne das Team inzwischen gut, deshalb glaube ich, dass ich bei einem Einsatz weniger nervös wäre.»
Die Schweizer Wurzeln von Ballesté liegen in Neuenburg. Dort ist ihre Mutter geboren. Sie zieht aber mit der Familie nach Spanien, als sie zwölf Jahre alt ist. Auch wenn Ballesté selber in Spanien geboren wird und aufwächst, gehen die Schweizer Wurzeln nicht verloren. Die meisten Ferien verbringt die Familie in der Schweiz. Am Neuenburgersee oder in Saint-Imier, einem Dorf im Berner Jura, wo Verwandte leben.
Ballesté spricht neben Spanisch auch fliessend Französisch und Englisch, hat sich seither ins Schweizer Team eingefügt, auch wenn sie in der Innenverteidigung klare Reservistin ist. «Ich kenne meine Rolle und versuche mein Team so gut wie möglich zu unterstützen.»
Und doch erhält Ballesté im Hinblick auf die Partie gegen Spanien eine besondere Rolle. Keine im Schweizer Nationalteam kennt den spanischen Fussball so gut wie die gebürtige Spanierin. «Ich habe mir neulich überlegt, wie ich eine kleine Ansprache vor dem Team halten kann», sagt sie. Natürlich seien die Spanierinnen sehr gut. «Sie sind wohl das beste Team der Welt», sagt sie. «Doch wir sind die Schweiz, spielen zu Hause: Natürlich können wir dieses Spiel gewinnen. Wir müssen uns nicht fürchten.»
Was ist das Geheimnis der Spanien-Kennerin, um die Weltmeisterinnen zu schlagen? «Das verrate ich natürlich nicht», sagt sie lachend. «Aber nur so viel: Auch die Spanierinnen können mal einen schlechten Tag haben.» Die Spanierin in der Schweizer Nati wird es wohl wissen. (aargauerzeitung.ch)